Gedanken für mich – Augenblicke für Gott
Streit ums Erbe, mal wieder Ärger zwischen Geschwistern oder auch Kindern und Enkeln – das alles gibt es, seit es Familien gibt. Dass ich Ihnen damit nichts Falsches erzähle, dafür reicht ein Blick auf die ersten Seiten der Bibel.
Da wird die Geschichte von zwei Brüdern erzählt: Jakob und Esau. Zwillinge zwar, aber doch so grundverschieden, wie man sich Menschen eben nur grundverschieden vorstellen kann.
Laut den Zeilen der Bibel handelt es sich bei Esau einerseits um einen ganz rauen Gesellen, der aber doch auch ein starker Gefühlsmensch sein konnte: einmal aufbrausend, dann wieder gutmütig; triebhaft und dabei mehr auf seinen Bauch als auf seinen Kopf hörend. Sein Bruder Jakob dagegen wird als fein und vornehm beschrieben, aber auch als verschlagen, listig, manchmal sogar als hinterlistig – oder anders gesagt – er war ein kühler Stratege. Der Name „Jakob“ bedeutet „Fersenhalter“, und er wird so genannt, weil bei der Geburt Esau zuerst aus dem Bauch der Mutter kam und Jakob sich am Fuß seines Bruders festgehalten hat. Genau diese kleine Geste aber wurde charakteristisch für das gesamte Leben der beiden und auch für ihre Beziehung zueinander.
Die wenigen, rein zufälligen Sekunden bei der Geburt, die Esau seinem Bruder voraus hatte, besiegelten aber das weitere Schicksal von Jakob. Schließlich war es das Recht des Erstgeborenen, nach dem Tod des Vaters dessen Besitz zu erhalten und damit auch die Führung der Familie zu übernehmen – quasi zum Familienoberhaupt zu werden, dem man nicht zu widersprechen hat bzw. nach dessen Anordnung und Weisung alle Familienmitglieder – auch die des Bruders – zu leben haben. Dieses Recht also war Esau zugefallen und sein Vater, Isaak, bevorzugte ihn deshalb auch rigoros und konsequent.
Ich glaube, jede und jeder von uns kann Jakobs Ärger verstehen und auch sein deprimierendes Gefühl, eben immer nur der Zweite zu sein. Doch Ärger und Zorn darüber, benachteiligt zu werden, sind schlechte Ratgeber fürs Leben. So suchte Jakob gleich zweimal seine Chance in der strategischen Intelligenz, in der er Esau weit überlegen war, und überlistete damit den Bruder. Beide Male ging es da um das Recht des Erstgeborenen, also um die Position Esaus.
Einmal hatte Jakob in einer Notsituation seinem Bruder dieses Recht abgepresst: Esau war schwer erschöpft von der Arbeit auf den Viehweiden des Vaters nach Hause gekommen. Mit den Worten: „Ich habe dir dein Lieblingsgericht zubereitet“, empfing ihn Jakob. „Allerdings kostet es dich eine Kleinigkeit: Du lässt mir den Vortritt als Familienoberhaupt, wenn unser Vater gestorben ist.“ Esau hielt das wahrscheinlich alles für einen schlechten Scherz und willigte im Zustand seiner Erschöpfung ein. Dass es sein Bruder aber durchaus ernst gemeint hatte, das ging ihm erst später auf: Isaak, inzwischen altersblind, hatte Esau auf dem Sterbebett zu sich rufen lassen, um ihn nach alter Väter Sitte seinen letzten Segen zuzusprechen. Da schlich sich Jakob, als Esau verkleidet, zu Isaak und empfing an der Stelle des Bruders den väterlichen Segen. Als der Betrug aufgedeckt wurde, ging Esau leer aus. „Hast du denn nur einen Segen?“, fragte er den Vater verzweifelt; und als Leserin oder Leser fühlt man mit ihm, dem Hintergangenen, dem – im wahrsten Sinne des Wortes – doppelt übers Ohr Gehauenen.
Tatsächlich mutet es seltsam, ja fast magisch an, dass Isaak seinen einmal ausgesprochenen Segen angesichts des Betrugs, der da stattfand, nicht zurücknehmen konnte; wie der Zauber eines Märchens scheint das zu sein. Doch das wirklich Entscheidende dieser traurigen Familiensaga liegt in einem ganz anderen Punkt: Denn der Zwist zwischen den verfeindeten Brüdern bricht wie ein Verhängnis über die ganze Familie herein. Blind vor Wut schäumt Esau und schwört Rache; er will seinen Bruder Jakob töten. Der wiederum muss aufgrund dieser Gedanken seines Bruders fliehen. Und schon kann man einen taumelnden Kreislauf von Gewalt und Blutrache auf ganze Generationen hinaus befürchten. Eine Tragödie nimmt ihren Lauf: einmal, tausendmal, immer wieder, weil Verletzungen einer friedlichen Gemeinschaft im Wege stehen.
Versöhnung für Jakob und Esau kann es erst geben, wenn beide einander sehen und verstehen lernen. Wenn also die gegenseitige Blindheit aufhört – Blindheit in dem Sinne, dass Esau lernt das Gefühl Jakobs zu erspüren, wie es ist, wenn man als Jüngerer vom Vater dauernd benachteiligt wird. Und Jakob muss lernen, die Bitterkeit von Esau zu sehen und zu erspüren wie man sich fühlt, wenn man betrogen wurde. Die Dinge mit den Augen des anderen sehen zu lernen, das wäre eine Zukunftsperspektive. Wer dabei den ersten Schritt tut, ist nicht entscheidend – denn Versöhnung gibt es ohnehin nur dann, wenn beide sich bewegen.
Ihr
Bertram Bolz, Diakon
Kath. Touristen- und
Residentenseelsorger
Diesen und frühere Artikel können Sie nachlesen unter: www.katholische-gemeinde-teneriffa.de oder bei www.wochenblatt.es
[bsa_pro_ad_space id=“8,13″ if_empty=“13″ delay=“5″]