„Wie ich meinen Glauben verlor“


Gedanken für mich ­– Augenblicke für Gott

Kennen Sie den österreichischen Schriftsteller Alexander Roda Roda? Er wurde 1872 in Mähren geboren und verstarb 1945 in New York. Bekannt gemacht haben ihn vor allem seine humorvollen Geschichten über die Zeit der österreichischen Monarchie. Eine davon heißt „Wie ich meinen Glauben verlor“. Ich erzähle sie hier einfach mal aus dem Gedächtnis nach.

Ein frommer junger Mann liegt am Sonntagmorgen in seinem Bett. So um diese Jahreszeit, die wir derzeit haben. Morgens um 5.30 Uhr, es ist dunkel und kühl. Er wollte in die Kirche gehen, aber im Bett ist es so wunderschön warm. Das Zimmer ist recht kühl und riesengroß. Steinfußboden. Brrr. Die Filzpantoffeln am anderen Ende des Zimmers. Furchtbar. Die Hauswirtschafterin ist schon unterwegs in die Frühmesse. Er beginnt zu beten: „Lieber Gott, Du bist groß und allmächtig. Du kannst alles. Ich bitte Dich um einen ganz, ganz kleinen Gefallen. Kannst Du mir nicht meine Filzpantoffeln ans Bett bringen, damit ich aufstehen und Dich lobpreisen kann? Das ist doch wirklich nur eine ganz kleine Sache. Was ist das schon für Dich, der Du Monde und Sterne lenkst?“

Er betet und betet. Nichts passiert. Er versucht inniger zu beten. Eine Stunde ist vorüber. Er betet weiter, ob ihm Gott nicht doch den ganz, ganz kleinen Gefallen tun wird. Das Gebet steigert sich in Heftigkeit. Der junge Mann ist zunehmend enttäuscht. Die zweite Stunde geht jetzt schon zu Ende. Es geschieht nichts. Als die Hauswirtin aus der Frühmesse zurück ist, schickt er sie, ihm Haeckels „Welträtsel“ (erschienen 1899) zu besorgen. Das war damals die große Atheistenbibel, der heute vielleicht Richard Dawkins Buch „Der Gotteswahn“ entspricht. Er hatte seinen Glauben verloren.

Was meinen Sie? Hat er mit Recht seinen Glauben verloren? Sie lachen. Warum? Warum genau ist das lächerlich? Lesen Sie jetzt nicht weiter, sondern versuchen Sie mal selbst mit eigenen Worten zu sagen, was da alles „unmöglich“ ist.

Ja, natürlich, die Bitte selbst ist lächerlich. Um so etwas würden Sie nie beten. Warum nicht? Man darf doch Gott um alles bitten oder etwa nicht? Beim Evangelisten Johannes heißt es doch: „Bittet um alles, was ihr wollt, ihr werdet es erhalten.“ Wieso darf ich ihn dann nicht um einen solch kleinen Gefallen bitten? Für Gottes Allmacht ist das doch wirklich eine Winzigkeit. Dennoch passt es nicht. Warum?

Ja, genau! Er hätte selbst aufstehen können, um die Filzpantoffeln zu holen. Also das Erste, was wir festhalten können, ist: Gott wird uns nichts abnehmen, was wir selbst tun können, auch wenn wir dabei kalte Füße bekommen. Er erwartet vielmehr, dass wir von unseren Fähigkeiten Gebrauch machen. Er will sogar, dass wir etwas wagen. Dass wir mutig sind und nicht feige und zurückhaltend. Denken Sie an das berühmte Gleichnis von den Talenten. Der, der seine Talente vergräbt und sie nicht erprobt und aufs Spiel setzt, wird dafür bestraft.

Für mich war eine Lehre in dieser Hinsicht, dass zum Beispiel Gott unsere Konflikte nicht löst, die wir selber lösen können. Wie heftig habe ich schon gebetet: „Gib doch, dass sich dieser Konflikt zwischen  uns beiden löst und verschwindet!“ Nichts passierte – aber Gott schenkte mir die Einsicht, dass er nichts tut, was wir selbst können und auch müssen. Er kann uns die Vergebung und Versöhnung gar nicht abnehmen. Freilich dürfen und müssen wir beten, dass wir die Konflikte in seinem Geiste angehen und zu lösen versuchen. Aber er nimmt mir nicht ab, auf  den anderen zuzugehen und das Meine zu tun. Ich kann beten, so viel ich will, wenn ich meinen Anteil nicht übernehme, wird nichts passieren.

Es gibt aber noch einen anderen wichtigen Grund, warum die Geschichte so lächerlich ist. Es stimmt etwas nicht mit der Beziehung des jungen Mannes zu Gott. Denn er stellt die Beziehung zu Gott auf den Kopf. Gott soll ihn bedienen. Nicht er will Diener Gottes sein. Wenn ich alt genug und gesund und nicht gar zu dick bin, dann muss ich meine Schuhbänder wohl oder übel selbst zubinden. Da ist es eine Unverschämtheit und Frechheit, eine Verletzung der Menschenwürde, wenn es jemand anderes für mich tun soll. Das trifft genauso auf meine Bitten Gott gegenüber zu. Also gilt als Zweites: Jedes Bittgebet hat  auch mit meiner Gottesbeziehung zu tun. Ja, es zeigt, wie unsere Beziehung ist. Das ist anfangs oft noch sehr unreif und vielleicht sogar kindlich. Es sollte aber erwachsen werden und Gottes würdig sein. Und nicht das Verhältnis zwischen Gott und dem Menschen auf den Kopf stellen und Gott zu unserem  Diener machen.

Und damit sind wir beim dritten Punkt, warum die Geschichte lächerlich ist. Wir können und dürfen Gott nicht zwingen. So wie Gott unsere Freiheit achtet und ernst nimmt, so müssen auch wir  Gottes Freiheit achten. Er muss unsere Bitten nicht erfüllen. Er ist frei und bleibt frei. So wie wir ja oft und oft Gottes Bitten an uns nicht erhören. Wie sagt Paulus so schön: „Wir bitten an Gottes statt, lasst euch mit Gott versöhnen.“ Aber wir wollen lieber unversöhnt und bitter und beleidigt bleiben. Oder wie oft habe ich schon gespürt, Gott ruft mich, aber ich warte und warte und bleibe in meinem Bett liegen. Gott zwingt uns nicht. Wenn wir versuchen Gott zu zwingen, dann betreiben wir Magie. Mit Magie versucht man Gott (oder irgendwelche Geister) zu etwas zu zwingen. Und dann gebrauchen wir Gott zu unseren eigenen Zwecken wie ein Ding oder wie eine Maschine.

So viel für heute. Natürlich habe ich jetzt erst einmal nur die Grenzen zum falschen Bittgebet gezeigt, und es sind immer noch viele Fragen offen. Aber es lohnt, über diese drei Missverständnisse und Missverhältnisse nachzudenken, denn sie lösen etliche unserer Probleme mit dem Bittgebet. Meine Bitte am Schluss an Sie: Verlieren Sie Ihren Glauben nicht!

Herzlichst, Ihr

Bertram Bolz, Diakon

Kath. Touristen- und

Residentenseelsorger

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