Haidar in Lebensgefahr


© EFE

Druck internationaler Diplomaten auf Marokko erfolgslos

Der Fall Aminatou Haidar sorgt weiter weltweit für Schlagzeilen. Die sahraouische Menschenrechtsaktivistin befindet sich seit nunmehr 30 Tagen auf dem Flughafen von Lanzarote im Hungerstreik. „Es geht ihr sehr schlecht. Ihr Körper ist ausgelaugt“, sagte ein Cousin Haidars, der sie in dem kleinen Raum besuchte, der ihr am Flughafen zum Schlafen zur Verfügung gestellt wurde. Die 42-Jährige nimmt seit dem 14. November nur Zuckerwasser zu sich.

Der Gesundheitszustand der geschwächten Frau, deren Wille und innere Stärke allerdings ungebrochen sind, ist wahrlich besorgniserregend. Entschlossen ließ sie wissen: „Ich werde nach El Aaiun zurückkehren – lebendig oder tot“. Ihren Kampf könne sie jetzt unmöglich aufgeben, sagte sie, „denn wenn ich aufgebe, werden sie sicher viele Sahraouis auf die gleiche Art und Weise ausweisen“.

Unterdessen laufen die internationalen diplomatischen Bemühungen um eine Lösung des Konflikts weiter.

Sahraouische Familien und Sympathisanten haben sich vor dem kleinen Raum versammelt, in dem Aminatou ihr provisorisches Lager hat, um ihr beizustehen. Sie halten Wache, falls die entkräftete Frau ihre Hilfe braucht, zum Beispiel um im Rollstuhl zur Toilette gefahren zu werden. Reporter lauern ebenfalls vor der Tür. Am 14. Dezember gelang es ihnen zu dokumentieren, wie Aminatou Haidar sich in einer Apotheke am Flughafen wog. Trotz der Bemühungen, die Anzeige der Waage zu verdecken, berichtete die Zeitung El País am nächs­ten Tag, sie habe 6,2 kg an Gewicht verloren, seit sie vor einem Monat in den Hungerstreik getreten ist.

Die spanische Regierung hat Haidar alles angeboten, was in ihrer Macht steht: den Flüchtlingsstatus, die spanische Nationalität und sogar eine Wohnung. Doch Haidar lehnt ab. „Aber ich möchte nicht Spanierin werden; ich bin saharaoui, und solange mein Land besetzt ist, haben die Besetzer – Marokko – die Pflicht, mir einen Pass auszustellen.“

Die Vereinigten Staaten, die UNO und natürlich Spanien an vorderster Stelle haben sich darum bemüht, Marokkos Hardliner von der Notwendigkeit einer Lösung im Fall Haidar zu überzeugen. Doch Marokko bleibt beim Nein. Auch US-Außenministerin Hillary Clinton erhielt vom marokkanischen Kollegen Taieb Fassi-Fihri die gleiche Absage: Aminatou Haidar darf nicht zurückkehren. Und auch UN-Generalsekretär Ban Ki-moon erhielt von Fassi-Fihri nach einem Gespräch dieselbe Antwort. Spaniens Außenminister Miguel Ángel Moratinos scheiterte Tage später bei dem Versuch, Hillary Clinton in Washington die Zusage einer aktiveren Beteiligung an der Lösungssuche für den Fall Haidar abzuringen.

Unterdessen häufen sich die Solidaritätsbekundungen für die Aktivis­tin. In Madrid gingen am 11. Dezember etwa 700 Menschen auf die Straße, um friedlich ihre Solidarität mit dem sahraouischen Volk kundzutun. Ian Kelley, Sprecher des US-Außenministeriums, teilte in einer Pressekonferenz mit, die USA hielten diesen Fall für ein bilaterales Problem zwischen Spanien und Marokko.

Aminatou Haidar – Symbolfigur der Westsahara

Der eiserne Wille und die Kraft

Die Frau, die den vergessenen Konflikt in der Westsahara wieder auf die internationalen Titelblätter gebracht hat, die spanische Gesellschaft bewegt und die Beziehungen zwischen Spanien und Marokko in Gefahr gebracht hat, kam 1967 in dem kleinen Dorf Akka Centre zur Welt. Dass ihr Geburtsort fast tausend Kilomter nördlich von El Aaiun mitten in marokkanischem Staatsgebiet liegt, ist allerdings nur die Bezeichnung Anekdote in ihrem Lebenslauf wert. Ihre Eltern lebten zu der Zeit in Tan Tan, ehemals Teil der spanischen Kolonie nördlich der Westsahara. Doch als Aminatou auf die Welt kommen sollte, reiste ihre Mutter nach Akka Centre, um die Beduinentradition zu wahren, das ers­te Kind bei der eigenen Mutter zur Welt zu bringen.

