Allein der Zugführer ist angeklagt


© EFE

(Noch) keine überzeugenden Hinweise auf Mitschuld der Führungskräfte von Adif

Nachdem der ermittelnde Richter neben dem Zugführer auch gegen die Führungskräfte und Techniker des für das Schienennetz verantwortlichen Unternehmens „Adif“ Anklage erhoben hatte, hob das Provinzgericht von A Coruña diese nun wieder auf, sodass derzeit nur der Zugführer beschuldigt wird.

Madrid – Allerdings hat das Gericht nicht ausgeschlossen, bei stichhaltigen Beweisen die Anklagen doch zuzulassen.

Die Frage nach der Verantwortlichkeit

Nach dem schweren Zugunglück vom 24. Juli bei Santiago de Compostela, bei dem 79 Menschen ums Leben kamen, hatte Richter Luis Aláez umgehend die Ermittlungen aufgenommen. Nachdem Zugführer Francisco José Garzón gestanden hatte, während der Unglücksfahrt durch ein Telefongespräch abgelenkt gewesen zu sein und aufgrund dessen den Zug nicht rechtzeitig abgebremst zu haben – woraufhin dieser in der Kurve vor Angrois, kurz vor Santiago de Compostela, entgleiste –, hatte Aláez Anklage wegen fahrlässiger Tötung gegen ihn erhoben.

Doch der Richter gab sich damit nicht zufrieden, wollte es genau wissen, die Hintergründe klären und sämtliche Verantwortlichkeit aufdecken. Tatsächlich vermutete Aláez bald einen Bezug zwischen der Sparpolitik des für das Schienennetz zuständigen Unternehmens Adif und der verminderten Sicherheit in der Kurve von Angrois.

Das Unglück hätte nämlich trotz des menschlichen Fehlverhaltens verhindert werden können, wäre ein automatisches Bremssystem vorhanden gewesen. Der 87 km lange Streckenabschnitt zwischen Ourense und Santiago de Compostela war 1999 entworfen worden. Eigentlich hätte die Strecke mit einem automatischen Bremssystem ausgestattet werden müssen, welches die Geschwindigkeit der Züge kontrolliert, bei Abweichungen den Zugführer warnt und bei dessen Untätigkeit automatisch den Bremsvorgang auslöst. Doch wegen des verminderten Etats von Adif soll man sich für ein abgespecktes Warnsystem entschieden haben, welches nur Alarm auslöst, jedoch nicht automatisch abbremst. Dies geht aus einem Bericht über eine geplante Projektänderung aus dem Jahr 2010 hervor. Infolgedessen bezichtigte Untersuchungsrichter Aláez auch 27 Führungskräfte und Techniker von Adif einer Mitschuld an der Katastrophe.

Aufhebung wider Willen

Doch das Provinzgericht von A Coruña hob diese Anklagen nun auf, mit der Begründung,  anhand der beigebrachten Ermittlungsergebnisse keinen Straftatbestand bei der Fahrtfreigabe dieser nur mit einem einfachen Warnsystem ausgestatteten Strecke erkennen zu können.

Allerdings ermutigten die Richter Aláez, angesichts der „Ausmaße der Tragödie“ „eingehendere Ermittlungen“ durchzuführen. Indirekt forderten sie ihren Kollegen auf,  insbesondere die Entscheidung gegen ein automatisches Bremssystem und das Nichtvorhandensein von Warnsignalen in der Unglückskurve genauestens unter die Lupe zu nehmen. Sie deuteten ihre Bereitschaft an, bei Vorlage stichhaltiger Beweise eine eventuelle Verantwortlichkeit von Adif zur gerichtlichen Prüfung zuzulassen. Dasselbe soll gelten, wenn belegt werden kann, dass die Führungskräfte die in der Unglückskurve bestehende Gefahr gekannt hätten.

Nach Aufhebung der Anklagen ging einer der Richter sogar schon fast so weit wie Aláez und mutmaßte in einem Beschluss, dass die Entscheidung gegen das automatische Bremssystem tatsächlich auf die Investitionspolitik von Adif zurückzuführen sei.

Alle warten auf die Gutachten

Die Akten des Zugunglücks umfassen mittlerweile rund 8.000 Seiten, trotzdem fehlen immer noch die äußerst wichtigen Sachverständigengutachten, die das Provinzgericht ausdrücklich vermisste und die die Wiederaufnahme der Anklagen bringen könnten. Richter Aláez trifft allerdings keine Schuld daran, dass diese immer noch nicht vorliegen, sondern vielmehr der Sparzwang der galicischen Regionalregierung. Der ermittelnde Richter hatte bereits drei unabhängige Sachverständige – einen Ingenieur für Schienenfahrzeugtechnik, einen Ingenieur für Industrieorganisation und einen Telekommunikationsingenieur – mit der Anfertigung der Gutachten beauftragt, doch die Regionalregierung lehnte die unabhängigen Sachverständigen ab und wollte lieber die eigenen Mitarbeiter beauftragen. Gesetzlich gesehen liegt diese Entscheidung im Kompetenzbereich der „Xunta“, die wohl die Kosten der privaten Gutachter von 800.000 Euro umgehen möchte, doch leider verfügt die Regionalregierung selber nicht über Spezialisten in Zug- und Schienentechnik.

Es ist also mehr als fraglich, wann die entscheidenden Gutachten vorliegen werden.

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