Buchtipp : „Leeres Spanien“ 


Jedes Mal wenn ich durch das Festland von Spanien fahre, fällt es mir auf. Ich verlasse Madrid Richtung Saragossa. 

Ein anderes Mal fahre ich durch das Landesinnere von Andalusien. Sobald ich eine große Stadt verlassen habe, herrscht gähnende Leere. Erdfarbene, helle und ausgedörrte Gebiete. Hier ist Nichts.

Der Gegensatz ist groß. Auf der einen Seite die modernen Städte, auf der anderen Seite diese unheimlichen Wüstenlandschaften. Und ich frage mich: Hat hier jemals ein Dorf gestanden? Haben hier Menschen gewohnt?

In Frankreich und Deutschland treffe ich unterwegs auf kleine oder größere Dörfer, wie kann es sein das es in Spanien solche leeren Flächen gibt?

Der Journalist Sergio del Molino hat jahrelang dieses leere Spanien bereist. Wie kam es zur Entvölkerung und das  Verschwinden spanischen Lebens im Hinterland? Sein Buch ist kein harmloser Text, sondern eine Suche nach der Ursache. Warum leben 75 Prozent der spanischen Bevölkerung im Zentrum von Madrid sowie den Küstenregionen? 

Dieses Buch erschien in der ersten Auflage 2016 und war in Spanien sofort vergriffen. Parlamentsdebatten und sogar die Gründung einer Partei wurden durch das Buch angeregt. Seit Mai 2023 ist die deutsche Ausgabe wieder erhältlich.

Ich lese, dass spätestens zu Beginn des 19. Jahrhunderts klar war, das Spanien außerhalb der Städte für die spanischen Machthaber nicht existierte. Sie hatten die Gewohnheit, ihre politischen Gegner in abgelegene Landstriche zu verbannen. Madrid wurde zum Salon der Nation. Hier wurden Republiken ausgerufen und Invasoren bekämpft. Die ländlichen Gebiete wurden ignoriert und vernachlässigt. Man lebte dort jahrhundertelang in unvorstellbarer Armut und Abgeschiedenheit. 

Mit Beginn der Diktatur von Francisco Franco setzte eine verschnellte Entvölkerung des ländlichen Lebens ein.

Franco wollte ein modernes, wohlfahrendes Land demonstrieren und hat den Exodus in die großen Städte begünstigt. Somit lief die Ungleichheit zwischen Stadt und Land aus dem Ruder. Darüber hinaus machte er es den Menschen auf dem Land vielerorts mit enormer Grausamkeit unmöglich, ihre bisherige Lebensweise beizubehalten.

1986 wurde der EU-Beitritt Spaniens vollzogen. 11 Jahre nach Francos Tod. Das Land hatte Großes vor. Hochgeschwindigkeitszüge, Autobahnen, die Olympischen Spiele. Spanien veränderte sich in schwindelerregender Geschwindigkeit. Doch können die ehemaligen Landbewohner, jetzt Bewohner einer großen Stadt, sich dem neuen Leben anpassen?

Kein einfaches Buch. Wer sich jedoch für die Kulturgeschichte Spaniens interessiert, für den ist dieses Buch unentbehrlich.

LEERES SPANIEN

Reise in ein Land, das es nie gab

Sergio del Molino

ISBN 978 3 8031 2865 2

Verlag Klaus Wagenbach Berlin

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