Gedanken für mich – Augenblicke für Gott
Mitunter gibt es Schlagworte bei uns, die zwar eine hohe Brisanz haben, die uns aber kaum noch berühren. Zum Beispiel: „Die Reichen werden immer reicher!“ Rund 600 Milliardäre besitzen die Hälfte des gesamten Weltvermögens. Oder: „Es gibt nichts Neues unter der Sonne!“ Beide Beispiele stammen von dem Weisheitslehrer Kohelet ( ca. 3. Jhdt. v. Chr.), von dem uns auch so berühmte Worte überliefert sind wie: „Es gibt für alles eine Zeit: Eine Zeit für die Liebe und eine Zeit für den Hass. Eine Zeit für den Frieden und eine Zeit für den Krieg. Eine Zeit zum Umarmen und eine Zeit zum Loslassen.“
Kohelet spricht uns aus dem Herzen, ohne eine Antwort zu haben. Wir erfahren doch beinahe täglich wie nahe Glück und Unglück, Freud und Leid, ja sogar Frieden und Krieg sind. Wir laufen auf einem mehr als schmalen Grat und stellen oft erschreckt fest, dass vor uns und hinter uns, rechts und links von uns Menschen abstürzen. In seinem Buch sagt der Weisheitslehrer mehr als 40 mal: „Alles ist Windhauch!“ Oder anders gesagt: Alles ist sinnlos. Und wenn mal wieder Depressionen uns überkommen, dann werden wir ihm diesbezüglich mehr als Recht geben.
Kohelet verzichtet darauf, zu harmonisieren und zu beschönigen. Aber man kann bei ihm eben auch lesen: „Nimm das Leben als ein Fest: Trag immer frisch gewaschene Kleider und sprenge duftendes Öl auf dein Haar! Genieße jeden Tag mit der Frau, die du liebst…“ (Koh 9,7ff) Er setzt also mitunter die pure Lebensfreude aller Sinnlosigkeit entgegen. Denn ihm ist ja auch bewusst, dass es keinen Sinn macht, nur in Traurigkeit zu versinken. Das Leben geht weiter! Oder anders gesagt: Heute ist der Tag – Dein Tag!
Vielleicht fragen Sie sich jetzt – und was hat das alles mit einer christlichen Botschaft zu tun? Ist das nicht alles etwas flach, billig und angepasst? So in den Tag hineinzuleben, das Gute zu ertragen, das kann ja wohl nicht im Sinne einer Religion sein, die sich das Engagement, die Anstrengung, das Opfer auf ihre Fahnen geschrieben hat.
Bei all dem muss aber klar sein, dass Jesus dies alles gar nicht ausklammert. Aber gegen die Sorge des Mannes, der schon alles hat und deshalb nicht weiß, wie er seinen Überfluss noch irgendwie unterbringen soll, da setzt er seine Haltung dagegen die da heißt: „Sorgt euch nicht um Morgen. Jeder Tag hat seine eigene Plage“ – und ich möchte hinzufügen: Natürlich auch an eigener Freude und an eigenem Glück.
Ich denke, dass gerade hierin unser uraltes Problem liegt: Wir haben es nicht gelernt, den Tag von Grund auf zu leben. Viele haben vielleicht bei Wüstentagen oder Pilgerreisen schon die Erfahrung gemacht, wie gut es einem tun kann, wenn man mal für eine bestimmte Zeit nur das Heute zulässt. Sich eben keinen Rückblick zu gestatten; keinen Gedanken an morgen oder gar übermorgen zu verschwenden. Wer das mal bewusst macht, der stellt sehr schnell fest, dass es da gar nicht mehr so viel zu denken, zu planen und zu sagen gibt. Es ist nicht viel, was das Heute hergibt; es ist deswegen i.a.R. auch nicht zu viel, mit dem uns das Heute belastet. Ein Tagesrucksack würde genügen, wenn wir nicht zugleich noch die Lasten der Vergangenheit und die Sorgen der Zukunft darin gerne mit einpacken wollten.
Heute ist der Tag – Dein Tag! So etwas lässt sich in den Tagen der Ferien und des Urlaubs viel besser ausprobieren als sonst. Dann erleben wir, dass der Sinn des Lebens eben nicht allein im Erfolg oder in der Leistung zu finden ist, sondern eher im Lassen. Und trotzdem spüren wir natürlich auch, dass trotz aller Loslass-Versuche unsere Sehnsucht bleibt. Wir können uns den Hintergründen und dem Sinn unseres Lebens nicht auf Dauer entziehen. Aber gerade dann, wenn wir mittendrin sind in dieser Suche und in dieser Vergeblichkeit, dann rät uns der Weisheitslehrer und damit die Bibel: „Nimm das Leben als ein Fest. Trag immer frisch gewaschene Kleider und sprenge duftendes Öl auf dein Haar! Genieße jeden Tag mit der Frau, die du liebst…“ Und was heißt das jetzt bitte schön ganz konkret? Zum einen, dass es darum geht, die Gefühle zu erspüren und sie zu zulassen die erlaubt sind, ja die so gar angeraten werden, damit kein falscher Stau unsere Lebensregungen unterdrückt. Und das andere ist ebenso selbstverständlich wie wichtig: sich nicht nur an Gefühle zu hängen. Denn: Wer sich in Liebe an einen anderen klammert, der wird genauso scheitern wie der, der seinen Hass nicht loslässt.
Christsein ist keine schwere, unerträgliche Sache. Denn Jesus sagt doch auch: „Wer mein Jünger sein will, der nehme sein Kreuz auf sich und folge mir nach!“ Es heißt wohlgemerkt „sein“ Kreuz und nicht alle Kreuze dieser Welt. Auch nicht die Kreuze von gestern und übermorgen. Das mögen all jene nicht gerne lesen, die im Namen der Kirche und des Glaubens anderen Lasten auflegen, aber selbst keinen Finger krumm machen, um diese Lasten dann tragen zu helfen. Für mich aber heißt Christsein: Solidarisch leben, lieben und leiden.
Bertram Bolz, Diakon
Kath. Touristen- und
Residentenseelsorger
Diesen und frühere Artikel können Sie nachlesen unter: www.wochenblatt.es
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