Gedanken für mich – Augenblicke für Gott
Es gibt Ereignisse, die unser Leben mitunter ganz gewaltig aus den Fugen geraten lassen: Das kann eine Kündigung sein, die Versetzung an eine andere Arbeitsstelle, ein Umzug, die Krankheit oder der Tod eines lieben Menschen.
Es kann aber auch eine Naturkatastrophe sein, wie wir sie derzeit mit ihren ganzen verheerenden Auswirkungen in Japan, einem hoch industrialisierten und mit seiner Bevölkerungszahl von mehr als 120 Millionen an zehnter Stelle der Erde stehenden Land, mitverfolgen und erleben müssen. Seit dem 11. März, als dieses verheerende Erdbeben im Pazifischen Ozean einen Tsunami auslöste und in der Folge davon eine nukleare Katastrophe mit sich brachte, ist in diesem Land und auf dieser Welt nichts mehr so, wie es vorher war. Wie das alles weitergehen, wie es enden wird – niemand kann derzeit darüber auch nur ein klein wenig fundierte Prognosen anstellen.
Katastrophen von solch unvorstellbaren Ausmaßen sind, das spüre ich immer wieder, die schärfste Anfrage an meinen Glauben. Denn Katastrophen wie diese, die kann ich nicht unbedingt der Freiheit des Menschen anlasten, wie z.B. nine-eleven, also den 9.11. damals in New York. Damals konnte man sagen, das ist menschengemacht; das entstand aus der Verantwortung von ein paar irregeleiteten Fundamentalisten. Aber Naturkatastrophen, bei denen durch ein Erdbeben Tausende ums Leben kommen, das kann ich nicht verstehen angesichts eines Gottes, der ein liebender sein soll. Sicher: Ich gebe zu, es ist schwierig. Hätten die Kernkraftwerke nicht unmittelbar in Meeresnähe gestanden, dann wäre die nukleare Katastrophe vielleicht ausgeblieben. Aber auch das Erdbeben an sich hat ja bereits eine verheerende Wirkung gehabt. Mir fällt da oft nichts anderes mehr ein, als nur noch schweigen. Denn alle Antwortversuche, die führen doch letztlich zu nichts. Ich kann, so wie ich es für mich wahrnehme, nur zweierlei tun:
Helfen, und zwar in dem bescheidenen Maße, wie es mir möglich ist und mich dabei mittragen und ermutigen lassen von der weltweiten Gemeinschaft, die genauso empfindet. Und: Ich kann klagen und fragen. Weil genau das etwas vom Menschlichsten ist, das es überhaupt gibt. Selbst der, der als Sohn Gottes gilt, hat geweint über das Elend der Menschen und geklagt über seine eigene Verlassenheit, bevor er sterben musste. Und ich – ich werde auch nicht aufhören zu fragen. Weil genau das ein guter Kampf gegen die Sinnlosigkeit und eine falsche Schicksalsergebenheit ist. Ich werde hier fragen in meinen stillen Gebeten. Immer wieder, nicht nur bei den großen Katastrophen der Menschheit, sondern auch bei den vielen Einzelschicksalen im Alltag. Wenn ich dann später vor ihm stehen werde, meinem Gott und Erlöser, dann werde ich – falls Fragen dann überhaupt noch einen Sinn machen – sicherlich diese, meine wichtigste Frage stellen: Mein Gott, warum?
Jetzt aber, in diesen Tagen und Stunden kann ich nichts anderes, als Sie, die Sie diesen Text lesen, einzuladen mit mir zu beten. Für die vielen Opfer dieses Unglücks dort und ihre Angehörigen. Dass Gott selbst die Toten und die Überlebenden in seiner Hand halten möge. Dass sie sich nicht ganz und gar verlassen fühlen müssen, sondern spüren dürfen, dass Menschen an ihrer Seite stehen, die sie nicht vergessen; dass sie spüren, es gibt jemanden, der auch jetzt noch Halt schenken kann und schenken will. Ich möchte auch für die vielen Helferinnen und Helfer beten, die sich großer Gefahr aussetzen in ihrem Tun für die Nächsten. Die oft nicht wissen, was mit ihnen selbst am Ende passieren wird, die aber nicht in erster Linie an sich, sondern die anderen denken und wie vielleicht noch größerer Schaden für die ganze Menschheit verhindert werden kann. Lass all diese Helferinnen und Helfer nicht den Überblick verlieren und lass sie das Richtige tun – für sich selbst und für andere. Vielleicht spüren die so Betroffenen in den Unglücksgebieten, wie Ihnen doch Hilfe zuteil wird und dass sie in all Ihrem Leid nicht allein gelassen sind.
Ich möchte aber auch dafür beten, dass wir – alle Menschen und nicht nur Politiker oder sonst Verantwortliche – die richtigen Schlüsse und Schlussfolgerungen aus diesem Unglück für uns ziehen. Nicht nur durch das Reden angesichts der Katastrophe, sondern auch durch eine andere Energiepolitik. Es gibt Alternativen und wir sollten sie fordern, fördern und stützen.
Beten – viel mehr können wir nicht tun – und Spenden, wo unsere tatkräftige Hilfe diesbezüglich gefragt ist. Nur so ist etwas für die Menschen in Japan zu spüren von dem, was wir unter den Worten: Menschlichkeit, Nähe, Solidarität und auch Nächstenliebe verstehen. Die Frage nach dem Leid ist damit nicht beantwortet, aber ich kann sie so ein klein wenig leichter tragen und ertragen.
Ihr
Bertram Bolz, Diakon
Kath. Touristen- und
Residentenseelsorger
Diesen und frühere Artikel können Sie nachlesen unter: www.katholische-gemeinde-teneriffa.de oder bei www.wochenblatt.es
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