Rückgrat haben


Gedanken für mich ­– Augenblicke für Gott

Wenn ein Mensch in eine persönliche Krise gerät, dann trifft das in aller Regel auch auf sein Beten zu. Voraussetzung ist natürlich, dass dieser Mensch überhaupt gebetet hat.

Die Krise wird dann durch solch einfache Worte markiert wie: „Warum?“, „Warum ich?“ – Das geflügelte Wort unserer Großeltern für solche Situationen – „Not lehrt beten“ – dies Wort stimmt eben nur bedingt. Und war früher die Frage: „Wie soll ich beten?“, so lautet sie heute häufig und das nicht nur bei den Jüngeren unter uns: „Warum soll ich überhaupt beten?“

Ob wir also durch diesen Verlust überhaupt etwas vermissen? Ich meine schon, denn die Zuwendung zu anderen religiösen Formen oder auch spirituellen Erfahrungen, die Beliebtheit von Wallfahrten jeglicher Art, Esoterikseminare und vieles andere mehr weisen in diese Richtung. Das aber heißt doch nichts anderes, als dass die Menschen häufig anderswo suchen, was sie in der Kirche nicht oder nicht mehr finden.

Suchen wir also miteinander einen Zugang zum Gebet. Vielleicht kann uns ein Spiegel dabei helfen. Denn wer in einen Spiegel schaut, sieht ja bekanntlich nur sich selbst und dann auch noch seitenverkehrt. Wer aber betet, bleibt nicht vor dem Spiegel stehen. Denn das Gebet weist über uns hinaus. Das allerdings spürt der- oder diejenige nicht, welche Gebete – und seien es auch noch so viele – immer nur nach demselben und womöglich vorgegebenen Strickmuster vollzieht. Wie oft ertappen sich solche Beter selbst dabei, dass der Rahmen ihnen oft wichtiger ist als der Inhalt dessen, was sie beten. Dasselbe gilt natürlich auch für die Worte, die man spricht. Wenn diese vor Gott und den Menschen nicht stimmen, dann entwertet dies das Gebet und es ist eine Lüge, was die Beterin oder der Beter dann da von sich gibt. Oder man könnte auch sagen: Ein solches Gebet kann schlimmer sein, als es ganz zu unterlassen.

Wie hat Kurt Tucholsky angesichts eines sinnentleerten Betens mal gesagt: „Kopf ab zum Gebet!“ Und er hat damit gemeint, dass wer betet auch seinen Verstand in der Kirche abgebe. Statt selbst zu denken, selbst zu entscheiden und selbst zu tragen oder zu ertragen, schiebt der Beter nach Meinung Tucholskis einfach nur Gott die Verantwortung in die Schuhe.

Der Limbuger Bischof Franz Kamphaus hat in einem seiner letzten Hirtenbriefe zur Fastenzeit gefragt: „Verliert man sein Rückgrat, wenn man vor Gott in die Knie geht?“ Und er hat selbst die Antwort darauf gegeben: „Nur wer ein Rückgrat hat, kann sich auch verneigen.“ Für mich heißt das: Wer betet, der bringt sein Denken und Handeln mit seiner Verantwortung vor Gott zusammen. Da wird einer nicht weniger Mensch, sondern mehr. Wer nicht betet, der ist eher mit einem Kurzsichtigen vergleichbar, der nur noch das kleine Umfeld um sich herum erkennen kann. Beten aber weitet den Blick.

Genau dieses Weiten beginnt aber bei uns selbst. Wir alle haben ja irgendwann mal Angst um uns – um unser Leben, unsere Zukunft. Angst aber macht eng – und beten weitet; auch und gerade, weil uns im Blick auf Gott viele Menschen in den Blick kommen. Und da eben nicht nur ihre Sorgen und Nöte, die sie gemeinsam mit uns zu tragen haben, sondern auch ihre Freuden, ihre Feste und Feiern. Beten weitet, weil wir unsere Ängste aufbrechen und damit der Hoffnung einen Raum geben. Sicherlich: Beten ersetzt nicht unser Tun, wie auch unser Tun das Gebet nicht ersetzen kann. Aber das Tun, das Erleben, das Schweigen, das Gehen – all das kann zum Gebet werden.

Wie heißt es in einem unserer Kirchenlieder: „Du bist mein Atem, wenn ich zu dir bete.“ Nichts spüren wir neben unserem Herzen innerlicher, als eben unseren Atem. Er kommt und geht, so lange wir gesund sind, ohne unser Zutun. Erst wenn sich die Bronchien verengen, wenn wir in Atemnot geraten, dann merken wir, dass diese Automatik nicht selbstverständlich ist. Und so kann man durchaus sagen: „Was der Atem für das Leben ist, das ist das Beten für den Glauben.“ Manche von uns merken ja erst durch ihre Gebetsnot, dass mit ihrem Glauben etwas nicht stimmt.

„Du bist mein Atem“, damit sagt dieses Lied aber auch aus, dass Beten immer ein Beziehungsgeschehen ist. Es bringt uns in Beziehung mit Gott. Natürlich weiß ich, dass Beziehungen immer Höhen und Tiefen haben, dass sie gekennzeichnet sind von Glück und Enttäuschung. Warum sollte das mit Gott anders sein? Es wird Tage geben, da bringen wir dann eben kein Wort heraus und dann gibt es wieder Stunden, da können wir im Gebet schwimmen.

Heutzutage sind wir es gewohnt, auf unseren Biorhythmus zu achten, weil wir uns unsere Gesundheit stabilisieren und erhalten wollen. Wie aber steht es um unseren Gebetsrhythmus, der uns seelische Gesundheit, Gelassenheit und Offenheit schenken kann? Mit der Ausgabe dieses Wochenblattes beginnt die Fastenzeit. Gönnen Sie sich doch mal Zeiten, Momente, auch Orte und Räume, die allein dem Gebet gewidmet sind. Sie werden spüren – diese Fastenzeit wird sie dann wirklich verändern.

Ihr

Bertram Bolz, Diakon

Kath. Touristen- und

Residentenseelsorger

Diesen und frühere Artikel können Sie nachlesen unter: www.katholische-gemeinde-teneriffa.de oder bei www.wochenblatt.es

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