Mit Schneeschuhen auf die Montaña Rajada
Am Tag der Sonnenfinsternis hatte der Regen begonnen. Mein Regenmesser zählte fast vier Liter Niederschläge innerhalb von 24 Stunden, und auch an den folgenden Tagen hielt sich das Wetter nicht an die amtliche Vorhersage. Das Regenwetter blieb, und die vorgesehene Tour im Anaga-Gebirge fiel ins Wasser. Als es Tage später morgens kurz über dem Orotavatal aufklarte, erschien der Teide etwas weißer. Gegen zehn Uhr schaute ich wieder hinauf. Dank der zurückgezogenen Wolken war gut erkennbar, dass es diesmal viel weiter herunter geschneit hatte. Also musste in den Cañadas deutlich mehr Schnee liegen als im ganzen, kalendarisch schon vergangenen Winter. Und damit gab es für mich Wichtigeres als unaufschiebbare Aufgaben im Haus.
Kurz darauf bin ich unterwegs, im Rucksack wenig Verpflegung, dafür aber Schneeschuhe und vorsichtshalber einen Daunenanorak; denn dort oben war es bei meinen letzten Besuchen empfindlich kalt. Inzwischen ist es Mittag, schon etwas spät für eine Tour im Schnee. Aber eine andere Wahl habe ich heute nicht.
Von El Portillo Alto geht man besser westwärts. Zur Fortaleza zum Beispiel. Etwa fünfzehn Zentimeter dick ist die Schneedecke, leicht feucht, und die Leute, die auf dem Pfad gehen, rutschen bei jedem Schritt ein bisschen. Als Einziger bin ich mit Schneeschuhen unterwegs. Man kennt sie zwar, nennt sie „Raquetas (Tennisschläger)“, aber kaum jemand außer mir besitzt welche auf dieser Insel. Erstaunlich, wo doch jeder größere Schneefall Massen in die Berge lockt. Nach wenigen Minuten habe ich alle Fußgänger hinter mir gelassen und erreiche die Abzweigung nach Süden in Richtung auf die Montaña Blanca und den Teideaufstieg. Nur wenige Fußspuren führen in diese Richtung. Dorthin ist es zwar etwas weiter, aber neben der Montaña Blanca (2748 m) liegt die Montaña Rajada (2507 m), die man normalerweise auf dem Weg zum Teide fotografiert, aber ansonsten rechts liegen lässt. Das wäre doch ein Ziel!
Wolkenlos wölbt sich der subtropische Himmel, vor mir breitet sich bis zum Fuß des Teide eine weiße, mit Lavaströmen und kleineren Vulkankegeln besetzte Ebene aus. Etwa vier Kilometer sind es bis dorthin. Ganz sanft steigt der Pfad dabei 200 Meter an. Streckenweise ist sein Verlauf an den Begrenzungssteinen zu erkennen, die in zwei parallelen Reihen aus dem Schnee ragen und an das hier geltende Wegegebot erinnern. Bei tieferem Schnee sind sie unsichtbar. Dann hilft nur der Blick für die Landschaft; denn zwischen den zahlreichen Ginsterbüschen gibt es keine klaren Linien. Meistens folge ich den flachen Senken, ab und zu auch den rundlichen Rücken, immer aber mit Blick auf den Sattel zwischen Teide und Montaña Blanca. Ginge ich direkt auf die Montaña Rajada zu, käme ich bald in zerklüftetes, also schwieriges Gelände. Man kann das zwar von hier aus nicht erkennen, ich weiß aber, dass es so ist, und nähere mich meinem Ziel in großem Bogen.
Die Montaña Rajada ist ein steiles Felsenungetüm, kein typischer Vulkankegel wie zum Beispiel die Montaña del Tomillo rechts von mir. Auf Teneriffa ist bei den meisten Eruptionen einigermaßen flüssige Lava ausgetreten, sodass diese Vulkane eher an Breite als an Höhe gewannen und ihre typische Kegelform erhielten. Die Lava der Montaña Rajada hingegen war wegen ihres hohen Gehalts an Kieselsäure und relativ niedriger Temperatur äußerst zäh, konnte kaum aus der Erde aufsteigen und noch weniger fließen. Eigentlich verstopfte sie den Vulkanschlot. Aber die von unten nachdrückende Lava sprengte diese Pfropfen immer wieder, quoll dazwischen nach, erstarrte rasch und wurde ihrerseits wieder zersprengt. Allmählich wuchs so eine rundliche, zerborstene (spanisch rajado/-a) Kuppel empor. „Dom“ nennen die Geologen solch ein Gebilde. Auch die benachbarte Montaña Blanca ist ein Dom. Alle anderen Vulkane hier oben haben Kegel gebildet.
Von Norden kommend muss ich den Berg erst einmal bis zur Südseite umrunden, um die letzten 200 Höhenmeter aufsteigen zu können. Dort haben Sonne und Wind den Schnee teilweise vollständig verschwinden lassen, nur in einer Mulde, die bis zum Gipfel steil hinaufzieht, gibt es noch ausreichend für mich. So habe ich außerdem die Möglichkeit, bis zum höchsten Punkt gelangen zu können. Der normale Sommerweg endet etwas tiefer auf der gegenüberliegenden Seite. Da ich wegen der Schneedecke keine Spuren in der Vulkan-Asche hinterlassen und somit auch keine bleibenden Schäden verursachen kann, ignoriere ich das Wegegebot. Ohne Schnee und Schneeschuhe wäre das ein absolutes No Go! Denn bei Starkregen verwandeln sich Trittspuren im lockeren Geröll in reißende Bäche, die tiefe, irreparable Rinnen in die Vulkan-Asche schneiden. Im Anstieg merke ich sehr deutlich, wie steil solch ein Dom ist. Ständig muss ich die Frontzacken meiner Schneeschuhe einsetzen, als ginge ich mit Steigeisen.
Genau am höchsten Punkt erreiche ich den Rand dessen, was eigentlich ein richtiger Krater hätte werden können, wäre hier die Lava nur so wie sonst üblich gewesen. Überall zerborstene Felsblöcke, dazwischen lockerer Bimsgrus, der vermutlich von einem Teideausbruch stammt, und weit dahinter das Rund der Caldera, die diese Landschaft und den Nationalpark begrenzt. Gigantisch. Als ich mich nach dem Gipfelfoto umdrehe, stehe ich quasi Front in Front mit dem Pico del Teide. Gute 1200 m überragt er mich noch. Sein Gipfel schaut von hier aus nur wenig über den Rand der Rambleta, seines älteren Kraters in etwa 3500 m Höhe. Schwarz wie auf einem Holzschnitt heben sich seine Rippen und Rippchen, Vorsprünge und Zacken vom Schnee ab.
Die obersten steilen 200 Höhenmeter abwärts habe ich meinen Weg sehr sorgfältig gewählt – Sicherheit als oberstes Prinzip. Danach ging es in sanftem Ab und manchmal Auf über die weite Ebene zurück. Die Sonne stand noch sehr hoch, als ich zur Kaffeezeit mein Auto wieder erreichte. In den Alpen hätte ich solch einen Tag als ideal bezeichnet. Hier ist es nicht anders.
Michael von Levetzow
Tenerife on Top
mico@tenerife-on-top.de
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