Wandern und Entdecken: Los Órganos


Sie sind eine der auffälligsten Besonderheiten des Orotava-Tals, die Orgelpfeifen über Aguamansa. Man kann sie nicht übersehen, es sei denn, sie sind wieder einmal hinter den tief liegenden Wolken verborgen. Inmitten des beliebten Wandergebiets bei der Caldera gelegen sind sie trotzdem nahezu unerreichbar. Und auch der bekannte und beliebte Órganos-Höhenweg führt nicht zu ihren Spitzen, sondern verläuft ein gutes Stück höher. An ihren Fuß kommt man nur durch dichten weglosen Wald oder auf sehr steilen und nicht ganz problemfreien Trittspuren. Grund genug, sich hier mit ihnen genauer zu beschäftigen. 

Nur wenige schriftliche Informationen gibt es über die Órganos. In Reiseführern werden sie gelegentlich als Basaltsäulen bezeichnet. Falscher geht es nicht mehr, und solche Fehler lassen an der Verlässlichkeit der betreffenden Bücher zweifeln. Hat man sich nämlich von der Pista de Mamio, dem oft genutzten und leichten Wanderweg unterhalb der Orgelpfeifen, bis an den Fuß der Säulen hinaufgearbeitet, erkennt man spätestens jetzt, dass hier kein fester Fels aufragt. Tatsächlich handelt es sich um ganz unterschiedliches und äußerst instabiles Material aus kleinsten bis großen Steinbrocken. Die angeblichen Gesteinssäulen sind nichts anderes als dicht zusammengepresstes Lockermaterial, in welches das Wasser zahlreicher Unwetter tiefe Rinnen gewaschen hat. Von Weitem erscheinen sie wie große Säulen oder die Pfeifen einer riesenhaften Orgel. Immerhin sind sie zwischen 60 m und knapp 100 m hoch. Gäbe es nicht weiter oben über ihnen festes, schützendes Gestein, wären sie wohl kaum noch so steil aufragend, wie wir sie kennen.

Auf den ersten Eindruck handelt es sich hier um Geröll, aus dem diese seltsamen Formen herausgewaschen wurden. Aber das täuscht. Geröll, das größere Strecken bewegt wurde, hat deutlich abgerundete Steine. Diese hingegen sind oftmals kantig und zerbrochen. Sie sind bestimmt nicht weit gerollt. Hier ist etwas anderes geschehen. Es hat ziemlich lange gedauert, bis den Geologen der wahre Ursprung dieser seltsamen Gebilde auch nur einigermaßen dämmerte. Das Geschehen begann vor etwa 800.000 Jahren, als ein großer Teil der Nordflanke der Insel von Tacoronte bis La Orotava unter seinem eigenen Gewicht zusammenbrach und ins Meer stürzte. Von diesem ersten großen Flankenabbruch im Zentralteil Teneriffas ist heute praktisch nichts mehr an der Oberfläche zu sehen. Zahlreiche anschließende Vulkanausbrüche hatten innerhalb von etwa 300.000 Jahren das gesamte, durch den Kollaps entstandene Tal wieder aufgefüllt und zugeschüttet. Der größte und wichtigste damalige Vulkan war ein dem heutigen Pico del Teide durchaus ebenbürtiger Schichtvulkan. Anschließend wurde er weitgehend durch jüngere Vulkanausbrüche zugeschüttet und begraben. Diese fanden oberhalb im Bereich des Inselrückgrats statt. Und von dem einstmals großen Schichtvulkan ist heute nur noch eine kleine Erhebung oberhalb von Santa Úrsula oberirdisch zu sehen. Er heißt Micheque, und nach ihm wurde dieser erste große Flankenkollaps benannt. Die dicken Lavaschichten, die seitdem das einstige Bergsturzgebiet zude­cken, sind Grund genug, dass die Geologen dieses Ereignis so lange vollständig übersehen hatten. In den restlichen 500.000 Jahren bis heute ist der Boden dort zu der fruchtbaren Erde der Gemarkung Tacoronte-Acentejo verwittert und liefert heute Kartoffeln, Gemüse und Weine bester Qualität.

Aber im Untergrund dieses Gebiets unter den anschließend abgelagerten Lavaschichten überdauerte eine dicke Schuttschicht, die unmittelbar nach dem Abbruch der Nordflanke der Insel dort liegen geblieben war. Nur die Mineros, die Bergleute, die in der Gegend Stollen zur Wassergewinnung in den Berg getrieben hatten, kannten diese Schichten aus dicht gepacktem Lockermaterial tief unter der harten, festen Lava. Für den Bergbau waren sie wegen ihrer mangelhaften Stabilität unangenehm. Die Mineros nennen sie Mortalón in Anlehnung an die weiche italienische Wurst, die Mortadella. Für die Gewinnung des begehrten Wassers hingegen sind diese Schichten oftmals sehr entscheidend; denn in der Regel sind sie trotz ihrer geringen Stabilität undurchlässig für Wasser. Somit staut sich das Grundwasser an vielen Orten im Untergrund genau an diesen Strukturen. Diese Plätze zu finden und zu erschließen ist der Zweck der zahlreichen Galerias oder Wasserstollen mit mehr als 1000 km Gesamtlänge auf Teneriffa.

Nachdem das vor 800.000 Jahren entstandene Tal weitgehend wieder aufgefüllt und für uns heute nahezu unerkennbar war, brach vor 500.000 Jahren erneut ein großes Stück der Nordflanke unter seinem eigenen Gewicht zusammen und stürzte ins Meer. Die Senke des heutigen Orotava-Tals war entstanden. Sie überlappt sich in ihrem östlichen Teil mit dem westlichen Teil der vorhergehenden Abbruchzone. Und genau dort, oberhalb der Stadt La Orotava, trat ein Teil des Mortalons des Micheque-Abbruchs wieder zutage. Das sind die eigenartigen Säulen bei Aguamansa und der Caldera. Sie bestehen nicht aus massivem Basalt, sondern aus zusammengepresstem Lockermaterial. Nichts als Mortalón.

Michael von Levetzow 

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