„Und hier sollte man jetzt einen Menschen hinunterstoßen!“


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„Das Drama ist ein Leben, aus dem die langweiligen Momente herausgeschnitten sind“, hat Alfred Hitchcock einmal gesagt. Es geht nicht um Wahrheit oder Realität, sondern um Echtheit und Wiedererkennbarkeit.

Wahre Begebenheiten sind mitunter fürchterlich unglaubwürdig oder langweilig. Kriminalromane dürfen dies niemals sein, aber die Menschen müssen sich in ihnen wiederfinden und erkennen können. Und wenn das Drama eine Lüge verlangt, sei’s drum! Hauptsache, das Falsche wirkt echt. Ich halte es daher mit Hitchcock, der sagte: „Man muss versuchen, die lokalen Gegebenheiten in das Drama einzubauen. Die Seen müssen da sein, damit Leute darin ertränkt werden, und die Alpen, damit sie in die Schluchten stürzen.“

Vielleicht war dies der eigentliche Grund für meine Idee, einen Gomera-Krimi zu schreiben. Als ich nämlich auf dem Berg La Merica stand und von der Steilküste in den Abgrund schaute, dachte ich mir: „Und hier sollte man jetzt einen Menschen hinunterstoßen!“

Die Kanareninsel Gomera ist wie geschaffen für einen Kriminalroman. Überall lauert der Tod. Man kann von schroffen Bergen stürzen, in den halsbrecherischen Fluten ertrinken, sich in den diversen Bars zu Tode saufen oder ganz banal auf unbeleuchteten Straßen hingemeuchelt werden. Sich all diese Gräulichkeiten auszudenken, während man gleichzeitig am schwarzen Sandstrand döst, an seinem Bier nippt und unbekleidete Menschen beim Ballspiel beobachtet, mag eigenartig anmuten, besitzt aber doch morbiden Reiz. Kriminalistische Recherche während des Sommerurlaubs.

Die atmosphärisch interessanten Orte waren bald gefunden und während ausgiebiger Wanderungen eingehend inspiziert. Spaziergänge verwandelten sich so zu Fluchtwegen, Autofahrten zu Verfolgungsjagden und Bootstouren zu Havarien. Orte sind nichts ohne Geschichte. Und waren die Lokalitäten nicht so, wie der Plot oder die Figuren sie erfordern, so musste ich eben mit ein wenig Fantasie nachhelfen. Ein amerikanisch anmutendes Motel entstand inmitten einer Bananenplantage und ein feudales Bauerngut in den Bergen, das von einer  mysteriösen Sekte zweckentfremdet wird; beides nach realen Vorbildern gestaltet, aber gänzlich verfremdet und in unbewohnte Gegenden verpflanzt. Nicht immer ist schließlich das Wiedererkennen oberstes Gebot.

Probleme bereitete nur der Brennpunkt des Lasters meines Romans, eine anrüchige Räuberhöhle im Valle Gran Rey. Eine Bar im Ortsteil Vueltas hatte es mir angetan. Sie sollte der zentrale Schauplatz meines Krimis werden, und nur ungern hätte ich sie bis zur Unkenntlichkeit verändert. Die Bar war ideal als krimineller Ort.

Also rein in die Höhle des Löwen und um Erlaubnis bitten. „Kein Problem“, sagte Christian, der Inhaber der „Cacatua-Bar“, „wenn’s nur ein Roman ist.“ Ich gestand, dass ich aus seiner Kneipe ein liederliches Lokal machen wollte. „Je verruchter, desto besser“, antwortete er trocken. „Solange du nicht an einem Reiseführer schreibst.“

Orte sind vergleichsweise einfach, denn sie wehren sich nicht. Sie sind einfach da, um zum Leben erweckt zu werden. Menschen sind da schon etwas schwieriger. Das Zauberwort lautet „Milieu“. Oder „Szene“. Und stets unter dem Aspekt der Authentizität!

Im Valle Gran Rey gibt es von alldem jede Menge. Man wird mit Milieu und Szene geradezu bombardiert. Esoterik-Milieu, Alternativkultur, Drogenszene, Subkultur und Hippie-Milieu. Das Valle (wie alle den Ort liebevoll nennen) ist die Hochburg des deutschen Alternativtourismus auf Gomera. Zwar längst kein Geheimtipp mehr, aber immer noch gut genug, um Hippie-Reminiszenzen wach werden oder sich in einem der vielen Psycho-Workshops therapieren zu lassen.

Als Autor, sollte man meinen, braucht man bloß die Augen offenzuhalten und die Ohren zu spitzen, und schon hat man ihn, den ominösen Zeitgeist. Von wegen! Das Leben im Alternativ-Biotop führt zu bedauerlicher Klischee-Bildung, die sich in der Reproduktion in einem Roman höchst albern ausnehmen würde. Batiktücher, Blockflötenspieler am Strand, indianische Ohrkerzen-Therapie und Steinorakel gehören – in Geballtheit – zur gomerischen Realität. Die Wiedergabe dieser Realität – in Geballtheit – würde zur Unglaubwürdigkeit führen. Also muss gemildert werden, um die Intensität nicht zu verringern. Und um Wiedererkennen nicht zu gefährden. Sämtliche Figuren in meinem Gomera-Krimi haben reale und real erlebte Vorbilder, aber keine Figur ist so gestaltet, dass ein einzelner sich geoutet oder ertappt fühlen könnte.

Wie also recherchiere ich einen Krimi? Sicherlich nicht, indem ich die Realität kopiere und mich mit Stenoblock und Fotoapparat auf die Lauer lege. Und ebenso wenig, indem ich Stadtpläne abschreibe, nachdem ich mich in Stadtmagazinen über die obligatorischen Treffs und Sehenswürdigkeiten informiert habe.

Ich sage nicht, dass man auf diese Weise keinen Krimi

zustande bringt, allerdings möchte ich nur Krimis über Ort und Menschen schreiben, die ich kenne und erlebt habe, die ich liebe oder, noch besser, die ich hasse. Um sie dann nach Gusto zu verändern, in Einzelteile zu zerlegen und neu zusammenzusetzen. Man sollte nur wissen, wovon man schreibt. Oder sich im Klaren sein, wen man kopiert.

Und wenn sich die Recherche mit einem Urlaub in der Sonne verbinden lässt, umso besser!

Kontakt zum Zech Verlag:

Verena Zech

Tel. 922302596

info@zech-verlag.com

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