Das Wochenblatt im Gespräch mit Ezequiel Navio Vasseur, der entscheidend an dem Protest gegen die Probebohrungen mitwirkt
Ezequiel Navio Vasseur leitet die Oficina de Acción Global im Cabildo von Lanzarote, die an der Organisation und Koordination der Proteste gegen die von Repsol vor den kanarischen Küsten geplanten Probebohrungen maßgeblich beteiligt ist. Mitte Mai nahm Navio Vasseur zu den Fragen des Wochenblattes Stellung.
Wochenblatt: Herr Navio Vasseur, aus welchen Gründen werden die Probebohrungen und die Ölförderung von großen Teilen der Bevölkerung und der Politiker abgelehnt, obwohl Repsol die Schaffung Tausender Arbeitsplätze auf den Kanaren verspricht, und die Regierung Gesprächsbereitschaft über eine finanzielle Beteiligung der Inseln signalisiert hat?
Navio Vasseur: Die geplanten Probebohrungen auf offenem Meer beherbergen wegen der extremen Tiefe, der Nähe zu den kanarischen Küsten und der umweltschädlichen Eigenschaften des Rohöls ein sehr hohes Risiko. Ein Vorhaben dieser Reichweite, das im Fall eines schweren Unfalles katastrophale Auswirkungen für hunderttausende Personen auf den Inseln hätte, kann der Bevölkerung und der sie vertretenden öffentlichen Institutionen nicht einfach aufgezwungen werden.
Auch das Argument der Schaffung von Arbeitsplätzen hat aufgrund der fehlenden Glaubwürdigkeit der Verantwortlichen die Canarios nicht überzeugen können. So hat Repsol-Präsident Antonio Brufau 2012 angekündigt, die Sondierungen würden 52.000 Arbeitsplätze schaffen, zwei Jahre später spricht er nur noch von 3.500 bis 5.000. Dass diese Stellen mit Canarios besetzt werden sollen, davon ist nirgendwo die Rede.
Wochenblatt: Das Unfallrisiko bei der Durchführung von Probebohrungen und bei der Ölförderung wird generell als äußerst gering bewertet. Kommt es allerdings zu einem Unglück, sind die Folgen katastrophal. Wie lautet die Risikoeinschätzung der Wissenschaftler für die Bohrungen vor den Kanaren?
Navio Vasseur: Das Unfallrisiko der Ölsuche und -förderung von Offshore-Vorkommen ist keineswegs äußerst gering, Unfälle sind sogar üblich. Immer wieder kommt es zu kleineren bis mittelgroßen Ölaustritten mit der entsprechenden Schädigung für die Umwelt, doch hierüber berichten die Medien nicht. Anders sieht es bei den Unfällen katastrophaler Ausmaße aus, die tatsächlich selten passieren, dann aber auch über die Medien verbreitet werden. Trotz ihrer Seltenheit gibt es sie weiterhin und wenn sie geschehen, sind die Folgen verheerend.
Die Geologenkammer Spaniens (ICOG) nahm 2012 eine positive Stellung bezüglich der Probebohrungen ein und wies darauf hin, – wie sie es grundsätzlich zu tun pflegt –, dass die Risiken minimal seien, solange die nötigen Umweltschutzmaßnahmen eingehalten würden. Die Repsol-Experten haben jedoch in ihrer Studie über die Umweltauswirkungen verschiedene Szenarien über Ölaustritte in Erwägung gezogen, u.a. auch einen Blowout mit katastrophalen Folgen. Dabei würde eine Ölpest insbesondere die Küsten der östlich gelegenen Inseln komplett verschmutzen.
Die Weltnaturschutzunion (IUCN), der WWF, Birdlife, Dutzende wissenschaftlicher Einrichtungen der USA, Kanadas, Europas, Afrikas und Asiens, die sich hauptsächlich mit der Erforschung der Meeressäugetiere, der Fischgründe und biologischen Vielfältigkeit im Allgemeinen beschäftigen, lehnen die Pläne Repsols jedenfalls entschieden ab.
Wochenblatt: Welche relevanten Informationen über die Risikoeinschätzung soll Repsol bei der Studie über die Umweltauswirkungen zurückgehalten haben?