Ali Haidar und seine Frau bekamen nach Aminatou noch drei weitere Kinder in Tan Tan. Nachdem ihr Mann 1975 bei einem Zusammenstoß mit einem Lkw ums Leben kam – Aminatou ist bis heute der festen Überzeugung, dass ihr Vater von dem autoritären Regime Hassans II ermordet wurde – zog die Witwe mit ihren vier Kindern von Tan Tan nach El Aaiun. Dort heiratete sie wieder und bekam drei weitere Kinder.

Aminatou war ein fröhliches Kind und eine fleißige Schülerin, „immer Klassenbeste“ erinnert sich ein Onkel, der damals ein hohes Amt im marokkanischen Innenministerium bekleidete. Die heutige Westsahara-Aktivistin wuchs im Schoß einer gut situierten Familie mit guten Beziehungen zu Rabat auf. Während ihrer schulischen Laufbahn schien sie sich nicht außerordentlich für die Konfliktsituation in ihrer Heimat zu interessieren. Marokko und die Unabhängigkeitskämpfer des Frente Polisario lieferten sich damals einen erbitterten Kampf und hunderte Saharauis verschwanden in den Gefängnissen von Hassan II.

Der Wandel im Leben und Denken von Aminatou vollzog sich im Jahr 1987. Mit 20 Jahren wurde sie für ihren guten Schulabschluss mit einer Reise auf die Kanarischen Inseln belohnt, wo sie erstmals in Kontakt mit Mitgliedern des Frente Polisario kam. „Dort entdeckte sie die Wahrheit über das, was um sie herum geschah“, berichtete eine Cousine. Nach ihrer Rückkehr nach El Aaiun schloss sie sich den Unabhängigkeitskämpfern an; allerdings nur für kurze Zeit.

Als sich eine Kommission der Vereinten Nationen und der Organisation für Afrikanische Einheit in der Westsahara ankündigte, um über einen Friedensplan zu verhandeln, meinten die Unabhängigkeitskämpfer eine günstige Gelegenheit zu sehen, um ihre Forderungen deutlich zu machen. Sie rechneten sich aus, dass Marokko es nicht wagen würde, vor den Augen der internationalen Öffentlichkeit gegen sie vorzugehen. Doch sie verschätzten sich. Vier Tage vor Eintreffen der Delegation fing die marokkanische Regierung mit den Festnahmen an. Aminatou wurde aus ihrem Elternhaus abgeholt. Sehr korrekte Polizisten versicherten, sie würde nach einem etwa 20minütigen Verhör wieder nach Hause zurückkehren. Nachdem das Polizeiauto um die Ecke gebogen war, wurden Aminatu Handschellen angelegt und ihre Augen verbunden. Fast vier Jahre lang verschwand sie in einem Gefängnis im Zentrum von El Aaiun.

Ihren ersten Gefängnisaufenthalt verbrachte Aminatou in Gesellschaft von neun Frauen und 50 Männern in einem vier Räume ohne Türen umfassenden Bereich des Gefängnisses. Das einzige Licht fiel durch ein schmales Fenster in der Decke ein. Ihre Schilderungen der Lebensbedingungen im Gefängnis und der schreck­lichen Foltermethoden sind haarsträubend. Der Zeitung El País gestand sie erst kürzlich: „Ich dachte, ich würde das Gefängnis nie verlassen“. Einmal überzeugte sie die Mitinhaftierten davon, in einen Hungerstreik zu treten. Sie hielten nur eine Nacht durch. Am nächsten Morgen, als die Wärter feststellten, dass sie ihr Essen nicht angerührt hatten, kamen sie mit Schlagstöcken und Hunden und zwangen sie dazu, das Frühstück zu essen. Vier Inhaftierte starben in dem Gefängnis, ein weiterer starb im Krankenhaus kurz nach seiner Freilassung. Auch Aminatou war wäh­rend ihrer Inhaftierung sehr schwach, und, wie sich eine Mitinhaftierte erinnert, konnte sie sich einmal nach einem schlimmen Krampf nicht mehr rühren. „Wir benachrichtigten die Wächter und fragten nach einem Arzt, aber die sagten nur ‘Lasst sie bis sie stirbt und dann sagt ihr uns Bescheid, damit wir die Leiche wegschaffen’“.

