Lebens-Töne


Gedanken für mich – Augenblicke für Gott

Wir stehen mitten in der Fastenzeit. Das könnte für uns in diesem Jahr doch mal heißen: Aussteigen! So wie der Karneval für viele ein kurzer Ausstieg aus dem bierernsten Alltag war, so bietet uns die Fastenzeit die Chance, unseren Alltags-Trott mit seinen eingefahrenen Lebensgewohnheiten zu unterbrechen.

Aussteigen! Nicht aus der Welt, sondern aus dem Trott! Mal anderes ausprobieren, so wie es der Bestsellerroman „Nachtzug nach Lissabon“ deutlich macht.

In den Mittelpunkt dieses Romans stellt der Autor Pascal Mercier den Latein-, Griechisch- und Hebräischlehrer Gregorius. Nach dem akkuraten Gelehrten können seine Schüler ihre Uhren stellen. Er betritt jeden Morgen exakt zur gleichen Zeit eine Brücke, über die er das Gymnasium erreicht, in dem er unterrichtet. An einem verregneten Morgen begegnet er auf dieser Brücke einer jungen Frau, die einen verzweifelten Eindruck macht. Er lässt sich auf eine Begegnung mit ihr ein. Auf ihre, mit einem ausländischen Akzent gestellte Frage: „Kann ich ein paar Schritte mit ihnen gehen?“, da antwortet er stotternd: „Äh…ja, sicher“. Zum ersten Mal in seinem Leben kommt Gregorius zu spät in den Unterricht. Die geheimnisvolle Frau begleitet ihn an diesem Tag in seine Unterrichtsstunde, verschwindet jedoch kurz vor dem Pausengong.

Dem Sprachgelehrten klingt die Antwort der Unbekannten auf seine Frage: „Was ist ihre Muttersprache?“ lange nach: „Portugués“(sprich: Purtugeesch) hatte sie geantwortet. Dieses Wort, verbunden mit der ganz und gar unerwarteten Begegnung mit dieser Frau, geht Gregorius nicht mehr aus dem Ohr, nicht aus dem Herzen und nicht aus dem Sinn. Portugués – die Melodie dieses Wortes bringt plötzlich verstummte Saiten in seinem Leben zum Klingen. Es gibt dieser unbekannten Melodie Raum. Er folgt ihr. „Portugués“ – nur das zählt jetzt für ihn. Am selben Nachmittag noch kauft er sich einen portugiesischen Sprachkurs und schreibt einen Abschiedsbrief an den Direktor seines Gymnasiums. Am folgenden Tag bricht Gregorius mit dem Nachtzug auf nach Lissabon. 

Der anfänglich so verknöchert wirkende Gregorius lässt – wie aus heiterem Himmel – auf der Brücke die Begegnung mit der fremden Frau zu. Diese Begegnung bricht nicht nur seinen routinierten Schulweg, sie bricht sein eingefahrenes Leben vollkommen auf. Portugués – Gregorius folgt der inne gewordenen Melodie. Offen und sensibel für die Begegnung mit Lissabon, einer unbekannten Stadt und den fremden Menschen in ihr, macht er sich auf. Er lässt sich ein auf ihr Leben und ihre Geschichten. Eine verrückte und doch gleichzeitig mehr als faszinierende Geschichte. Und ich denke, sie passt sehr wohl in diese Zeit, in der wir gerade stehen.

In diesen Tagen und Wochen der Fastenzeit – oder wie man auch sagt: Der österlichen Bußzeit – sind wir eingeladen auszusteigen und die Verkrustungen unseres Lebens, unserer All-Tage aufzudecken und sie auch aufzubrechen. Jesus Christus gibt uns in seinem Evangelium die Töne seiner Melodie mit auf den Weg, die eben nicht nur durch die Fastenzeit, sondern durch unser ganzes Leben klingen wollen. An einzelne dieser Töne könnten wir uns doch mal ganz bewusst erinnern:

Jesus lädt uns ein zu fasten, Ballast loszuwerden, das über Bord zu werfen, was unser Leben lähmt und was uns am Leben hindert. Er lädt uns ein loszulassen, um das zu entdecken, was wirklich zählt – nämlich ein Leben in dem das Leben vieler gelingen kann. Ein grundlegender Ton ist dabei das Gebet. Jesus sucht sie häufig, die Zeit der Stille, die Zeit des Allein-Seins, die es ihm ermöglicht, einfach mit dem Vater im Himmel zu sprechen, ihm zu sagen, was ihn bewegt oder auch belastet, was er zu Tun gedenkt oder vielleicht auch Lassen möchte. Zu einer solchen Denk- und Sprechweise gegenüber Gott lädt er auch uns ein. Er ruft uns in die Nähe Gottes, in das Horchen auf sein Wort – um daraus eben immer wieder neu und verändert zu handeln. Das Handeln Jesus, das wissen wir, hat einen ganz besonderen Klang. Er lässt uns Menschen seine Offenheit, seine Unvoreingenommenheit und seine Solidarität vor allem den Armen, Kranken und Ausgegrenzten gegenüber hören und wahrnehmen.

Noch haben wir genügend Tage Zeit, um in dieser Vorbereitung auf Ostern die Melodie des Lebens ganz neu zu entdecken.

Bertram Bolz, Diakon

Kath. Touristen- und

Residentenseelsorger

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