Ein ungewollter Hausbesuch und die »Belegung öffentlichen Grunds«


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Selbstversuch Spanien

Der beliebte Reisejournalist Andreas Drouve berichtet aus seiner Wahlheimat. Spanische Momentaufnahmen, satirisch verdichtete Essays, skurrile Geschichten und Reportagen. Er schreckt vor keinem Tabu zurück und ist niemandem verpflichtet, keinem Stierzuchtbetrieb, keiner Partei, keiner Fluglinie, nicht einmal dem guten Geschmack. Was als Online-Kolumne begann (www.selbstversuch-spanien. de), erscheint im April 2012 als reich bebilderter Farbband: „Selbstversuch Spanien. Was mir in 52 Wochen alles vor die Hörner geriet“. Seien Sie dabei, wenn Spaniens Wirklichkeit die Klischees übertrifft!

Versteckspiel und Ausflüchte haben diesmal nichts geholfen, unsere Hausgemeinschaft ist von der eigenen Stadtverwaltung angezeigt worden.

Fernando, der Verwalter unseres Mehrparteienhauses, in dem er selber mit seiner Familie lebt, ist ein Vorbildnachbar und ein Gemütsmensch alten Schlags, den nicht einmal Mahnschreiben von Behörden aus der Ruhe bringen können. Sorgsam heftet er sie ab und folgt dem spanischen Prinzip, entweder gar nicht zu reagieren, die Angelegenheit unter fadenscheinigen Gründen hinauszuzögern oder die Zuständigen untereinander auszuspielen. Als vor Jahren mehrfach angedroht wurde, in unserem Altbau den antiquierten Aufzug aus Sicherheitsgründen zu sperren, warf er papierne Nebelbomben in mehrere Richtungen und hatte einen solch langen Atem, bis in den Ämtern die Sachbearbeiter ausgewechselt und die Erinnerungen an Fristen und Mahnungen erloschen waren.

Einmal war die Kreativabteilung seiner Schlitzohrigkeit besonders gefragt, als eine Inspektion die seit langem leerstehende Wohnung seines Onkels, zu der er einen Schlüssel und autorisierten Zutritt besaß, in Augenschein nahm. Im Laufe des Rundgangs konnte Fernando an einer bestimmten Stelle bedauerlicherweise den Lichtschalter nicht finden. So bewahrte er die Kommission vor dem schrecklichen Anblick des winzigen, nachtschwarzen Innenhofs, der fast flächendeckend von einem Relikt eingenommen wurde, das einst an dieser Stelle normal, aber nunmehr illegal war: einem Abort.

Da nicht alles im Leben gut ausgehen kann, ist es nun für unsere Hausgemeinschaft Ernst geworden. Nach zwei erfolglosen Warnbriefen erstattete die Stadtverwaltung Anzeige, als hätten wir ein Delikt begangen. Da unser Rat-haus mit dem kumpelhaften Slogan wirbt, die Stadt, das seien wir alle, entsprach das Ganze – streng genommen – einer Selbstanzeige. Kurz der Grund: Teile unserer Hausfassade müssen dringend renoviert werden, wogegen im Prinzip nichts einzuwenden ist, da zwei Regenablaufrohren aus Al-tersgründen die Mittelstücke abhanden gekommen sind und einige Balkonabstützungen gelegentlich Steinchen und Verputzteile absondern, die für die Schädeldecken des ortsansässigen Homo sapiens eine potenzielle Bedrohung darstellen.

Die Anzeige ließ Fernando nicht auf sich und uns sitzen. Er legte Protest ein und rang der Stadt eine letzte Gnadenfrist ab. Kämen wir dieser nicht nach, beauftrage die Verwaltung selbsttätig einen Bauunternehmer und stelle uns die Kosten plus dreißig Prozent Bearbeitungsgebühr in Rechnung, hieß es. In diesem Fall würden uns außerdem die bereits bewilligten Zuschüsse für den neuen Aufzug gestrichen, wobei selbst Fernando keine schlüssige Antwort geben kann, was das eine mit dem anderen zu tun hat. Also: Pistole auf die Brust, zuerst die Fassadenrenovierung, dann der Aufzug. Falls keine zuschussfreie Fassadenrenovierung, dann keine Subvention für den Aufzug. Landläufig entspricht das dem Terminus »Erpressung«, vermute ich. Im sel-ben Atemzug teilte die Stadt mit, dass die Bewohner unseres Hauses einem Verwaltungsmitarbeiter bei einem Besuchstermin die Türen zu öffnen hätten, damit dieser im Zuge des Gesamtvorgangs eine offizielle »Bewohnbarkeitsbescheinigung«, cédula de habitabilidad, ausstellen konnte. Das »Warum« für ein solches Zertifikat blieb ungeklärt, und dass wir das Haus nachweislich bewohnten, reichte als Bewohnbarkeitsnachweis leider nicht aus. Alles hatte den neuesten Bestimmungen zu entsprechen.

Fernando, der stets einen seriösen Eindruck macht und gerne Anzug trägt, legte den Termin des Besuchs auf Freitagmittag, dreizehn Uhr. Ob es nicht an einem anderen Wochentag oder früher am Morgen ginge, fragte man unseren Verwalter. Nein, unmöglich, gab er glaubhaft zurück und führte diverse Abwesenheiten von Berufstätigen an.

Freitagmittag, dreizehn Uhr, ist so ziemlich die kritischste Stunde, die sich ein Stadtbediensteter für einen Außentermin vorstellen kann, zumal jener Freitag einem bis Dienstag verlängerten Wochenende vorausging. So verlief alles rasend schnell. Der ungewollte Hausbesuch gab sich bei uns mit einem Aufenthalt von höchstens drei Minuten zufrieden und machte sich für die zu erteilende »Bewohnbarkeitsbescheinigung« nicht einmal Notizen. Und das, was Fernando und ich ausgeklügelt hatten, mit einer minutiösen Abfolge an Finten zu verbergen, wurde nicht im Entferntesten zu öffnen verlangt. Nach dem Besuch waren wir irgendwie enttäuscht, aber auch erleichtert.

Nun steht uns in Kürze das übliche Konglomerat aus Gerüstbau, Lärm und Ausgaben ins Haus, wobei – das wissen wir seit der schmerzlichen Erfahrung einer Renovierung vor Jahren – ein Teil des Geldes unserer Stadtverwaltung zufließen wird: als »Belegung öffentlichen Grunds« für die Baugerüste, ganz so, als würden wir eine Zeitlang ein Terrassencafé betreiben.

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