Gedanken für mich – Augenblicke für Gott
„Kennen Sie jemanden, der ein bisschen heilig ist?“ Mit dieser Frage ging ein Reporter kurz vor Allerheiligen auf die Straße. Manche Menschen wussten mit dieser Frage gar nichts anzufangen; andere lachten und meinten: sie kennen nur normale Menschen.
Eine Frau aber sagte: „Ja, ich glaube, ich kenne einen solchen Menschen – meine Nachbarin. Ihr Mann ist schwer krank, und sie pflegt ihn rund um die Uhr. Trotz all ihrer Probleme ist sie aber immer freundlich und nett.“ Und diese Antwort machte andere nachdenklich. Plötzlich entdeckte fast jeder in seiner Umgebung Menschen, die „ein bisschen heilig sind.“ Sie berichteten von Schicksalsschlägen, die geduldig und tapfer getragen werden; von Hilfsbereitschaft, Zeit haben, von Freundlichkeit und Geduld, die man durch andere Menschen tagtäglich erfährt. Und endlich wagten diese befragten Menschen auch zu sagen: „Ja, die können ein bisschen heilig sein.“
Fast jeden Tag im Jahr begeht meine Kirche den Gedenktag eines/r Heiligen. Der Kalender ist voll, übervoll davon. Doch einmal im Jahr, an Allerheiligen, da wird an alle Heiligen gedacht – besonders auch an jene, die „ein bisschen heilig“ waren. Menschen, die nie im öffentlichen Rampenlicht standen, die im Verborgenen, im Stillen, im Kleinen das verwirklicht haben, was Christ-Sein bedeutet. Und Allerheiligen erinnert außerdem daran, dass eigentlich alle Christen durch die Taufe geheiligt sind und Heilige werden sollten. Heilig werden, das meint auch hier nicht besonders heldenhafte oder großartige Leistungen; nein, es geht um die kleinen Zeichen von Menschlichkeit, Liebe und Versöhnung. Ein Beispiel dafür liefert der große Kirchenlehrer Franz von Sales. Zu ihm kam einmal ein Mann und fragte: „Wie kann ich heilig werden?“ Seine Antwort lautete schlicht: „Wenn sie heilig werden wollen, dann geben sie ganz besonders darauf acht, jede Tür, die sie schließen, sanft zuzumachen.“ Mehr sei gar nicht nötig, meinte er, um „ein bisschen heilig“ zu sein. Und wenn man sich mal unseren Alltag anschaut, wie oft da nach einem Streit die Türen zugeknallt werden und verschlossen bleiben, dann ist das eigentlich gar nicht so wenig, was Franz von Sales da fordert. Allerheiligen bedeutet also, sich auf die Suche nach Menschen zu machen, die in meiner Umgebung „ein bisschen heilig“ sind und waren – und: Sich selbst einmal Gedanken darüber zu machen, wo ich vielleicht Türen brutal zugeschlagen habe und wo ich jetzt darauf achten sollte, diese a) wieder zu öffnen und sie dann b) sanft zu schließen.
Was aber hat es nun mit den offiziellen Heiligen und der Heiligkeit auf sich? Nun, entweder man hält es mit dem Apostel Paulus, der sagt, dass alle Getauften Heilige, also Töchter und Söhne Gottes sind – oder man überlässt es dem Herrgott selbst, wer heilig ist. Mit all den Gremien und Instanzen, die beurteilen wollen, ob nun jemand würdig ist, heilig gesprochen zu werden, haben ja viele so ihre Probleme. Und das nicht ohne Grund. Wer die Biographien der offiziellen Heiligen liest, wird sehr schnell merken, dass es da so etwas wie einen Zeitgeist gibt. Die Kriterien, wann jemand als heilig gilt, sind nämlich durchaus zeitabhängig und nicht allzu selten menschlich.
Wie also erkenne ich nun, ob jemand heilig ist oder nicht? Ich selbst finde noch immer die Aussagen faszinierend, die Jesus in seiner Bergpredigt trifft. In den Seligpreisungen benennt er ganz klar die Bedingungen, die einen Heiligen ausmachen – und die lassen aufhorchen: Jesus preist nämlich Menschen selig, die weit vom Glück entfernt sind und in den Augen der Gesellschaft eher zu den Verlierern gehören. Doch in den Augen Gottes sind es die wahren Gewinner. Glücklich ist nicht, wer Geld hat, sondern vor Gott arm ist; der kapiert, dass er letztlich mit leeren Händen vor Gott steht und auf ihn vertrauen muss und nicht auf sein Vermögen. Die Sehnsucht nach Gerechtigkeit kennt doch nur, wer die Hoffnung auf eine bessere Welt noch nicht aufgegeben hat – all diese Menschen sind im wahrsten Sinne des Wortes „heilig“ – „selig“.
Vor 400 Jahren hat der vorhin erwähnte Franz von Sales gesagt: „Das Evangelium ist die Partitur, die Heiligen sind die dazu erklungene Melodie.“ Ein schönes Bild. Die Heiligen haben aus dem Geist Jesu und seiner Seligpreisungen gelebt, und sie haben dadurch die Melodie Gottes in dieser Welt zum Klingen gebracht. Jede/r auf ihre/seine Weise. Die einen eher zärtlich und leise, andere kräftig und unüberhörbar. So aber ist Allerheiligen auch ein Tag, an dem ich mich frage: Welches Lied hat Gott für mich? Was für eine Melodie soll und kann ich spielen? Kenne ich sie? Und wenn ja, bin ich bereit, sie einzuüben und sie dann und wann zu summen? Gott wartet darauf, dass ich seine Melodie in der Welt zum Klingen bringe – und er wartet auch auf Sie!
Ihr
Bertram Bolz, Diakon
Kath. Touristen- und
Residentenseelsorger
Diesen und frühere Artikel können Sie nachlesen unter: www.katholische-gemeinde-teneriffa.de oder www.wochenblatt.es
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