Wandern und Entdecken

Michael von Levetzow Tenerife on Top

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und läuft und läuft …

Sage niemand, es komme in der Sprache nicht auf Genauigkeit an! Neptun hatte sein „Reich im Wasser“, manche Nymphen und Nixen ebenso. Inseln können „reich an Wasser“ sein und manche Menschen „reich durch Wasser“. Unter den Kanarischen Inseln ist Teneriffa reich an Wasser, der Norden von La Palma, der grünen Insel, ebenso. El Hierro, die kleinste und westlichste unserer Inseln hingegen ist wasserarm. Eigentlich sollten vulkanische Inseln ziemlich wasserarm sein – trotz und zugleich wegen der zahlreichen Felsen, aus denen sie großenteils bestehen. Von geschlossenen Felsflächen würde Regenwasser schnell ablaufen, um im Meer zu verschwinden. Vulkanisches Gestein enthält aber viele Risse und Klüfte, in denen Wasser versickert. Sie entstanden, als sich die heiße Gesteinsschmelze, aus deren ihre Gesteine einst entstanden, abkühlte und zusammenzog. Solche Risssysteme würden bis in den Meeresboden reichen, wären nicht hin und wieder in unterschiedlichen Tiefen durch geologische Prozesse wasserundurchlässige Schichten entstanden, die das weitere Versickern beenden. Nur über ihnen kann sich Grundwasser sammeln und an geeigneten Stellen im Bereich sogenannter Quellhorizonte wieder an die Oberfläche gelangen. Deswegen orientierten sich die Ersten, die auf der Suche nach mehr Wasser, Stollen in die Berge der Insel trieben, an den schon vorhandenen Quellen. Mit den aus dem frühen Wasserbergbau gewonnenen Erfahrungen konnte später der große Geologe Telesforo Bravo herausfinden, welche Formationen wasserundurchlässig sind und wo sich der Bau einer Galería wahrscheinlich lohnte.

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Schon seit der Eroberung der Insel waren die Besitzer der Wasserrechte durch ihr Wasser reich geworden. Mit dem Ende des 19. Jahrhunderts einsetzenden Wasserbergbau entstanden daneben Aktiengesellschaften, die die Minenarbeiten finanzierten. So konnten auch weniger Reiche durch Kauf und Besitz von Wasseraktien ihre wirtschaftliche Situation verbessern. Wasseraktien wurden in der Mitte des vergangenen Jahrhunderts, anstelle einer nicht existierenden Sozialversicherung, zur Alterssicherung der Landbevölkerung. Glücklich durfte und darf sich schätzen, wer Aktien einer richtig gut sprudelnden Galería besitzt.
In den ausgedehnten Kiefernwäldern oberhalb der Ortschaft La Guancha führt ein Weg von der Zona de Acampada del Barranco de la Arena am Barranco de Vergara steil aufwärts zur Galería de Vergara I, stellenweise auf einem alten Pfad. Dieser wurde so steil angelegt, weil auf ihm schwere Baumstämme zur Küste hinabgeschleift werden sollten. Das geht in steilem Gelände leichter, ist dafür aber umso gefährlicher. Wem der Originalanstieg zu steil ist, kann ohne großen Zeitverlust über die wesentlich jüngere Forstpis-te hinaufwandern. Die Erbauer des Fahrwegs und der Galería waren sehr sparsam; erst nachdem der Wasserstollen fertiggestellt war und seine hohe Ergiebigkeit feststand, wurde der Fahrweg nachträglich gebaut. Deswegen konnte beim Bau der Galerie nur das Material verwendet werden, das mit Muskelkraft dorthin gebracht werden konnte. Auch der Tunnel selbst wurde in mühevoller Handarbeit in den Berg getrieben, wobei man nicht vergessen darf, dass die Temperatur umso wärmer wurde, je weiter man sich in den Berg vorangegraben hatte. Immerhin beträgt die Stollenlänge gute drei Kilometer. Der Lohn dieser unvorstellbaren Mühen war die ergiebigs-te Wassergewinnung aller sieben (manche zählen acht) Inseln. Als einzige Galerie zapft sie den Wasserspeicher unter den Cañadas del Teide an. Dieser ist von allen anderen, weniger hoch gelegenen unterirdischen Wasservorkommen durch undurchlässige Schichten getrennt.

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Neben der Wärme bedrohten giftige Gase, die dem Berg unaufhörlich durch Risse und Spalten entweichen, die Bergleute. Nicht nur hier passierten immer wieder Unfälle. Es dauerte lange, bis die Zusammenhänge erkannt wurden; denn Kohlenmonoxid und Kohlendioxid sind farb- und geruchslos. Kohlenmonoxidvergiftete haben außerdem eine rosige Gesichtsfarbe, man erkennt nicht so leicht ihre Lebensgefahr. Es war ebenfalls Telesforo Bravo, der die entscheidenden Hinweise lieferte. Die Bergleute wussten allerdings schon länger, dass der Berg wetterbedingt atmet. Es gibt Tage, da weht ihnen beim Betreten des Stollens ein leichter Wind entgegen, an anderen ist es umgekehrt. Diese sind weniger gefährlich. Um gleich beim Betreten der Baustelle erkennen zu können, ob der Berg ein- oder ausatmet, hängten sie leichte Stoffstücke unter die Decke, die die Windrichtung anzeigten. Heute hängen dort manchmal Plastikstreifen; denn noch immer muss die Galería mindestens zweimal jährlich inspiziert werden. Heutzutage fährt man dazu mit einer kleinen Lokomotive bis fast an den Kegel des Pico del Teide.
Mehrere gepflegte Gebäude in der Nähe des Stolleneingangs weisen deutlich auf die gute Gewinnlage des Unternehmens hin. An vielen Tagen kann man dort auch einen Angestellten antreffen, der nach dem Rechten sieht. Bereitwillig beantwortete er alle Fragen zum Wasser und zur Anlage. Vielleicht waren wir ihm sympatisch; denn er öffnete für uns die beiden Maschinenhäuser, in deren jedem ein großer dieselbetriebener Kompressor bei Bedarf arbeitet. Der eine, ein spanisches Fabrikat, saugt die möglicherweise giftige Luft aus der Röhre, der andere, einst in Köln hergestellt, pumpt Frischluft hinein. Blitzblank und gut gewartet sind sie und laufen seit einem halben Jahrhundert zuverlässig. Noch beständiger ist hier oben nur noch der stetige Wasserfluss – es läuft und läuft und läuft … Nachdem wir auch die alte traditionelle Messvorrichtung und eine moderne elektronische Messanlage des Durchflusses besichtigt hatten, lud er uns zum gemütlichen Unterkunftshaus ein, vor dessen Veranda ein kleiner Weingarten verblüfft. Nicht ohne Stolz präsentierte er den hier erzeugten Weißwein, immerhin aus der höchsten Anbaulage der Nordseite der Insel. An Aroma und Gehalt der Weine von Vilaflor im Süden Teneriffas und höchs-tem Weinbaugebiet Spaniens reicht er bei Weitem nicht heran, aber als leichter weißer Tischwein könnte er durchgehen.
Michael von Levetzow
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