Gedanken für mich – Augenblicke für Gott
Nun hat dieses neue Jahr, in das wir erst vor Kurzem gestartet sind, schon wieder ein paar Tage hinter sich und wir mit ihm. Trotzdem möchte ich uns allen gerne diesen Jahreswechsel noch einmal in Erinnerung rufen. Denn mit jedem neuen Jahr machen wir ja immer auch einen Schnitt.
Da ist das alte Jahr, welches definitiv vorbei ist und das neue fängt an. Am deutlichsten wird uns dies anhand der Uhr. Schlag Mitternacht am 31.12. begann der 1.1. und damit eben auch das Neue. Bei der Jahresendabrechnung ist das übrigens kein Haar anders. Auch da ist der Zeitpunkt klar, wann das Alte aufhört und wann neu angefangen wird. Aber natürlich ist meine persönliche „Rechnung“ nie genau am Jahresende fertig; immer nehme ich etwas mit. Und so richtig fertig und abgeschlossen mit dem alten Jahr, haben ja dann auch viele – das entnehme ich so manchen Gesprächen – erst im Februar oder sogar noch später.
So hat der Schnitt zu Neujahr auch immer etwas Willkürliches an sich, nicht unbedingt etwas Natürliches. Und wenn wir genau hinschauen, dann wird ja auch in jeder Zeitzone der Übergang neu gefeiert. Ja, wenn ich noch genauer hinschaue, dann zieht sich die gedachte Linie der Mitternacht ohne jede Unterbrechung über die ganze Erde hinweg. Von wegen in Frankfurt an der Oder und in Freiburg im Breisgau sei zur selben Zeit Mitternacht. Da liegt eine ganze Weile dazwischen. Und ein Astronom oder auch ein Geograf könnte mir jetzt wahrscheinlich ganz genau sagen, wie viele Sekunden oder gar Minuten der Differenz hier vorhanden sind. Und übrigens: Wieso feiern wir überhaupt den Jahresanfang am 1. Januar?
In der Natur sind die Übergänge fließend. Obwohl es da ja auch mal Schluss ist mit dem Winter und der Frühling kommt. Aber es kann eben auch im Februar mal so richtig frühlinghaft duften und dann im April doch noch kräftig schneien. Jede und jeder von uns kennt das. Und dieses Ungewisse und Unklare, das lieben wir Menschen nicht so. Deshalb machen wir die Schnitte schärfer und klarer. Wir verstärken die Unterschiede und geben ihnen Kontur, und auf diese Art und Weise helfen wir durch unsere Kultur der Natur etwas auf die Sprünge.
Namentlich machen uns Wachstumsprozesse zu schaffen. Sie gehen alle so langsam voran. Häufig ist doch von einem Tag zum nächsten gar nichts zu sehen – zum Beispiel, wie stark das Gras gewachsen ist, wie viel dicker eine Kartoffel geworden ist oder auch ein Schwein an Leibesfülle zugenommen hat. Aber nach vier Wochen ist das anders. Wachstum heißt und meint also: Im Übergang sein. In der Pubertät ist das bei Mädchen und Jungen besonders spürbar und für die Betroffenen selbst oft nur schwer auszuhalten. Hände und Füße, Arme und Beine wachsen, aber der Rumpf hält nicht Schritt. Ungeschickt stolpern sie durch die Gegend und finden sich selbst beschämend hässlich und einfach unvollkommen. Unmengen von Hormonen werden ausgeschüttet und verursachen Pickel, neue Gerüche und heftige körperliche Veränderungen. Schlimm, so unfertig und im Übergang zu sein.
So ein neues Jahr ist einerseits auch wie ein weißes Blatt, andererseits aber auch immer schon beschrieben – also nicht vollkommen weiß. Da sind angefangene Sätze meines Lebens, die noch fertig geschrieben werden wollen. Das neue Jahr ist auch im Übergang vom Alten ins Neue und das Alte ist noch nicht vollkommen abgelegt und zu Ende, sondern nur datumsmäßig vollendet. Das neue Jahr ist also gar nicht so blitz und blank, wie wir das immer meinen, sondern eben von Früherem schon vorgeformt und beeinflusst. Es gibt einen wunderschönen Text von Pater Teilhard de Chardin, der genau das beschreibt und darüber hinaus sehr tröstlich ist. Er war ja Paläontologe und hatte nicht nur mit Jahrtausenden, sondern mit Jahrmillionen zu tun. Da kann man schon eine Menge Geduld lernen – mit anderen, mit sich selbst und sogar mit Gott. So schreibt er:
„Hab‘ Vertrauen in das langsame Arbeiten Gottes. Ganz natürlich drängen wir in allen Dingen ungeduldig dem Ziele zu. Wir möchten die Zwischenstufen gerne überspringen. Wir leiden voller Ungeduld darunter, zu etwas Unbekanntem und Neuem unterwegs zu sein. Dabei ist es das Gesetz jedes Fortschreitens, dass sein Weg über das Unbeständige führt, und dieses Unbeständige kann eine lange Zeit dauern. Deine Gedanken reifen ganz allmählich; also, lass sie wachsen, lass sie Gestalt annehmen, ohne dabei etwas zu überstürzen! Versuche nicht, sie zu zwingen, so als könntest du heute schon sein, was die Zeit erst morgen aus dir machen wird. Schenke unserem Herrn Vertrauen, und denke, dass seine Hand dich gut durch die Finsternisse und das Werden führen wird – und nimm aus Liebe zu ihm die Angst auf dich, dich im Ungewissen und gleichsam unfertig zu fühlen.“
Dass Sie Geduld haben, wie Gott Geduld mit Ihnen, mit den anderen und mit dieser Welt hat – in aller Ungewissheit und Unfertigkeit – das wünsche ich Ihnen zu Beginn dieses Jahres 2014. Denn es wäre doch schlimm, wenn wir – Sie und ich – schon zu Jahresbeginn völlig fix und fertig wären…
Herzlichst Ihr
Bertram Bolz, Diakon
Kath. Touristen- und
Residentenseelsorger
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