» Fest steht – die Kiefer « (Teil 1)


Durch Felssturz freigelegte Pfahlwurzel einer Kiefer. Foto: Michael von Levetzow

Länder und Regionen schmü­cken sich gern mit Symbolen. Das dient der Identifikationinach innen und außen. Ob das Symbol die Landschaft gut repräsentiert, ist eine andere Frage. Die Eiche gilt zum Beispiel als deutsches Symbol, wenngleich die ähnlich stattliche Rotbuche der typische Waldbaum in Deutschland ist. Symbol der Kanarischen Inseln ist die Kanarische Palme. Bestimmt keine schlechte Wahl, gilt sie doch als eine der schöns­ten Palmenarten. So schön, dass es inzwischen auf der übrigen Welt mehr Kanarische Palmen gibt als auf den Kanarischen Inseln. Denke ich selbst aber an kanarische Baumarten, kommt an erster Stelle die Kanarische Kiefer, ebenfalls ein emblematischer Baum und möglicherweise viel interessanter als die Palme. Jedenfalls weiß ich meinen Gästen auf zahlreichen Wande­rungen wesentlich mehr zum Pino, wie die Kiefer hier heißt, zu erzählen als zur Palme. Und selbstverständlich begegnen wir unterwegs auch wesentlich häufiger Kiefern als Palmen.

Auf Teneriffa erstrecken sich Kiefernwälder bis zum Rückgrat der Insel in etwa 2000 m Höhe, der Cumbre Dorsal. Davon gehören die oberen 500 Höhenmeter zur Corona Forestal, dem Schutzgebiet, das den Teide-Nationalpark als ausgedehnte Pufferzone umgibt. In dieser Stufe können außer der Kiefer nur noch wenige und eher seltene Baumarten von Natur aus wachsen, der Zedernwacholder zum Beispiel. Was bei unseren Wanderungen in dieser Höhenstufe etwas eintönig anmuten kann und an Monokulturen kontinentaler Fichtenforste erinnert, ist hier aber nicht das Werk gewinnorientierter Forstwirte, sondern ganz natürlich und weist auf einige Eigenschaften dieser besonderen Baumart hin.

Eine der wichtigsten sehen wir nicht: Wie die meisten Kiefernarten bildet der Pino nur eine oder wenige Pfahlwurzeln, die sich ihren Weg durch Felsspalten bis hinunter zum Grundwasser suchen. Das kann kaum eine andere Baumart so gut, weshalb solche in diesem Gelände normalerweise nicht überleben können. Daher die natürlichen „Monokulturen“. Diese vorteilhafte Besonderheit ermöglicht es der Kiefer auch, andere eher unwirtliche und wasserarme Landschaften zu besiedeln. Erkaltete Lavaströme zum Beispiel. Selbst wenn es dort einmal stark geregnet haben sollte, ist kurze Zeit später alles wieder trocken. Das Wasser ist oberflächlich abgelaufen oder durch die zahlreichen Spalten zum Grundwasser versi­ckert. Dorthin gelangen nur die Wurzeln der Kiefer. Deshalb ist es nicht verwunderlich, dass Kiefern als Pionierpflanzen zu den ersten Besiedlern solch extremer Lebensräume zählen. Wir treffen sie deswegen auf den alten Lavaströmen in 600 m Höhe oberhalb von Icod und La Guancha ebenso an wie fast auf Meereshöhe  – in wesentlich geringerer Zahl – nur wenig oberhalb von Garachico auf der Lava von 1706. Hier wachsen sie eindeutig unterhalb ihres Hauptverbreitungsgebietes und zeigen, dass sie dieses Klima auch vertragen. Was hindert sie dort an der Ausbreitung? Es sind die anderen Pflanzenarten, die abseits der für sie selbst ungünstigen Lavaströme und Felsen so gute Bedingungen vorfinden, dass sie besser und schneller als die Kiefern wachsen und diese so dort verdrängen. Gäbe es sie nicht, wäre nahezu ganz Teneriffa eine Kieferninsel. Da aber zum Beispiel die Bäume des Lorbeerwaldes für sich auf ihrer Höhenstufe – und nur dort – optimale Bedingungen vorfinden, lassen sie dort der Kiefer keine Chance. So kommt es, dass auf der Nordseite der Insel die Kiefernwälder erst etwa ab 1300 m Höhe beginnen, während sie auf der Südseite, wo die Bedingungen für Lorbeerwälder vollkommen ungeeignet sind, bis 500 m hinunterreichen. Das wiederum heißt nichts anderes, als dass im Norden der Hauptlebensraum der Kiefer auf eine Klimazone, die mesokanarische, beschränkt ist, im Süden aber zusätzlich noch eine weitere und deutlich heißere, die thermokanarische Stufe umfasst. Der Pino kann also kalt, gemäßigt und heiß, eine gute Voraussetzung, um fast die ganze Insel zu besiedeln.

Wie heiß dieser Baum kann, zeigte sich 2005 besonders gut nach den verheerenden Waldbränden. Fast alle Pinus canariensis überstanden das Feuer und trieben wieder neue Zweige, während die seit den 1940er-Jahren zur Wiederaufforstung der Insel eingeführte nordamerikanische Pinus radiata tot zurückblieb. Den Unterschied macht die Rinde. Sie kann bei der Kanarischen Kiefer mehr als 10 cm dick sein und schützt die lebenswichtigen Leitgefäße der Bäume sehr wirksam vor der Hitze. Das wiederum ist das Ergebnis einer Jahrmillionen langen Evolution. Glühende Lava bedeckt den Boden, über den sie fließt, und zündet zugleich die Umgebung an. Pflanzen, die solche Brände wegen etwas dickerer Rinde überstehen, pflanzen sich fort. Die anderen sterben aus. So optimiert sich relativ rasch der arteigene „Brandschutz“.

Wie wirksam dieser Brandschutz ist, wird gut erkennbar, wenn wieder einmal ein altes Gebäude, Kirche oder Herrenhaus, in Brand gerät. Deren Dächer und Decken wurden in der Regel aus dem harten und beständigen Kernholz der Kiefer gefertigt. Man nennt es Tea. Im Zusammenhang mit Bränden spielt sein hoher Harzgehalt die entscheidende Rolle. Er wirkt wie ein Brandbeschleuniger, sodass der Feuerwehr oft keine Chance bleibt, das Gebäude zu retten. Der hohe Harzgehalt seinerseits ist eine Anpassung an die zahlreichen Schadinsekten, die es auf Holz abgesehen haben. Beginnen sie, an solch einem Baum zu nagen, stoßen sie sehr bald auf einen Harzgang, werden vom austretenden Harz eingeschlossen und verenden. Diese Eigenschaft behält Tea über Jahrhunderte. Und deshalb brauchen die alten Holzdecken in der Regel keinen Schutz-Anstrich und zeigen in manchen Kirchen oder Palästen noch nach Jahrhunderten ihre ursprüngliche, unveränderte Schönheit oder ihre kostbaren Bemalungen.

(wird fortgesetzt)

Michael von Levetzow
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