Wandern und Entdecken

Michael von Levetzow

Michael von Levetzow

Vergara I

Wer heute auf Teneriffa wandert, kann in zahlreichen Schluchten, die hier „Barranco“ heißen, die Spuren ehemals fließenden Wassers entdecken. Dessen Menge und Strömung dürfte oftmals nicht unerheblich gewesen sein. Wann war das? Die meisten Barrancos führen heutzutage nur noch selten Wasser, schon gar nicht in nennenswerten Mengen oder gar ganzjährig. Selbst die traditionell als „Barranco del Agua“ – Wasserschlucht – oder „Barranco del Río“ – Schlucht mit Bach – bezeichneten tiefen Einschnitte in die Landschaft, sind meistens trocken. Ihre Namen bekamen sie jedoch nicht zufällig. Vor 100 Jahren floss in manchen reichlich Wasser. Sie wurden von ergiebigen Quellen versorgt, deren Fördermengen im Jahresverlauf schwankten. Als man seit Ende des 19. Jahrhunderts anfing, Stollen in die Berge zu treiben, um eine ausgeglichenere und zugleich auch größere Wasserversorgung zu sichern, führte dies zum Absinken der Grundwasserspiegel und zum Trockenfallen der Quellen. Heute gibt es auf der Insel kaum noch aktive Wasserquellen. Statt ihrer begegnen wir unterwegs gelegentlich den Anlagen rund um die Wasserstollen. Die meisten dieser Versuche, Wasser und durch dessen Verkauf Wohlstand zu gewinnen, scheiterten, weil kein Wasser gefunden wurde, oder mussten aufgegeben werden, weil ihre Grundwasserversorgung erschöpft war. Es gibt jedoch einige Galerías, wie die Wasserstollen genannt werden, die viel Wasser liefern. Gelegentlich lohnt es sich, einen Abstecher von den Wanderwegen zu machen, um diese interessanten Orte anzuschauen. Die Galería Vergara I bietet allerdings genug, um selbst zum Wanderziel zu werden.
Der Barranco de Vergara befindet sich in den Höhen oberhalb der Ortschaft La Guancha auf den mittleren Nordhängen des Pico del Teide. Dessen Lavaströme und auch die seiner zahlreichen Nebenkrater flossen in dieser Region oftmals bis zur Küste hinab, was den von diesem zentralen Vulkankomplex in östlicher oder südlicher Richtung fließenden Lavamassen durch hohe Felsbarrieren verwehrt war. Aber dieser breite, steile Abhang ließ sogar sehr zähflüssige Lava – und so war die Lava des Teide in den letzten 30.000 Jahren meis­tens – sehr weit gelangen. Die Schwerkraft machte es möglich. So begleiten uns während unseres Aufstiegs helle, blo­ckige Lavarücken. Ausgangspunkt der Route ist für die meis­ten die Zona de Acampada del Barranco de la Arena auf etwa 1270 m Höhe. Die Zufahrt zu dieser führt über eine auch für durchschnittliche Pkw befahrbare Waldpiste an der Zona Recreativa de El Lagar vorbei. Ab La Guancha sind die beiden Zeltplätze ausgeschildert. Wem die Strecke ab Arenas Negras zu kurz ist, kann die Tour deswegen auch schon in El Lagar beginnen.

Michael von Levetzow
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Ab Arenas Negras ist die Route mit kleinen blauen Pfeilen markiert, die uns bald von der Piste auf einen schmaleren und älteren Weg leiten, der deutlich steiler ist und uns schneller aufwärts bringt. Stellenweise ist sein Steinpflaster noch erhalten, ein deutliches Zeichen seiner Bedeutung, bevor die befahrbare Piste angelegt wurde.
Nicht alle gepflas­terten Wege führten irgendwohin, verbanden Siedlungen miteinander. Sie endeten oft im Nirgendwo, so wie dieser. Ein weiteres Zeichen seiner Aufgabe: Wir steigen auf einem Rastrero aufwärts, der so steil sein sollte, weil sich die Stämme gefällter Bäume in direkter Linie viel leichter zur Küste ziehen ließen, wo sie als Bauholz begehrt waren. Wem der alte Rastrero zu steil wird, kann an Kreuzungen auf die Piste ausweichen. Sie führt auch zu unserem Ziel und schlängelt sich in sanfterer Steigung um den alten Weg.
Knapp zweieinhalb Kilometer wurde der Tunnel der Galería Vergara I zwischen 1944 und 1955 in den Berg getrieben. Die Piste gab es damals noch nicht. Was nicht mit Menschenkraft oder von Maultieren hierher befördert werden konnte, stand für die Arbeit nicht zur Verfügung. Maschinen kamen daher kaum zum Einsatz. Der Erfolg lohnte aber den Aufwand. Vergara I ist die ergiebigs­te Galerie der Kanarischen Inseln und fördert in der Stunde zwischen 1,3 und 1,5 Millionen Liter. Damit wird nicht nur die gesamte Bevölkerung von La Guancha versorgt, sondern auch große Teile der sonstigen Inselbevölkerung, insbesondere im Orotava-Tal, aber auch im Süden der Insel. Zwei große, gemauerte Kanäle von 17 km bzw. 47 km Länge wurden eigens dafür gebaut. Nachdem die Bevölkerung von La Guancha mehrere Jahre mit diesem Trinkwasser versorgt worden war, zeigten sich bei vielen Einwohnern helle bis bräunliche Flecken im Zahnschmelz – typisches Kennzeichen einer Fluorose, einer Überversorgung mit Fluor. Bis zu einer Tagesdosis von 1 mg wirkt Fluor günstig auf den Zahnschmelz, ab 2 mg täglich zerstört es ihn. Das Wasser der Galería Vergara enthält zu viel Fluor und wäre eigentlich auf Dauer nicht als Trinkwasser brauchbar, hätte man nicht Entsalzungsanlagen gebaut, die Fluor und andere ungünstige Stoffe entfernen, bevor das Wasser den Ort erreicht. Die Galerie zapft einen großen natürlichen unterirdischen Wasserspeicher unterhalb der Cañadas del Teide an, der keine Verbindung zu anderen, tiefer gelegenen Grundwasservorkommen auf der Insel hat. Deswegen muss nicht alles Grundwasser der Insel demineralisiert werden.

Michael von Levetzow
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Die Quelle des hohen Fluorgehaltes ist das vulkanische Gestein der Insel. Es enthält zahlreiche Mineralien, die sich in der Nähe des Vulkans und seiner noch heißen Magmakammer leicht im Wasser lösen und dieses belasten. Der aktive Vulkanismus birgt noch eine weitere Gefahr für Menschen: Dem Gestein entweichen giftige Gase, darunter die farb- und geruchlosen, aber hochgiftigen Kohlenstoffoxide. Sie sammeln sich in den Tunneln der Galerías – gelegentlich in tödlichen Konzentrationen. 2007 kostete solch eine Gasansammlung sechs Wanderer im Barranco de los Cochinos das Leben, die versehentlich statt in einen gut belüfteten Tunnel in eine Galerie gelangt waren. Seitdem müssen die Eingänge zu allen Galerien ständig verschlossen sein.
Michael von Levetzow
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