» Mit den Augen des Naturwissenschaftlers «
Laurisilva, Lorbeerwald. Typisch kanarisch, jedenfalls für die vier westlichen Inseln. Für die Landschaft fast schon wie das tägliche Gofio für die Guanchen: schlichtweg unverzichtbar. Wo die Laurisilva verschwindet, werden die Niederschläge geringer und das Inselklima wüstenartiger. Grund genug, sie streng zu schützen. Im Nationalpark von Garajonay auf La Gomera, großen Teilen des Anaga-Gebirges und des Teno-Gebirges auf Teneriffa, im Bosque de Los Tilos auf La Palma und im Norden von El Hierro laden uns diese besonderen Wälder zum Wandern ein. Besonders sind sie nicht nur, weil es sie, abgesehen von einigen Restbeständen auf den Azoren und Madeira, weltweit nur hier gibt. Sie repräsentieren auch eine höchst lebendige Pflan- zengesellschaft, die bis vor gut zwei Millionen Jahren große Teile der heutigen Subtropen bedeckte und dort mit dem Beginn der Eiszeiten ausgestorben ist. Sogenannte lebende Fossilien sind schon sehr selten, fossile Lebensgemeinschaften aus zahlreichen solcher Arten extreme Ausnahmen. Die klimatisch isolierte Lage auf unseren Inseln machte ihr Überleben möglich. Es sind nicht nur einige wenige Arten, die den Lorbeerwald bilden – die Gegend um EL Pijaral, die nur mit schriftlicher Erlaubnis betreten werden darf, gehört zum Artenreichsten, was unsere Erde bietet. Kanarische Wissenschaftler verweisen mit Stolz darauf, und aus aller Welt reisen Forscher an.
Lorbeerwald besteht nicht nur aus Lorbeerbäumen. Den Laurel, mit wissenschaftlichem Namen Laurus novocanariensis, erkennen wir leicht, wenn wir seine Blätter betrachten. Fast überall dort, wo von der dicken Hauptader Seitenadern abzweigen, entdecken wir einen kleinen, gut sichtbaren Punkt, eine Drüse. Oft genug entdecken wir aber diese Drüsen nicht, weil wir keinen Lorbeerbaum, sondern einen Baum mit lorbeerähnlichen Blättern vor uns haben. Von wenigen Ausnahmen abgesehen, hilft uns dann nur noch ein gutes Bestimmungsbuch oder ein gut ausgebildeter Führer weiter. Beides hatten die Bauern früher nicht, und trotzdem wählten sie sehr gezielt die verschiedenen Baumarten für ganz bestimmte Zwecke aus. Denn jedes Holz hat spezifische Eigenschaften. Barbusano und Palo Blanco sind zum Beispiel sehr hart und sehr stabil. Damit baute man tragende Strukturen. Acebiño hingegen ist nicht nur stark, sondern auch elastisch. Noch heute werden daraus gerne die Palos, die langen Bergstöcke der Hirten und heimischen Wanderer hergestellt. Sie sind unverzichtbar, will man sich auf sehr steilen weglosen Hängen sicher bewegen.
Weit verbreitet und auch gut zu erkennen ist Brezo, die Baumheide, deren hartes und festes Holz früher ebenfalls ein begehrter Werkstoff war. Ihre kleinen Blättchen sind seitlich etwas eingerollt und erinnern an sehr kleine Tannennadeln. Das ist eine gute Anpassung an heiße und trockene Umgebung, und so treffen wir sie auch an Orten, an denen der Lorbeerwald entweder früher abgeholzt worden ist oder wegen Feuchtigkeitsmangel nicht wachsen kann. Wo horizontaler Regen regelmäßig auftritt, gab es früher Laurisilva. Selbst wenn die Menschen hier kein Bauholz benötigten, wurden die Wälder abgeholzt und – legal wie illegal – zu Holzkohle verarbeitet. Es gab keine anderen Brennstoffe in den Haushalten. Erst mit dem einsetzenden Verkauf von Butangas nach dem Ersten Weltkrieg änderte sich das. Das Butangas hat den Lorbeerwald gerettet.
Die Nadelblättchen des Brezo sind spiralförmig um die Zweige angeordnet. Schaut man sie von der Zweigspitze her an, ist keine besondere Ordnung erkennbar. Erkennen wir aber eine ganz regelmäßige, an einen Stern erinnernde sechsstrahlige Anordnung, stehen wir nicht vor einem Brezo, sondern vor einem Tejo, der Besen-Heide. Schnell fällt auch auf, dass diese Nädelchen etwas länger sind. Im Gegensatz zum Brezo, der auch in Ost-Afrika und um das Mittelmeer bis zum Schwarzen Meer vorkommt, ist die hier vorkommende Unter-Art endemisch, ein echter Canario also.
Wenn wir schon dabei sind, es gibt hier noch ein drittes Heidekraut-Gewächs. Ebenfalls ein echter Canario. Dieser lebt aber bevorzugt am unteren Rand der Laurisilva, wo es etwas trockener und wärmer ist. Seine Blätter sind allerdings für die Heidekräuter, wie wir sie kennen, ziemlich untypisch. Sie sehen aus wie in die Länge gezogene Lorbeerblätter, wenn auch ohne die Drüsenpunkte und am Rand leicht gesägt. In großen Fetzen löst sich seine Borke vom Stamm, der darunter in sattem Braun und sehr glatt erscheint. Seine reifen, orange leuchtenden Früchte erinnern von weitem an kleine Mandarinen. Wie bei allen Heidekrautgewächsen sind die Blüten klein und glockenförmig. Beim Madroño, dem Kanarischen Erdbeerbaum (Foto unten), um den es sich hier handelt, finden wir die Blüten oft gemeinsam mit zahlreichen reifen Früchten. Diese brauchen nämlich von der Blüte bis zur Reife zwei Jahre. Sie sind essbar, haben aber eine adstringierende Wirkung, ziehen Schleimhäute und Blutgefäße zusammen, weshalb sie früher auch in der Volksmedizin benutzt wurden.
Drei nah verwandte, aber deutlich unterscheidbare Arten im selben Lebensraum sind für Biologen auffällig und werfen die Frage nach der Entstehung auf; denn solche Unterschiede bilden sich nicht im selben Gebiet heraus. Obwohl sie mit Sicherheit von der selben Pflanzenart abstammen, müssen die drei Arten in unterschiedlichen Regionen und unabhängig voneinander entstanden sein. Anderenfalls hätten ständige Kreuzungen zwischen ihnen diese Entwicklung verhindert.
In der Tat haben molekulargenetische Untersuchungen für jede der drei Arten ein anderes Herkunftsgebiet belegt: Brezo hat seinen Ursprung in Afrika, Tejo ist in Europa entstanden, und der Madroño stammt aus Amerika. Wie auch der Tejo hat er sich im Verlauf von mehr als zwei Millionen Jahren auf den westlichen Kanaren zu einer eigenen Art entwickelt, die sich von den Arten im jeweiligen Herkunftsgebiet gut unterscheiden lässt. Die Heidekrautgewächse sind bei näherem Hinsehen gar nicht so uninteressant – zumindest geben sie uns einen kleinen Einblick in die Werkstatt der Evolution.
Michael von Levetzow
Tenerife on Top
Tel. 922 383 450
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