Gedanken für mich – Augenblicke für Gott
Unlängst kam ich mit einer Gottesdienstbesucherin ins Gespräch, die dabei mal wieder ins Wort brachte, was viele Christen – vor allem Katholiken – heutzutage beschäftigt: Kann man in dieser Zeit wirklich noch mit ehrlicher Aufrichtigkeit und gutem Herzen einen jungen Mann dazu ermuntern, Priester zu werden?
Es sind ja nicht nur die Geistlichen selbst oder hauptamtliche Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter, die diese Frage stellen, sondern auch viele, die heutzutage junge Menschen – oder auch Menschen, die in eine neue Sinnfindungsphase gekommen sind – bei der Wahl ihres Lebenszieles begleiten, also Religionslehrer, Mentoren, Gemeindemitglieder… Nicht selten wird diese Frage auch von Außenstehenden ins Spiel gebracht – oft ernsthaft, ab und an aber auch mit einem satirischen Unterton versehen: „Also das kann man ja nun wirklich niemandem empfehlen.“ Und es zeigt sich deutlich – und das nicht erst seit den Missbrauchsfällen vor ein paar Jahren bzw. der Limburger Geschichte jetzt – dass wir als katholische Kirche ein Problem mit Berufungen haben. Die Strukturen und der Zeitgeist, dazu die unflexible Geisteshaltung vieler verantwortlicher Amtsträger, all das scheint sich ungünstig auszuwirken.
Dabei gibt es, allen Unkenrufen zum Trotz, auch heutzutage durchaus junge Menschen, die sich vom Evangelium Jesu ansprechen lassen. Junge Menschen, die begeistert nach Taizé reisen, an internationalen Jugendtreffen teilnehmen, ein paar Tage „Kloster auf Zeit“ erleben oder sich als Missionarinnen und Missionare für eine bestimmte Zeit in Länder Afrikas und Südamerikas begeben, um dort zu helfen und die bei all dem durchaus eine innere Berufung verspüren. Wer mit offenen Ohren und Augen diese Entwicklung verfolgt, der erkennt dann auch, dass mitten in den zerbrechenden kirchlichen Strukturen eine spirituelle Neugierde zu finden ist, die durchaus auch eine Konsequenz zum Handeln, auch zur Nachfolge verspüren lässt. Nur muss diese ja nicht unbedingt schnurgerade in ein Priesterseminar führen, wie sich das unsere Bischöfe gerne wünschen.
Ich frage mich oft: Vielleicht haben wir ja auch deswegen so wenige Berufungen, weil wir immer schon genau zu wissen meinen, wie eine solche schlussendlich auszusehen hat. Dabei glaube ich eben, dass wenn wir nur unser Raster im Kopf haben, wir vieles auch nicht sehen. Gott hat nämlich kein Raster, und er braucht auch keines – er liebt es einfach: bunt! Wo ein Mensch in aller Offenheit und Unvoreingenommenheit seinen Weg sucht, da kann er aber auch den Ruf Gottes hören. Ich bin der Überzeugung: Gott will Originale und keine Kopien. Er ist immer der, der den einzelnen Menschen in seiner Lebensgeschichte trifft – und das kann ein junger Mensch sein, das kann aber auch der Mensch sein, der mitten im Leben steht und sich die Frage stellt: Will ich nicht was anderes? Deswegen ist es auch so wichtig, auf die Erfahrungen und Prägungen der Menschen einzugehen und ihnen so bei der Suche nach den Spuren Gottes in ihrem Leben zu helfen. Manche müssen vielleicht auch erst „aufgeschlossen“ werden, damit sie ein Wort von Gott überhaupt hören können. Das ist wie mit anderen Dingen auch. Wer zum Beispiel keinen Hunger hat, dem wird das Essen – und sei es noch so gut und fein säuberlich zubereitet – nicht schmecken. Und wer keine Sehnsucht hat, der wird auch nicht wissen wollen, was hinter dem engen Horizont seines Lebens liegt.
Für mich ist interessant, dass Jesus die Jünger im Evangelium fragt: „Was wollt ihr?“, während wir den Leuten eher sagen, was sie tun sollen. Dabei ist die Frage: „Was wollt ihr?“ so etwas, wie der Schlüssel zum Menschen. Denn erst sollte doch ausgedrückt werden dürfen, wohin die Sehnsucht geht, was der eigene Wille sucht. Wer vor einer Entscheidung steht, der muss doch sagen können, worauf er aus ist, was ihm fehlt oder auch wohin ihn die Sehnsucht treibt. Wer das nicht tun darf und tun kann, den wird eine Entscheidung, die vielleicht sogar gegen den bisherigen Lebensstil gerichtet ist, nicht tragen – beim besten Willen nicht. Und Jesus? Der sagt den angehenden Jüngern einfach: „Kommt und seht!“ Da gibt es weder Moral, noch Vorschriften, Regeln oder Gebote – nur eine Einladung. Da darf die Probe gemacht werden, wie Nachfolge Jesu geht und ob sie überhaupt geht. Da bleibt immer noch freie Entscheidung, nach dem Ausprobieren auch sagen zu dürfen: „Nein, danke! Kann ich nicht und will ich auch nicht.“
Wie also gewinnt Jesus seine Nachfolgerinnen und Nachfolger? Er lädt ein, gibt Raum, lässt leben und erleben, gewährt Heimat. So gewinnt er Andreas, und der wieder seinen Bruder Petrus, und seither viele Christinnen und Christen. So lockt er Menschen an, fordert ihre Sehnsucht nach einem gelingenden Leben heraus und macht im übertragenen Sinne deutlich: „Du musst kein Heiliger sein…“ Da fällt mir aber ein, dass die Eingangsfrage ja noch gar nicht beantwortet ist. Oder liegt die Antwort vielleicht bereits in diesen Gedanken? Ich würde dem jungen Mann sagen: Wenn es Jesus ist, der dich einlädt, dann geh! Achte auf deine Freiheit genauso, wie auf deine Sehnsucht. Achte auf dein Leben und auf deine Ziele. Wenn du das Gefühl hast, dass dir davon etwas genommen werden soll, dann bist du am falschen Platz.
Herzlichst, Ihr
Bertram Bolz, Diakon
Kath. Touristen- und
Residentenseelsorger
[bsa_pro_ad_space id=“8,13″ if_empty=“13″ delay=“5″]