Wohin mit dem Überschuss?
Es lief einfach zu gut. Die Wirtschaft boomte, der Bevölkerung ging es finanziell immer besser, nur allzu gern wurden die verlockenden Hypotheken-Angebote der Banken mit Aussicht auf ein Eigenheim angenommen.
Madrid – Die Finanzinstitute wiederum unterstützten das blühende Geschäft der Baugesellschaften reichlich mit Krediten, überall im Land wurde gebaut, denn jeder wollte ein Stück vom Kuchen abhaben. Es wurde ohne Unterlass, ohne Kontrolle, ohne Skrupel gebaut. Schließlich geschah, was kommen musste. Die Weltwirtschaftskrise traf Spanien hart, und damit platzte auch die Immobilienblase. Zahlreiche Unternehmen gingen pleite, Millionen Arbeitsplätze verloren. Bald konnte eine wachsende Anzahl von Hypothekennehmern ihre Raten nicht mehr begleichen, es kam zu Tausenden von Zwangsräumungen, Immobilien gingen an die Banken zurück, Neubauten konnten nicht mehr an den Mann gebracht werden.
Jetzt sehen die Experten Licht am Ende des Tunnels. Die Talsohle scheint durchschritten, langsam soll es wieder bergauf gehen. Allerdings wird der stark dezimierte Bausektor viele Jahre benötigen, um sich zu erholen. Den vor einem Jahrzehnt erlebten Boom wird es wohl kaum noch einmal geben.
Doch die geplatzte Immobilienblase hat auch noch ganz andere Auswirkungen. Praktisch überall in Spanien befinden sich komplette Siedlungen, in denen niemand wohnt, oder Rohbauten, die niemals vollendet werden. Offizielle Schätzungen gehen davon aus, dass spanienweit über 600.000 neue Wohnungen und Häuser auf einen Käufer warten, dazu kommen noch einmal 800.000 unverkaufte Immobilien aus zweiter Hand, sodass der Immobilienmarkt derzeit mit 1,4 Millionen zum Verkauf stehenden Objekten vollkommen überlaufen ist. Denn Käufer gibt es trotz eines Preiseinbruchs von durchschnittlich 30% nur sehr wenige. Aktuelle Zahlen über nicht fertiggestellte Immobilien existieren nicht, die letzten Schätzungen aus dem Jahr 2008 bezifferten die Anzahl auf 384.000 Wohneinheiten. „Die nicht fertiggestellten Gebäude werden das letzte zu lösende Problem nach der Krise sein,“ prophezeite Ángel Serrano von der Immobilienberatung Aguirre Newman.
Geisterurbanisationen
Über das ganze Staatsgebiet verteilt findet man Urbanisationen, in denen kaum ein Mensch wohnt. Bei Valencia handelt es sich mit fast 7% um die Region mit den meisten neuen und zum Verkauf stehenden Wohnungen und Wohnhäusern im Vergleich zur Gesamtzahl der Immobilien. In dieser Region – und spanienweit – führend ist die Provinz Castellón mit 115.000 neuen unverkauften Objekten. Anders ausgedrückt: in dieser Provinz befinden sich 15% aller neuen und unverkauften Immobilien Spaniens, jede vierte Immobilie in Castellón steht zum Verkauf. Besonders viele Geisterurbanisationen gibt es auch in den Provinzen Toledo, Murcia, Almería, Tarragona, La Rioja und Alicante.
Ein Beispiel: Eine dieser Urbanisationen liegt im Randgebiet von Castellón. Sechs neue Wohnblöcke nahe dem einzigen Einkaufsgebiet der Gegend wurden vor drei Jahren fertiggestellt; heute wohnen in den 264 Wohnungen nicht mehr als 26 Personen. Die Straßen sind gespenstisch leer, auf dem neuen Spielplatz hört man kein Kinderlachen, nur das Umkraut breitet sich immer weiter aus.
Auch an der Mittelmeerküste reiht sich teilweise eine neue, leerstehende Immobilie an die andere, oft an ein Naturschutzgebiet angrenzend, denn während des Baubooms gab es keine Rücksicht. Teilweise verkommen die Objekte, Müll sammelt sich an, das Unkraut breitet sich aus. Für die, die schon vor dem Boom dort wohnten, wurde die Umgebung verschandelt.
Die Wende soll 2017 kommen
Es wird einige Zeit dauern, bis der Überschuss von 1,4 Millionen Wohnungen und Wohnhäusern abgebaut sein wird und die Bauwirtschaft wieder Fahrt aufnehmen kann.
In den Zeiten des Immobilien- und Baubooms war die Nachfrage immens, pro Halbjahr wurden bis zu 300.000 neue Einheiten errichtet – und manchmal schon vor der Fertigstellung verkauft. Im ersten Halbjahr dieses Jahres wurden nach den Angaben des Ministeriums für Inlandsentwicklung gerade mal 20.770 Immobilien an den Mann gebracht und etwas über 23.000 neue Objekte dem Stock hinzugefügt.
Obwohl die Preise durchschnittlich um 30% eingebrochen sind, sorgen der mangelnde Kreditfluss, das gesunkene Einkommen und die katastrophale Arbeitslosigkeit für anhaltend schwache Nachfrage. Ángel Serrano erklärte, erst bei Erholung der Wirtschaft und Ankurbelung der Kreditvergabe würde der Überschuss abgebaut werden können. Dabei soll es je nach Lage mal zügiger, beispielsweise in der Nähe des Mittelmeers oder in den Randgebieten der Großstädte, wesentlich schleppender jedoch auf dem Land, vorangehen.
Raúl García vom Schätzungsunternehmen Tinsa geht davon aus, dass dieser Prozess nicht vor 2017 einsetzen wird.
Wenn die Abrissbirne die beste Lösung ist
Hinzu kommt, dass einige Banken die für die Erhaltung der nicht verkauften Immobilien anfallenden Kosten nicht mehr tragen wollen. Irgendwann werden sie die Abrissbirne bestellen, damit der Stock weiter reduziert wird. Allein die Bad Bank Sareb hat 103 Millionen Euro für Abrisse beiseitegelegt. José García Montalvo, Professor für Wirtschaft an der Universität Pompeu Fabra, vertritt die Meinung, bei Fertigstellung eines Bauvorhabens sollte man logischerweise weiter versuchen, Käufer zu finden. Ist das Bauvorhaben nicht abgeschlossen und besteht eine realistische Möglichkeit, beispielsweise wegen der besonders günstigen Lage, später das Objekt an den Mann zu bringen, sollte dieses auch zu Ende geführt werden. Bei fehlender Attraktivität und mangelnder Nachfrage sollte aus wirtschaftlichen Gründen und nach dem Vorbild der USA ein Abriss vorgenommen werden.
Fernando Encinar von der Internet-Immobilienbörse „Idealista.com“ erklärte, die Schnelligkeit, mit welcher der Stockabbau erfolgt, würde auch für einen eventuellen Abriss der Objekte eine gewichtige Rolle spielen. Geisterurbanisationen „inmitten des Nichts“ würden eher wieder dem Erdboden gleichgemacht. Encinar kündigte bereits diverse rechtliche Probleme an, denn man wisse zwar, wie ländlicher Boden zu städtischem deklariert würde, doch der entgegengesetzte Fall sei ungeregelt. Darüber hinaus müsse geklärt werden, wer für die Abrisskosten aufkommen muss.
[bsa_pro_ad_space id=“8,13″ if_empty=“13″ delay=“5″]