Diesen Vulkan übersieht man leicht. Unauffällig fügt er sich in das Bild seiner Umgebung ein. So unauffällig, dass man über ihn hinweg- oder an ihm entlangwandern kann, ohne überhaupt zu bemerken, dass er sich von den benachbarten Bergen unterscheidet, die keine Krater waren. In der staatlichen Karte ist er auch nicht ausdrücklich vermerkt. Las Rosas heißt die Gegend auf dem amtlichen Blatt. Auch das ist eine Täuschung; denn mit Rosen hat er nichts zu tun, weshalb ihn Geologen auch mit „z“ schreiben. „Roza“ bedeutet „Kehlung“ oder „Furche“. Damit passt der Name. Andere nennen ihn „Volcán el Morro“, also „Schnauze“. Auch diese Bezeichnung passt zu seiner Form. Er war ein richtiger Spätzünder. Mindestens eine Million Jahre lang hatte es auf der Anaga-Halbinsel keine Eruption mehr gegeben, als er erschien. Nach ihm war es dort mit Vulkanismus endgültig vorbei. Die unteren Teile von Punta del Hidalgo stehen auf seiner Lava, die dort auch das felsige Vorland mit seinen einzigartigen Kleinstlebensräumen formte. Vergleichbares kennen wir von keinem seiner Vorgänger.
Es ist kein Spaziergang, aber auch kein schwerer Weg. Etwas Trittsicherheit und Ausdauer sollte man dennoch besitzen, wenn man vom First des Anaga-Gebirges, beispielsweise vom Cruz del Carmen, nach der Punta del Hidalgo absteigen möchte. Immerhin geht es bis zum Ziel mehr als 900 Höhenmeter abwärts. Üblicherweise gehen die Gruppen den Weg über Las Escaleras, Las Carboneras und Chinamada. Er beginnt rechts vom Gasthaus. Ich empfehle als Alternative den Weg links davon. Er bietet mehrere lohnende Varianten, lädt also zu Wiederholungen ein. Über Las Cuadras de Don Benito und El Juntadero gelangt man so zu dem Weg, der an der Ruine der legendenumwobenen Casa Fuset nach Bejía hinabführt. Kurz vor dem Ort beginnt links der markierte Wanderweg über den Volcán de las Rozas nach Punta del Hidalgo.
Ohne den Volcán de las Rozas wäre das Anaga-Gebirge ein Produkt des späten Miozäns und des Pliozäns, wie die letzten Erdzeitalter des Tertiärs genannt werden, die vor ungefähr 2,5 Millionen Jahren zu Ende gingen. Richtige Vulkane mit Kegel und Krater sucht man dort weitgehend vergeblich; denn für diesen alten Teil Teneriffas waren kilometerlange Spaltenausbrüche charakteristisch. Diese Spalten entstanden parallel zu einem von Nordosten nach Südwesten verlaufenden Riss in der Erdkruste. Ihre Lava baute die dachähnliche Struktur des Gebirges auf, an dessen First sich heute die TF-114 entlangwindet. Den Verlauf dieser Spalten erkennen wir an zahlreichen natürlichen Mauern in der Landschaft, den Diques. Viele sind sehr dünn, zahlreiche aber auch mehr als einen Meter stark. Sie deuten die riesigen Mengen flüssigen Gesteins an, das vor Zeiten hier emporgequollen ist. Ab und zu, aber weitaus seltener, treffen wir im Anaga auf einen Roque, einen erstarrten Vulkanschlot. Niemand hindert uns daran, die Diques als in die Breite gezogene Vulkanschlote zu begreifen. Sie ragen heute frei aus der Landschaft heraus, weil sie härter sind als das ältere Gestein, durch das sie aufgestiegen sind. Dieses und natürlich auch Material der Diques und Roques selbst wurde längst durch Erosion abgetragen und Richtung Meer befördert. Man nimmt an, dass das Anaga-Gebirge ursprünglich Höhen um 2000 m erreicht hat, wovon jetzt nur beim Cruz de Taborno noch gerade die halbe Höhe vorhanden ist.
Seit ungefähr drei Millionen Jahren wird das Gebirge nur noch abgetragen, mit der einzigen Ausnahme des Volcán de las Rozas. Dass er der jüngste Vulkan dort ist, ist unstrittig. Sein wirkliches Alter wird nach wie vor diskutiert. Je nach Datierungsverfahren bestimmen die Geologen den Zeitpunkt seiner Eruption mit 700.000 oder aber mehr als 2 Millionen Jahren vor heute. Das war die Epoche, in der sich das Rückgrat der Insel, die Cumbre dorsal, zwischen La Esperanza und dem Teide aufgebaut hat. Vielleicht hatte sich die Lava des Volcán de las Rozas „verirrt“. Gesteinsuntersuchungen ergaben Hinweise, dass sie sehr dünnflüssig gewesen sein muss. Durch den benachbarten Barranco Seco erreichte und überschwemmte sie schnell den Schuttfächer, in dem sich das von den Bergen abgetragene Gestein vor der damaligen Steilküste abgelagert hatte. Dabei entstanden die heutige Isla Baja von Punta del Hidalgo und der „rasa“ genannte, aus niedrigen Felsen und Tümpeln aufgebaute Küstenstreifen. Wahrscheinlich lag damals der Meeresspiegel niedriger, und der glühende Strom erreichte nicht das Wasser. Jedenfalls fehlen dort die sonst typischen, an Kissen erinnernden Gesteinsformen (Pillow Lava), die nur entstehen, wenn Lava in Wasser fließt.
Bergseitig, also südlich des Kraters, wuchs ein 200 m hoher Wall aus schwarzen Lapili empor und nahm die Form eines Hufeisens oder einer Kehlung an. Ein Teil der zutage getretenen Lava wurde offensichtlich mit ziemlicher Energie in die Luft geschleudert und lagerte sich neben der Austrittsöffnung ab. Talseitig nahm die fließende Lava diese Steinchen mit, sodass kein ringförmiger Krater entstehen konnte. Am südlich benachbarten Hang lagerten sich ebenfalls Lapili an, die höher als die Teilchen des Kraterrandes geschleudert und vom stetig wehenden Nordostpassat dorthin verfrachtet worden sind. Größere Basaltklötze auf der Außenseite des Kraterhügels fallen zwischen den kleinen Lapili auf. Sie wurden aus den Schlotwänden herausgerissen und dorthin geworfen. Wer einen Stein vergleichbarer Größe anhebt, kann sich vielleicht ausmalen, welche Energien hinter einem solchen, eher kleinen, Vulkanausbruch steckten.
Wie lange der Ausbruch dauerte, ist unbekannt. Schichtungen in den Ablagerungen am Kegelhang weisen zumindest darauf hin, dass es Phasen unterschiedlicher Aktivität gegeben hat.
Und wenn wir ganz oben auf all diesen Zeugen der geologischen Vergangenheit stehen, bringt uns der Blick in den tiefen Barranco seco und auf das Panorama um uns schnell zurück in eine beeindruckende Gegenwart.
Michael von Levetzow
Tenerife on Top
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