Gedanken für mich – Augenblicke für Gott
In diesen Tagen feiern wir „Allerheiligen“ und „Allerseelen“. Tage, an denen wir uns besonders unserer lieben Verstorbenen erinnern; Tage, die uns – auch in den Tagen des Urlaubs – an das Ende des Lebens denken lassen.
Nicht nur auf den Friedhöfen brennen in diesen Tagen mehr Kerzen als sonst; auch in den Kirchen werden vermehrt Kerzen und Lichter angezündet – gerade von Menschen, die vielleicht im Moment keine Gelegenheit haben, einen Friedhof aufzusuchen, die aber so ihre besondere Verbindung zu lieben Verstorbenen zum Ausdruck bringen möchten.
Ich finde es gut, dass es solche Orte gibt, auch wenn immer mehr Menschen – ich denke da ganz besonders an die Möglichkeiten, die einem hier auf Teneriffa geboten sind – darauf verzichten und sich anonym beerdigen oder die Asche im Meer oder sonstwo verstreuen lassen. Und das oft nicht nur aus praktischen Gründen. Die Toten nicht aus dem Blick zu lassen, ihre Gräber als Orte der Erinnerung zu pflegen, das halte ich für außerordentlich wichtig. Auch wenn dies für uns Christen nicht der letzte Ort ist.
Der älteste Totengedenktag war ja ursprünglich Ostern. Das hatte durchaus seinen tieferen Sinn; Tod und Auferstehung gehören untrennbar zusammen. Wenn wir das aber im Hinterkopf haben, dann kann uns ein Gedenktag wie Allerseelen einiges sagen. Lassen Sie mich Ihnen nur zwei Gedanken näherbringen:
Die Wand, vor die uns der Tod lieber Menschen oft ohne Vorwarnung stellt, ist keine endgültige. Wir erinnern uns an die Toten nicht so, wie an zu Ende gegangene Geschichten, sondern als Christen glauben wir, dass sie leben. So verrückt das für den einen oder die andere von Ihnen auch klingen mag und so unvorstellbar selbst Christen das oft erscheint – unsere Toten leben! Zwar nicht so wie wir, sondern in einer anderen Form, jenseits der Grenze, die der Tod uns aufzeigt. Aber sie leben, und unsere Liebe zu ihnen reicht auch über den Tod hinaus. Ein Erlebnis in meiner langen Zeit als Seelsorger hat mir das besonders deutlich gemacht: Ein älterer Mann war verstorben. Während ich mit seiner Frau nun im Wohnzimmer saß, wurde dem Toten im Schlafzimmer sein Anzug angezogen. Es war Hochsommer, und wegen der Hitze wurde das Zimmer verdunkelt. Als nun die alte Frau ihren Mann so im festlichen Anzug sah, da sagte sie kopfschüttelnd: „Zieht ihm bitte das Jackett wieder aus. Es ist doch viel zu warm.“
Man kann lächeln und sagen: Das ist doch naiv. Aber war die Liebe schon jemals vernünftig? Wie viele stellen über Wochen einen zusätzlichen Teller auf den Tisch, richten die Kleider eines lieben Verstorbenen her, lassen Zimmer über Monate in unberührtem Zustand oder führen Zwiegespräche – ganz so, als wäre der andere noch da. Das Grab ist nicht das letzte Kapitel unserer Geschichte mit Gott und den Menschen.
Der zweite Gedanke führt nicht zum Friedhof, sondern von ihm weg. Ich erinnere mich an einen priesterlichen Freund, den ich nach seinen Vikarsjahren, in denen wir teilweise in einer Gemeinde miteinander gearbeitet hatten, nur noch sporadisch sah. Beide hatten wir an unseren eigenen Stellen alle Hände voll zu tun. Hin und wieder gab es mal ein Telefonat oder ein flüchtiges Sehen in einer Ordinariats-Dienststelle. Dann erreichte mich die Nachricht von seiner Selbsttötung. Zu seiner Beerdigung nahm ich mir die Zeit. Und: Ich weiß auch noch, wie sehr mir der Gedanke nahe ging, ihm diese Zeit nicht früher geschenkt zu haben. Alles was mir in den Monaten zuvor aufgefallen bzw. was mir durch andere gesagt worden war – jetzt konnte ich es nicht mehr anbringen; die Worte blieben ungesagt.
Wie viele Menschen gibt es, deren Wert man erst beim Abschied erkennt. Wäre der Tod wirklich die endgültige Grenze, man müsste manchmal verzweifeln. Aber das ist sie nicht. Die Liebe und Zuneigung geht über den Tod hinaus. Und genau mit dieser Hoffnung denken wir an Allerseelen an alle, die wir hier vermissen, aber auch an die, deren Namen keiner mehr nennt. Wir beten für die, die alt und lebenssatt ihr Leben vollendet haben und ganz besonders für die, die aus ihm herausgerissen wurden – wie z.B. die Opfer der Flutkatastrophen in den USA und Mittelamerika oder des Erdbebens in Kaschmir. Wir dürfen aber auch an uns selbst denken – an die Tatsache, dass wir nämlich am Ende nicht ins Leere fallen, sondern ankommen. Dabei dürfen wir uns das Spekulieren darüber, wie der Himmel aussieht ersparen. Gott wird da sein – und das genügt. Wie sagte ein arabischer Dichter: „Der Tod lauert – das Leben auch!“
Ihr Bertram Bolz, Diakon
Kath. Touristen- und
Residentenseelsorger
Diesen und frühere Artikel können Sie nachlesen unter: www.wochenblatt-kanaren.com
PS: Nur wo Sie diesen Artikel lesen, können Sie sicher sein, dass es sich um die Herausgeber handelt, die Sie schon immer als die Redaktion des ehemaligen „Wochenspiegels“ kennen- und schätzen gelernt haben und die es verdient haben, dass Sie ihnen auch weiterhin das Vertrauen als „Wochenblatt“ schenken.
[bsa_pro_ad_space id=“8,13″ if_empty=“13″ delay=“5″]