Gedanken für mich – Augenblicke für Gott
November – nicht nur Monat der Kürbisse und der Spukgeister; nein, dieser Monat ist auch der Monat der Toten. Viele Menschen besuchen deshalb gerade in diesen Tagen und Wochen die Gräber ihrer lieben Verstorbenen.
Sie pilgern dort hin, entweder um die Gräber zu schmücken oder wenigstens eine Kerze zu entzünden. Ja, wer auf einen Friedhof geht, der erinnert sich an Menschen, an gemeinsame Erlebnisse und Erfahrungen. Um sich aber so erinnern zu können, ist der Abschied von einem/r Verstorbenen ganz wichtig. So sagte mir mal eine Mitarbeiterin einer Hospizgruppe:
„Es gibt so einen Mythos, dass man Tote nicht berühren soll. Ich habe das erst selbst lernen müssen, dass das beim Abschiednehmen hilft. Ja, ich würde sogar sagen: Je plötzlicher der Tod war und je jünger der/die Verstorbene ist, umso drängender und wichtiger ist es, dass man sich Zeit nimmt, um die/den Tote/n zu verabschieden.“
Länger als jeder Abschied dauert allerdings der individuelle Prozess des Trauerns. Das erstreckt sich oft über Jahre. Doch auch eine lange Zeit der Trauer kann mitunter sehr wichtig sein. Denn wenn wir Menschen angesichts des Todes eines uns nahe stehenden und geliebten Menschen nicht trauern, dann verarbeiten wir den Schmerz nicht und werden dann häufig genug „kreuzunglücklich“ – über Jahre hinweg, manchmal sogar für den Rest unseres Lebens.
Schmerz und Leid prägen immer das Leben von Trauernden, das ist uns allen geläufig. Aber wie oft stehen gerade enge Freunde oder Bekannte vor der schwierigen Frage, wie sie mit den Trauernden umgehen sollen? Ich habe die Erfahrung gemacht, dass viele Menschen deshalb Angst vor Begegnung mit Trauernden haben, weil sie denken, sie müssten jetzt etwas sagen, sie müssen eine Antwort geben oder etwas besonders Trostreiches von sich geben. Und weil sie das häufig nicht können – auch wir Seelsorger tun uns da manchmal schwer, weil es gar nicht immer möglich ist – weichen sie den Trauernden aus. Und das ist in meinen Augen für trauernde Menschen eine zusätzliche, recht schmerzhafte Erfahrung; zu merken, ich werde von anderen, mir doch so wichtigen Menschen, geschnitten.
So schwierig das ist: Am meisten hilft es den Trauernden, wenn ihre Freunde die Trauer aushalten. Vorschneller Trost ist nicht gefragt, aber das da sein, das ist wichtig – vielleicht sogar das Allerwichtigste. Da sein und sagen: Ja, es ist schlimm, es ist furchtbar, was du da jetzt durchmachen musst. Da hilft kein Beschönigen und kein gut Zureden. Dasein, das ist im Endeffekt die wohl größte Trauerhilfe, die es gibt. Was will man schlussendlich Menschen auch sagen, die um die Tochter, den Vater, einen Freund oder Ehepartner trauern? Vielfach kommt der Tod überraschend, schmerzhaft, erscheint ungerecht und bitter. Da drängen sich dann Fragen in den Vordergrund: Welchen Sinn hat dieser Tod? Ist das gerecht? Wie kann Gott so etwas zulassen? Auf solche Fragen gibt es keine leichten Antworten.
Was man aber sagen kann ist: Fragen Sie Gott. Klagen Sie ihn auch an, wenn Ihnen etwas widerfahren ist, was sie einfach nicht verstehen. Sagen Sie das Gott. Der hält das nicht nur aus, sondern so wirken Sie auch dem entgegen, dass Sie meinen, es sei eine Strafe seinerseits an Sie! So ist Gott nicht; das hat er gar nicht nötig. Die Klage ist in meinen Augen ein ganz wichtiger Ausdruck der Trauer. Und sie darf nicht mit billigen Antworten überspielt werden. Gott ist in der Trauerbegleitung auch nicht dazu da, die Trauernden zu vertrösten oder zu beschwichtigen. Vielmehr ist Nähe wichtig – auch in religiöser Hinsicht. Denn das, was Menschen von Gott erfahren, erfahren sie ja immer nur durch andere. Der da oben gibt nichts von sich; er teilt sich immer nur durch andere Menschen mit. Deshalb sind es eben Menschen, die von Gottes Nähe erzählen, indem sie einfach da sind. Indem sie zeigen, was Nächstenliebe ganz praktisch heißen kann.
Der Weg zur Bewältigung der Trauer ist häufig schmerzhaft und lang. Und das langsame Auftauchen aus tiefsten Verlassenheitsgefühlen ist nur selten einfach. Ein Kollege, der ein Kind durch einen Autounfall verloren hat, sagte mir mal: „Ich weiß es von mir selber, wie ich mich erschrocken habe, als ich das erste Mal wieder gelacht habe. Es kam mir vor wie ein Verrat. Aber es gibt sich dann mit der Zeit. Und man darf spüren, der Tote lebt in einem weiter.“ Trauerbegleitung hat ihm damals viel geholfen. Denn sie hat ja zum Ziel, zu einem Leben hinzuführen, in dem das eigene Leben und der/die Verstorbene(n) einen Platz haben dürfen. Und so fuhr der Kollege fort: „Ich glaube, wenn man merkt, dass man den verstorbenen Menschen nie in dem Sinne loslassen muss, dass man die Bedeutung, die der Verstorbene für einen selbst hat leugnet, dann kann man sich dem eigenen Leben wieder zuwenden. Man darf den Verstorbenen immer im Herzen behalten; muss ihn in diesem Sinne nicht loslassen.“
So wünsche ich Ihnen allen, dass Sie, wenn Sie derzeit auch in einer solch schwierigen Lebenssituation sind, Gesprächspartner um sich haben, die ihnen Nähe vermitteln und die Erkenntnis: Man kann mit den Verstorbenen leben.
Bertram Bolz, Diakon
Kath. Touristen- und
Residentenseelsorger
Diesen und frühere Artikel können Sie nachlesen unter: www.katholische-gemeinde-teneriffa.de oder www.wochenblatt.es
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