Navio Vasseur: Repsol-Präsident Antonio Brufau hat im November gesagt: „Ich ziehe keine Unfälle in Betracht, denn wenn ich das täte, würde ich mich stattdessen dem Bau von Hotels widmen.“
Ich sage dazu nur, dass Repsol zwischen 2006 und 2010 6.987 Ölaustritte in aller Welt registriert, aber in der Studie über die Umweltauswirkungen die Möglichkeiten von Ölaustritten absichtlich minimalisiert hat, wie in Verbindung mit der Universität von Las Palmas de Gran Canaria stehende Wissenschaftler nachgewiesen haben.
Wochenblatt: Welche Aktionen wurden seitens der Protestfront eingeleitet, um die Probebohrungen zu verhindern?
Navio Vasseur: Es gibt einen detaillierten Plan, der auf die Einstellung des Genehmigungsverfahrens zur Durchführung der von Repsol geplanten Probebohrungen abzielt. Bei dem sind die Inselregierungen von Lanzarote und Fuerteventura, die kanarische Regierung sowie diverse Vereinigungen aus ganz Europa beteiligt, wie der WWF, Greenpeace, SEO/
Birdlife und Friends of Earth. Darüber hinaus setzen sich 17 Parteien und politische Vereinigungen sowie Tausende Menschen auf entscheidende Weise dafür ein, diese Umweltbedrohung, die wir auf keinen Fall zulassen werden, zu unterbinden.
Der Plan sieht konkrete Aktionen im wissenschaftlichen, wirtschaftlichen, sozialen, politischen, legislativen, judikativen, verwaltungsrechtlichen und kommunikativen Bereich vor.
Wochenblatt: Inwieweit beteiligen sich deutsche Residenten an Ihren Protestaktionen?
Navio Vasseur: In Deutschland und bei den deutschen Residenten auf den Kanaren besteht ein ausgeprägtes Umweltbewusstsein, eine große Sensibilität für umweltpolitische Themen und ein tiefer Respekt vor der Natur. Auf Lanzarote beteiligen sich seit über einem Jahr etwas hundert Deutsche bei den diversen Aktionen gegen die Probebohrungen. Sie beantworten die Fragen der deutschen Medien, dokumentieren den Konflikt, fertigen Übersetzungen für unser Büro an, informieren ihre Familienangehörigen und Freunde in Deutschland und beteiligen sich an Unterschriftensammlungen oder der Bildung von Menschenketten.
Gerne würden wir die Bildung ähnlicher Zusammenschlüsse auf den anderen Inseln unterstützen, denn die deutschen Residenten sind uns eine große Hilfe bei der Erhaltung der außergewöhnlichen Natur der Inseln. Darüberhinaus setzen sie sich für den Wechsel zu einem von Erneuerbaren Energien bestimmten Energiemodell ein. Auf Lanzarote fördert unser Büro aktiv den Einsatz der deutschen Residenten. Per E-Mail und auf Deutsch informieren wir sie regelmäßig über den neuesten Stand und den Verlauf der Protestkampagne.
Wochenblatt: Vor Kurzem sind Sie eigens nach Berlin gereist. Waren Sie bei ihrer Suche nach Unterstützung in Deutschland erfolgreich?
Navio Vasseur: Selbstverständlich. Nach Spanien handelt es sich bei Deutschland um das Land, welches mit am stärksten den Protest gegen die Probebohrungen auf den Kanaren unterstützt. Viele Deutsche sind entrüstet, nicht nur wegen der potenziellen Gefährdung für die Inseln, auf denen sie leben oder auf denen sie ihren Urlaub verbringen, sondern auch wegen der 20-prozentigen-Beteiligung des deutschen RWE-Konzerns an dem Vorhaben.
Auch unterstützen uns der WWF Deutschland und die freiwilligen Helfer aus Berlin, München und Hamburg sowie die vielen seit Jahren in Deutschland lebenden Canarios wirklich fantastisch.
Wochenblatt: Obwohl Taleb Rifai, Generalsekretär der Welttourismusorganisation (UNWTO), Anfang des Jahres auf der Tourismusmesse ITB in Berlin erklärt hat, Tourismus und Ölförderung seien sehr wohl kompatibel, haben diverse internationale Größen der Tourismusbranche bereits Alarm geschlagen. Wie hat die Tourismusbranche tatsächlich reagiert?
