Der Atlantik verschafft sich Respekt und überflutet erneut San Andrés
Der Fischerort San Andrés am Rande von Santa Cruz bekam Ende August wieder einmal die Gewalt des Atlantiks zu spüren. Eine Springflut brach regelrecht über den Ort herein, überflutete und beschädigte die Zufahrtsstraße und bahnte sich durch Straßen und Gassen einen Weg bis in die Ortsmitte. Auch andernorts auf den Inseln verursachte das Springhochwasser Überflutungen, doch die Folgen waren nirgends so gravierend wie in San Andrés. Die Stadt schätzt die Reparaturkosten an öffentlichen Infrastrukturen und Privateigentum auf 500.000 Euro.
Die Bewohner des Ortes, die es leid sind, den Bau eines Wellenbrechers zu fordern, reagierten teils resigniert, teils empört. Zu oft waren sie schon ähnlichen Situationen ausgesetzt, ohne dass die zuständigen Behörden für eine Lösung gesorgt hätten. Man überlegte, eine Demo zu veranstalten, um die Stadtverwaltung zum Handeln zu zwingen, was sich aber schließlich als unnötig herausstellte.
Santa Cruz’ Bürgermeister José Manuel Bermúdez zeigte sich äußerst bemüht, schnell eine Lösung herbeizuführen. In einer eilig einberufenen Besprechung mit Vertretern der Regionalregierung, des Cabildos und des spanischen Küstenamtes wurde die Lage erörtert. Fazit: Das Küstenamt verpflichtete sich zur raschen Reparatur der Schäden an der Zufahrtsstraße und Promenade sowie zur zügigen Ausarbeitung eines Projektes für einen Wellenbrecher. Mit dieser Aussicht auf eine endgültige Lösung sind die Gemüter vorerst beruhigt, die Bürger von San Andrés bleiben allerdings in Habachtstellung, denn sie haben längst Erfahrung mit leeren Versprechen.
In den letzten Augusttagen zeigte sich der Atlantik an der kanarischen Küste von seiner wilden Seite. Ein spektakulärer Wellengang machte an allen zum Meer hin offenen Stränden Teneriffas das Baden unmöglich. In sonst ruhigen Badebuchten standen die Menschen staunend und in sicherer Entfernung und beobachteten das Spektakel. So wurde beispielsweise schon am Sonntag, dem 28. August am Badestrand El Duque in Costa Adeje die Rote Fahne gehisst, und die Wellen schlugen bei Flut so kräftig und hoch auf den Strand, dass weite Teile davon regelrecht überflutet wurden; spektakulär aber dennoch harmlos und ohne größere Schäden zu verursachen.
Tags darauf bekamen die Bewohner des Fischerortes San Andrés bei Santa Cruz die Wucht des Meeres auf weitaus schlimmere Weise zu spüren. Schon bei der ersten Hochwasserhöhe gegen 01.00 Uhr nachts brachen die Wellen so hoch über die Küstenstraße herein, dass diese überflutet wurde. Die Flut bahnte sich weiter ihren Weg bis in den Ort; Restaurants und Wohnhäuser liefen voll Meerwasser. Das Ganze wiederholte sich gegen 13.00 Uhr bei der nächsten Flut.
Das ewige Warten auf den Wellenbrecher
Die Bewohner von San Andrés sind Kummer gewohnt. Regelmäßig schlägt das Meer mit seiner Gewalt zu und überflutet die Zugangsstraße, doch an diesem 29. August waren die Auswirkungen der Springflut heftiger als sonst und richteten große Schäden an. „Dies alles hätte durch einen Wellenbrecher verhindert werden können“, hörte man viele Anwohner schimpfen, die in den Gassen knietief im Wasser standen. Die Forderung nach einer Mole, um den exponierten Ort zu schützen, ist schon fast historisch. Eine Anwohnerin entrüstete sich: „Es wird wohl erst ein Unglück geschehen müssen, damit schließlich gehandelt und das Problem gelöst wird.“ Die Bürger von San Andrés fühlen sich von der Stadt im Stich gelassen. Seit Jahr und Tag leben sie mit der Angst vor den Gezeiten, müssen immer wieder selbst die Schäden an ihren Wohnungen und Lokalen beheben. Mit fast stoischer Gelassenheit berichtete eine 76-jährige Anwohnerin, wie das Meer in ihr Haus eingedrungen ist und bis zu einem halben Meter hoch stand. Schon drei Mal musste sie ihre Wohnungseinrichtung aus diesem Grund erneuern. Sie hat aufgehört zu zählen, wie oft das Meer schon als ungebetener Gast ihre Wohnung besucht hat.
Während die ersten Anwohner schon mit einer Demo drohten, besuchte Bürgermeister José Manuel Bermúdez mit einem kleinen Gefolge an Stadträten den überfluteten Ort und versprach, sich für den Bau eines Wellenbrechers einzusetzen. Er wolle weiter mit der Hafenbehörde verhandeln, damit diese noch vor Ende des Jahres ein entsprechendes Projekt vorlegt. Die Anwohner, die seit fünfzig Jahren auf den Bau eines Wellenbrechers warten, nahmen das Versprechen des neuen Bürgermeistes argwöhnisch zur Kenntnis.
Die wissenschaftliche Erklärung: Springflut
Auch andernorts auf den Inseln sorgte die Springflut an diesem 29. August für Überflutungen. So wurde am Strand von Arinaga auf Gran Canaria die Meerespromenade überspült.
Im Süden Teneriffas wehte an allen Stränden die Rote Fahne und signalisierte: absolutes Badeverbot. Stark war der Ort Las Galletas betroffen. Riesige Wellen brachen über die Strandpromenade herein und spülten Kiesel und Sand an. Bewohner der nah am Wasser gelegenen Häuser sicherten ihre Eingangstüren mit Sandsäcken und Handtüchern. Die Hauptstraße von El Fraile musste wegen des Wellengangs mehrere Stunden gesperrt werden.
„Das passiert jedes Jahr mit dem Mondwechsel; am schlimmsten war es gegen Mittag, zwischen ein und zwei Uhr. Aber ich habe keine Angst, ich bin hier aufgewachsen“, sagte eine Anwohnerin und hat damit nach Auskunft eines Experten Recht. Eugenio Fraile Nuez vom Ozeanographischen Institut der Kanaren beschrieb das Phänomen gegenüber einer lokalen Zeitung als „extreme Gezeiten“. Es waren also weder die Ausläufer des Hurrikans „Irene“ auf der anderen Seite des Atlantiks, noch darf die Schuld bei neuen Hafenanlagen gesucht werden (wie ein Fischer mutmaßte). Dass der Höhenunterschied zwischen Niedrigwasser und dem folgenden Hochwasser Ende August knappe drei Meter betrug, hat einen anderen Grund, den Experten Springflut nennen. Eine Springflut, auch Springhochwasser genannt, ist eine höher auflaufende Flut, verursacht durch die Konjunktion oder Opposition von Sonne und Mond, die durch gemeinsame Gezeitenwirkung das höhere Hochwasser verursachen. Dies ist bei Vollmond und Neumond der Fall. Am 29. August war Neumond. Eugenio Fraile Nuez erklärte, dass dieses Phänomen noch durch einen Seegang mit Stärken von zwischen 4 und 5 (Grobe See), zum Teil sogar 6 (sehr grobe See) und eine Dünung von ein bis zwei Metern verstärkt wurde.
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