Gedanken für mich – Augenblicke für Gott
Man kann sich angesichts dieser Losung schon fragen: Was haben sich die Veranstalter des 31. Deutschen Evangelischen Kirchentages eigentlich gedacht? Wären ein paar einladendere, freundlichere Worte nicht passender gewesen? Aber das hier, das wirkt wie eine kalte Dusche! Eine Losung, die fremd und verletzend klingt. Wird dieses Wort Suchende und Fragende wirklich anlocken? Zudem ist das Wort unvollständig. Müssen wir uns selbst einen Reim darauf machen?
Andererseits aber denke ich: Hut ab! Es ist mutig, sich als Kirche einem solchen Wort auszusetzen. Diese Losung verrät eine Kirche, die es sich nicht bequem macht und gerade darum wird es die Kirche beleben und auch uns Katholiken einen Denk-Zettel verpassen. Es rückt ja jeder Konfession heilsam auf den Leib, die sich damit auseinandersetzt.
Es stimmt schon, Gottes Wort ist keine heiße Luft, nichts salbungsvolles und schon gar nichts für „Warmduscher“. Vielmehr ist es scharf, denn es trennt, unterscheidet die Geister und dringt in uns ein. Jugendliche würden wohl textnah formulieren: Gottes Wort – „echt scharf“. Ja, das Wort Gottes kommt mit Wucht daher, es trifft mich und tut mir weh, lässt mich nicht mehr der Alte sein. Denn dieses Wort beruhigt mich nicht so einfach mit dem Signal „Du bist ok!“ oder einem „Bleib einfach wie du bist!“. Hier höre ich eben nicht nur immer „Ja und Amen“, sondern eben auch ein „Bis hierher und nicht weiter!“ oder „Kehr um – ändere dein Leben!“
Natürlich ist es nicht immer leicht, die Schärfe und Klarheit des Gotteswortes zu ertragen. Manchmal möchte ich mich wegducken oder abtauchen ob seiner scharfen Klinge. Oder aber: Ich verpacke das Wort in Watte und entschärfe es so. Damit aber nehme ich ihm die Chance, sich in meine verworrene und oft verknotete Welt hineinzuschneiden und mich zu Entscheidungen zu bewegen. Denn das ist auch klar: Wer sich dem Wort Gottes aussetzt, der erfährt Lösungen, der gewinnt an Kontur, an Deutlichkeit und Profil. Die Schärfe des Gotteswortes scheidet – sie verhilft mir zur Entscheidung. Die Bibel vergleicht das Wort Gottes öfter mit einem solch zweischneidigen Schwert. Vielleicht möchte ich es ja deshalb mitunter entschärfen, es verharmlosen oder stumpf machen. Oder aber ich will das Schwert lieber selbst in der Hand behalten, z.B. wenn ich mal wieder drauf und dran bin, mit meinem Nächsten kurzen Prozess zu machen, oder wenn ich lieber mit faulen Kompromissen weiterleben will, da mir der Mut zur Entscheidung und Unterscheidung fehlt, oder ich schließe die Augen, um das Verworrene meines Lebens ja nicht zu sehen.
Besonders scharfe Messer tragen Warnhinweise, damit kein Blut fließt. Möchte ich Gott so gefährlich nahe an mich heran lassen? Darf er meine geheime Gedankenwelt, mein Innen- und Seelenleben, welche ja nur mich etwas angehen, betreten? Dann könnte es passieren, dass er in mir manchen Teufelskreis durchschneidet und manchen Monolog unterbricht, in den ich mich verfange. Aber ich weiß ja, dass sein Wort nicht zusticht und tötet, sondern dass es vielmehr offenlegen und mir Transparenz schenken will. Es will mir nicht wehtun, sondern nur all das wegschneiden, was zweideutig ist, was als Gier oder Lüge an mir klebt oder mit mir verwachsen ist. Wie eine Operation am schlagenden und offenen Herzen – die Auswechslung des Herzens aus Stein durch ein Herz aus Fleisch und Blut.
Vor diesem Wort brauche ich mich also nicht zu verber- gen. Denn Gottes Blick nimmt ohnehin wahr, was an mir unklar und verhärtet ist. Und da das Wort Gottes sichtbar und spürbar wurde in Jesus Christus, weiß ich eben auch, wie dieses Wort mit Menschen umgeht, die sich selbst als sünd- und fehlerhaft erkennen. Seine Menschwerdung ist der tiefe Einschnitt in die Geschichte dieser Welt. Ganz tief dringt Gottes Wort auch dahin, wohin keines Menschen Stimme dringt – es ist in der Lage Grabsteine zu spalten und diejenigen zu erreichen, die im Tod auf dieses lebendige und erweckende Wort warten.
Wir brauchen dieses Wort, das uns unterscheiden hilft und das uns in Liebe aufdeckt und enthüllt. Diesem Wort gegenüber sollten wir uns nicht neutral verhalten – mal so oder mal so. Nehmen wir ihm auch nichts von der Schärfe, die uns so gut tun kann. Denken wir vielmehr daran: Das Wort Gottes nimmt uns ernst und will uns zum Leben helfen. So wünsche ich der evangelischen aber auch meiner katholischen Kirche, dass wir beide unter dem Wort Gottes lebendige, kräftige und vor allem profilierte Kirchen sind und immer noch mehr werden. Setzen wir uns der Energie dieses Wortes aus!
Bertram Bolz, Diakon
Kath. Touristen- und
Residentenseelsorger
Diesen und frühere Artikel können Sie nachlesen unter: www.katholische-gemeinde-teneriffa.de oder www.wochenblatt.es
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