Navio Vasseur: Herr Rifai war sehr umsichtig. Hinsichtlich der Probebohrungen bei den Balearen und den Kanarischen Inseln hat er dieses Jahr in Berlin tatsächlich erklärt, er könne in dieser Angelegenheit keine Stellung beziehen. Diese Projekte seien danach zu beruteilen, wie sie durchgeführt würden und dass sie den angrenzenden Gebieten sowie ihren Bewohnern keinen Schaden zufügten, womit wir einer Meinung wären.
Tatsächlich jedoch kann im Falle der Kanaren niemand garantieren, dass die ultratiefen Probebohrungen in einem Meeresboden mit häufigen Erdbeben und sich erst kürzlich manifestierter vulkanischer Aktivität, nur wenige Kilometer von den Inseln entfernt und in einem Teil des Ozeans mit sehr hoher und für das ökologische System fundamentaler Vielfältigkeit von Lebensräumen und Arten keinen Schaden anrichten.
Darüber hinaus möchte ich darauf hinweisen, dass das Trinkwasser von Lanzarote und Fuerteventura aus dem Meer stammt, dass etwa 90% der direkten und indirekten Arbeitsplätze dem Tourismus zuzuordnen sind und eine Verschmutzung der Küste nicht nur eine Natur- sondern auch eine humanitäre Kastastrophe bedeuten würde.
In Spanien sieht das Krafstoffgesetz vor, dass die Förderungsgewinne einzig und allein den Erdölkonzernen zufließen. Somit würden die Kanarischen Inseln nur die Risken tragen, während Repsol allein die Gewinne einführe.
Das wahre Erdöl der Kanaren sind die Natur, die Strände, das Klima, die Landschaften, die Kultur. Die Gegenwart und die Zukunft hängen vom Erhalt dieses Gutes und vom Wechsel zu den Erneuerbaren Energien ab. Dieses natürliche und nachhaltige Gut wegen einer ökonomischen Größe aufs Spiel zu setzen ist nicht nur sinn-, sondern schamlos.
Wochenblatt: Regionalpräsident Paulino Rivero hat die Regierung gebeten, von Marokko eine Garantie bezüglich der Einhaltung der sicherheitstechnischen Bedingungen und für die Schadensersatzübernahme im Falle eines Unfalles bei den Probebohrungen in marokkanischen Gewässern zu fordern. Wie beurteilen Sie die Tatsache, dass derzeit diverse Unternehmen Sondierungen in marokkanischen Gewässern und teilweise in der Nähe der Kanaren planen bzw. schon durchführen?
Navio Vasseur: Marokko ist ein souveräner Staat und kann in seinen Gewässern die Vorhaben genehmigen, die es für angemessen hält. Doch wenn das Land risikoreiche Aktivitäten fördert, kann das nicht als Beispiel und als Rechtfertigung für gleiches Vorgehen in unserem Land herangezogen werden, so wie es gerade passiert.
Wir sollten uns nicht selbst belügen – die Gewinne der Ölförderung, ob nun in spanischen oder marokkanischen Gewässern, fließen in die Kassen der Konzerne und nicht in die Geldbeutel der Bevölkerung.
Auf der anderen Seite hat Spanien das Recht, von Marokko zu verlangen, keine die Interessen Spaniens bzw. der Kanaren gefährdende Aktivitäten durchzuführen, wie im Falle des Kernkraftwerks von Tam Tam 2007 auch geschehen. Damals plante Marokko, an der Küste, nur 300 Kilometer von den Kanarischen Inseln entfernt und auf einer aktiven Verwerfung ein Kernkraftwerk zu bauen. Doch die spanische Diplomatie drängte mit allen Kräften auf ein Absehen vom Projekt, mit dem Argument, es handele sich um eine ernsthafte Gefährdung der Inseln. Schlussendlich wurde das Kraftwerk nicht gebaut.
Derzeit drängt die Regionalregierung in Marokko auf eine Garantie für die Verhinderung risikoreicher Probebohrungen, eine Aufgabe, die eigentlich Industrieminister José Manuel Sorias zukäme.
Denn eines darf man nicht vergessen – eine Ölpest respektiert keine Grenzen.
Wochenblatt: Herr Navio Vasseur, wir danken Ihnen sehr für das Gespräch.
Navio Vasseur: Vielen Dank Ihnen.
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