Seniorenehepaar „legal enteignet“


© Moisés Pérez

Falsche Anzeige mit Immobilienschnäppchen belohnt

Ein peinliches Versagen des tinerfeñischen Justizapparates hat dazu geführt, dass dieser Tage ein Ehepaar von 73 und 76 Jahren die Zwangsräumung seines Hauses erlebt, in dem es seit 27 Jahren lebt.

Nicht etwa die allgegenwärtige Krise und eine geplatzte Hypothek sind verantwortlich für diese private Tragödie, denn das Haus war seit Langem bezahlt. Berta Ferreira und Antonio Méndez aus Tacoronte hatten sogar etwas auf der hohen Kante, ein bescheidener, friedlicher Lebensabend schien durchaus gesichert.

Dann fiel es dem Nachbarn zur Rechten vor acht Jahren ein, Klage gegen die beiden zu erheben, weil ihr Haus teilweise auf dem Fundament seines Hauses errichtet sei und Schäden verursache. Daraufhin entspann sich eine unsägliche Kette von Nachlässigkeiten und Versäumnissen der Rechtsbeistände und Gutachter, die von Antonio und Berta hinzugezogen wurden. Dies führte dazu, dass das Ehepaar dazu verurteilt wurde, Bauarbeiten am Fundament vornehmen zu lassen. Nach einer weiteren Klage des Nachbarn wurden sie nochmals verurteilt zu Nachbesserungen mit einem Kostenaufwand in der Größenordnung von 150.000 Euro – mehr als der Wert des gesamten Hauses. Im Ganzen waren in diesem Rechtsstreit bis dahin schon rund 20.000 Euro an Kosten aufgelaufen und hatten die Ersparnisse der alten Leute aufgefressen.

Kompetente Hilfe kommt zu spät

Allen Experten und Rechtsbeiständen war es bis dahin nicht aufgefallen, dass die gesamte Klage auf einer falschen Behauptung des Nachbarn und Klägers beruhte. Eine alte Luftaufnahme beweist nämlich, dass das Haus der Senioren schon dort stand, bevor das Haus des Nachbarn errichtet wurde. Unmöglich also, dass es auf den Fundamenten des jüngeren Hauses steht. Antonio und Berta selbst konnten dies auch nicht wissen, da sie das Haus erst später fertig erworben hatten. Erst als alles schon zu spät war, brachte der neue Pflichtverteidiger die Wahrheit an den Tag.

Da also seinerzeit keiner der zahlreichen „Sachverständigen“ die Kompetenz aufbrachte, die entsprechenden Hinweise in den Archiven zu finden, nahm die Farce ungebremst ihren Verlauf. Die beiden alten Leute wollten und konnten keine 150.000 Euro für weitere Bauarbeiten am Fundament des Nachbarn aufbringen. Daraufhin ging ihr Haus in die Zwangsversteigerung.

Zunächst bot niemand dafür. Als das Haus jedoch beim letzten Termin des Versteigerungsprozesses schließlich für 65% des Schätzwertes angeboten wurde, nahmen die Dinge nochmals eine besonders perfide Wendung. Ausgerechnet der Nachbar, der die Klage erhoben und auf einer falschen Behauptung gegründet hatte, erwarb das Haus nun zum absoluten Schnäppchenpreis und strengte die Zwangsräumung gegen seine Opfer an.

Der nun erst hinzugezogene Pflichtverteidiger konnte zwar eine Verschiebung der Zwangs-räumung aufgrund des Gesundheitszustandes der beiden erwirken, seine neu gefundenen Beweise für die Unrichtigkeit der Behauptung, auf der alles fußt, nützen jedoch niemandem mehr etwas, weil alle Fristen längst abgelaufen und alle Urteile rechtskräftig sind. Es gibt in diesem zivilrechtlichen Fall auch keine Möglichkeit zur Revision, wie es bei Justizirrtümern im Strafrecht der Fall ist. Gerecht oder nicht, in den Augen der Justiz sind Tatsachen geschaffen worden, die irreversibel sind.

300 Menschen wollten die Räumung verhindern

Die Menschen aus Tacoronte stehen zu Antonio und Berta und machen massiv gegen die Zwangsräumung mobil. Zum ersten Räumungstermin am 27.10. um 9:30 Uhr fanden sich rund 300 Unterstützer vor dem Haus in der Calle Ismael Domínguez Nummer 102 ein, wild entschlossen, die Gerichtsvollzieher daran zu hindern, ihres Amtes zu walten.

Schon in den Wochen davor hatten sie demonstriert und die gesamte Straße mit schwarzem Trauerflor dekoriert. Auch diesmal kamen viele in Trauerkleidung und skandierten Protestsprüche. Kurz bevor die Gerichtsvollzieher hätten eintreffen sollen, kam dann die Nachricht, dass der Termin auf den 29. November verschoben sei. Der Jubel und die Rührung waren zunächst groß, die Stimmung wurde jedoch getrübt durch die Tatsache, dass man das Ehepaar in nur einem Monat endgültig auf die Straße setzen wird.

Der neue Anwalt gibt den Bürgerprotesten auf lange Sicht keine Chance auf Erfolg. Dem geschädigten Ehepaar bleibe nur die Möglichkeit, seine früheren Anwälte und Sachverständigen wegen der falschen Beratung, Gutachten und Fristversäumnisse auf Schadenersatz zu verklagen. Bei den Richtern sieht er keine Schuld, da sie aufgrund der Aktenlage nicht anders hätten entscheiden können. Diese letzte Aussage darf in Anbetracht der Tatsache, dass Richter nicht nur Urteile fällen, sondern auch über den korrekten Ablauf der Verfahren wachen sollen, angezweifelt werden.

Die Nachbarn und Freunde jedenfalls wollen auch zum kommenden Räumungstermin wiederkommen und sich der blinden Justitia in den Weg stellen.

Leidensgenossen zeigen sich solidarisch

Auch die Plattform der Hypothek-Betroffenen (PAH), die sich normalerweise gegen die Zwangsräumung von Familien wehren, die wegen der Krise ihre Hypothekenraten nicht mehr bezahlen können, hat sich den Demonstrationen angeschlossen und sie mitorganisiert.

Landesweit wenden sich Organisationen dieser Art gegen das herrschende Krisenmanagement, das dazu führt, dass immer mehr Häuser langfristig nicht genutzt werden, während immer mehr Familien buchstäblich auf der Straße stehen.

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