Gedanken für mich – Augenblicke für Gott
Kennen Sie dieses englische Sprichwort? Es heißt: „Ein rollender Stein setzt kein Moos an.“ In vielen modernen Liedern und Schlagern kommt er vor und selbst den Jüngeren unter uns muss ich wohl kaum erklären, wer die „Rolling Stones“ sind.
Im Deutschen gibt es eine ähnliche Version dieses Sprichwortes – und zwar in dem allseits bekannten Volkslied „Das Wandern ist des Müllers Lust“. Da gibt es folgende seltsame Strophe:
„Die Steine selbst, so schwer sie sind, die Steine! Sie tanzen mit den muntern Reihn und wollen gar noch schneller sein, die Steine.“
Steine wollen rollen, ja tanzen. Mir persönlich war es als Kind immer ein unlösbares Rätsel, wie denn das genau zu verstehen ist. Und weil ich es eben nicht verstanden habe, ging mir dann immer folgende Aussage beim Singen über die Lippen: „Die Schweine selbst so schwer sie sind.“ Erst viel später habe ich verstanden, dass es hier um den Mühlstein geht, den der wandernde Müllersbursche besingt. Alle Strophen drehen sich ja schlussendlich um die Mühle und den wandernden Müllersburschen, und darum, dass der durch die drehende Mühle, durch das rauschende Wasser, durch die Mühlräder und den mahlenden Mühlstein selbst zum Wandern angeregt wird.
Ein solcher Stein, der erst einmal ganz starr und unverrückbar ist, spielt auch in der Ostergeschichte eine wichtige Rolle. „Wer wird uns den Stein wegrollen?“, fragen sich da die Frauen auf ihrem Weg zum Grab Jesu, und sie stellen dann bei ihrer Ankunft ganz verwundert fest, dass er schon weggerollt ist. Die Auferstehung bringt diesen Stein ins Rollen. Diese Auferstehung Jesu macht deutlich, dass durch die Neues schaffende Kraft Gottes viele Steine, die Menschen einsperren und aussperren, die wie eine schwere Last auf einem liegen und oft unbeweglich scheinen, dass all diese Steine ins Rollen kommen können. Vielleicht erinnern Sie sich auch, dass es da mal ein Frauenprojekt gab, das einen solch großen Stein durch ganz Deutschland gerollt hat. Einen richtigen dicken Stein, der jetzt im Kloster Helfta steht.
Bleiben für mich die Fragen: Welches sind denn solch anscheinend unverrückbaren Steine in meinem Leben? Ich stelle mir vor, dass sie durch die Kraft des Auferstandenen weggerollt werden – was bewegt sich da in meinem Inneren?
Und mir ist noch ein Stein eingefallen, der zu Ostern ins Rollen kommt. Das ist der Felsenmann Petrus. Jesus selbst hat ihn so genannt. Felsstein. Der kommt gewaltig ins Rollen. Zuerst einmal will er ganz hart und unverrückbar sein und zu Jesus stehen: „Und wenn alle dich verraten, ich nicht! Niemals werde ich mich von dir abwenden!“ Und wenig später wird er voller Angst schwören: „Ich schwöre bei Gott: Ich kenne diesen Menschen nicht!“ Was lag im Blick Jesu, als er Petrus danach anschaute? Wir wissen nur, wie Petrus auf den Blick Jesu reagierte: Er weinte. Aus dem Felsen fließt Wasser. Er, der sturmerprobte Fischer, der Sprecher des Jüngerkreises – er weinte. Er weinte bitterlich. Er weinte steinerweichend. Er weinte Tränen, die die Wüste seines Herzens aufblühen lassen sollten.
Später, so schildert eine der österlichen Begegnungsgeschichten, befragt Jesus den Petrus dreimal nach seiner Liebe: „Petrus, Sohn des Jona, liebst du mich?“ Ein leises Erinnern an den dreimaligen Verrat? Vielleicht auch. Aber was Petrus mehr heraushört, ist, dass ihm, dem Freundes-Verräter, durch Jesus, durch dessen Frage nach seiner Liebe ja offensichtlich die Möglichkeit des Liebens zugesprochen wird. Dieses unglaubliche Zutrauen ermutigt Petrus zu dem Wort: „Herr, du weißt alles, du weißt auch, dass ich dich liebe.“
Das tiefste Ostern des Petrus, ist es vielleicht genau dieses, dass er im Blick auf Jesus sieht und sagen kann: „Du, du traust mir, dem Verräter zu, lieben zu können in der Kraft deines unendlichen Liebens?! – In wem ein solcher Glaube Wurzel fassen kann, in dem ist Auferstehung geschehen! Da ist wirklich der Stein ins Rollen gekommen. Und so ist dann aus ihm der Fels geworden, auf den der Herr seine Kirche bauen kann.
Dass solches geschehen möge, danach kann man sich sehnen; dafür darf und muss man sich bittend bereithalten. Wenn es dann einmal geschieht, ist es ein reines Geschenk. Dies wissen vielleicht besonders Menschen, die so furchtbar verletzt sind, dass sie immer wieder sagen, sie könnten „dies“ nie verzeihen. Nicht anderen und oftmals auch sich selber nicht. Nach und bei viel eigenem Bemühen und Versuchen zum Verstehen und zur Verständigung gilt es da, nach einem Wort von Hilde Domin, dem Wunder – dem Wunder der Versöhnung – die ausgestreckte Hand hinzuhalten wie einem Vogel. Das Geschenk der Verzeihung des Unverzeihlichen, ist Gottes Wunder-Werk und Beginn von Auferstehung zum Leben und Lieben.
„Heute morgen“, so sagte mir jemand am Telefon, „bin ich mit dem Satz aufgewacht: Der Abgrund der göttlichen Liebe ist tiefer als jeder Abgrund sonst.“ Diese Aufwach-Worte atmen die Lebendigkeit von Auferstehung, das Ostern des Petrus, sein glückliches Aufatmen. Nach jenem Petrus, der einmal in einer Predigt sagte: „Den Urheber des Lebens habt ihr getötet; der Herr aber lässt Zeiten des Aufatmens kommen (Apg 3,20).“ Tiefer als all unser Verraten ist Gottes versöhnende Liebe.
In diesem Sinne wünsche ich Ihnen ein frohmachendes und zum Leben befreiendes Osterfest, welches all Ihre Herzens- und Sorgensteine ins Rollen bringt.
Herzlichst, Ihr
Bertram Bolz, Diakon
Kath. Touristen- und
Residentenseelsorger
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