Nach ihrer Freilassung war Aminatou gezeichnet und ihre Gesundheit angeschlagen. Sie musste sich mehreren Operationen unterziehen. Auch ihr Charakter hatte sich verändert. „Sie war engagierter, entschlossener und auch starrköpfiger“, erinnert sich eine Freundin. Auch Religion wurde für sie nach dem Gefängniserlebnis wichtiger Bestandteil ihres täglichen Lebens.

1992, ein Jahr nach ihrer Freilassung, heiratete Aminatou einen Mitinhaftierten, El Kassimi Mohamed Ali. Mit ihm hat Aminatou zwei Kinder, Hayat, heute 15 Jahre alt, und Mohamed, 13. Das immer stärkere, nahezu obsessive Engagement der Mutter für die Unabhängigkeit der Westsahara, schadete schließlich dem Familienleben und führte 1999 zur Scheidung der Ehe. Aminatou zog mit den Kindern zu ihrer Mutter in das ärmliche Viertel Zemla (El Aaiun) und befasste sich immer stärker mit ihrer politischen Aufgabe.

Ab diesem Zeitpunkt wurde Aminatou Haidar öffentlich immer bekannter. Sie rief die NGO „Collective of Saharawi Human Rights Defenders“ ins Leben und fuhr fort mit der Anzeige von Menschenrechtsverletzungen dieser Bevölkerungsgruppe. Zur Symbolfigur für die Saharauische Gemeinschaft wurde Haidar im Juni 2005, als sie bei einer friedlichen Demonstration von einem Polizisten niedergeschlagen wurde. Ein Foto der blutüberströmten Aktivistin veröffentlichten ihre Mitstreiter. Doch der Angriff auf Aminatou Haidar hätte wohl nicht so hohe Wellen geschlagen, wäre sie nicht wenige Stunden später, nach ihrer Verarztung im Krankenhaus, festgenommen worden. So begann ihr zweiter Gefängnisaufgenthalt.

Aminatou wurde im berüchtigten Schwarzen Gefängnis in El Aaiun inhaftiert und die Anklage erhoben, sie gehöre einer kriminellen Organisation an. Damals wagte die Menschenrechtsaktivistin die erste Herausforderung der marokkanischen Regierung und trat in einen Hungerstreik, der 47 Tage dauern sollte. Ermutigt durch ihr Beispiel kam es in vielen Städten der Westsahara zu Demons­trationen, und die marokkanische Polizei griff mit Härte gegen die Aufständler durch. Nach einem siebenmonatigen Kampf gaben die Machthaber in Rabat schließlich dem internationalen Druck nach und Aminatou Haidar wurde im Januar 2006 freigelassen. Zwei Monate später und nach dem diplomatischen Einsatz der USA erhielt sie ihren marokkanischen Pass zurück, der ihr neun Jahre zuvor abgenommen worden war.

Dies war ihr stiller Sieg. Sie begann zu reisen und bekam in aller Welt Preise für ihren gewaltlosen Einsatz und ihren Kampf für die Menschenrechte. Sie erhielt den Silver Rose, den Robert F. Kennedy und den Civil Courage. Innerhalb von vier Jahren wurde sie zu einer internationalen Symbolfigur, die der marokkanischen Regierung immer größeres Unbehagen bereitete. An einem Tag sprach sie im Senat der Vereinigten Staaten, dann wieder vor den europäischen Parlamentariern. Ihr politisches Dasein und ihr Privatleben schienen wieder in die Bahn zu laufen. Sie hatte vor, wieder zu heiraten; Bachir Azman, einen 57jährigen ehemaligen politischen Gefangenen. Die Hochzeit sollte nach ihrer Rückkehr aus New York stattfinden. Aber Aminatou kam am 14. November 2009 nicht nach Hause. Bachir erhielt die Nachricht, dass sie von der marokkanischen Polizei am Flughafen in El Aaiun festgenommen wurde. Am nächsten Abend erhielt Bachir einen Anruf von Aminatou aus Lanzarote: „Ich esse mein letztes Abendessen. Um 12.00 Uhr werde ich in einen Hungerstreik treten“. Er soll gesagt haben: „Kraft, Wille und Sieg“.

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