Kirchenrecht und Versöhnung


Gedanken für mich – Augenblicke für Gott

Oftmals begegne ich den größten seelsorgerlichen Problemen in Zusammenhang mit dem Kirchenrecht und seinen Gesetzen. Vielleicht wenden Sie jetzt ein: Was hab ich damit zu tun? Und ich gebe Ihnen insofern recht, dass auch ich der Ansicht bin: Normalerweise haben Christen wirklich seltenst damit zu tun. Wenn es aber beispielsweise um die Wiederheirat nach einer Scheidung geht, dann ist da ganz schnell der Konflikt mit der Kirche da und das Unverständnis bei den Menschen groß.

Auf einmal fühlen sich die so Gescheiterten wie schwerste Sünder, die keine Chance auf einen Neubeginn haben – wenn sie diesen mit dem Ja-Wort in der Kirche verbinden. Viele verstehen dann oft Gott und die Welt nicht mehr und wenn ich ehrlich bin muss ich sagen: Auch ich kann nicht so recht begreifen, wozu ein Gesetz gut sein soll, das nicht in der Lage ist, eine neue Ordnung zu schaffen und neues Leben zu gewährleisten.

Nun war ja der Apostel Paulus auch ein eifriger Verfechter des jüdischen Rechts, welches sehr viele Gebote und Verbote kannte. Aber im Rückblick auf sein früheres Leben stellt er lapidar fest, dass ihm das Recht allein überhaupt nichts gebracht hat. Denn der Glaube braucht Leben und Liebe. Deshalb kann auch Jesus von der Sünderin sagen: „Ihr sind ihre vielen Sünden vergeben, weil sie so viel an Liebe gezeigt hat.“ Unter dieser Vorgabe aber wirkt das Pauluswort „durch die Befolgung des Gesetzes allein kann kein Mensch vor Gott bestehen“ wie eine Ohrfeige für all jene, die das Kirchenrecht allein an die Spitze all ihres Denkens und Handelns stellen. Denn Paulus räumt dem Geist eine führende Rolle ein: Wer sich vom Geist Gottes getragen weiß, der trägt auch jenes Gespür in sich, welches ihm den rechten Weg im Umgang mit den Menschen und ihren Nöten zeigt. Genau dieser Weg aber führt nicht immer an den Mauern des Gesetzes entlang. Aus dem Prozess Jesu kennen wir das harte Wort: „Wir haben ein Gesetz, und nach diesem Gesetz muss er sterben.“ Ergo gilt: Wer sich nur an die Gesetze hält, der braucht sich nicht mehr um die Menschen zu kümmern. Seine Fragen und Nöte treffen nicht lebendige Herzen, sondern nur auf papierene Paragraphen.

Andererseits müssen wir nun aber auch zugeben, dass Gesetze in ihrer Form uns auch Sicherheit und Verlässlichkeit schenken. Man muss nicht jedes Mal aufs Neue irgendwelche Entscheidungen bedenken oder diskutieren, denn Regeln und Gesetze sind bereits getroffen und vorhanden. Das ist auch gut so. Nur wehrt sich Jesus dagegen, die Gesetze als reinen Buchstabengehorsam zu sehen und sie auch so zu interpretieren. Wie heißt es: „Der Buchstabe tötet; der Geist aber ist es, der lebendig macht.“ Das aber heißt für mich, dass wir in allen Gesetzen unserer Kirche zuallererst nach dem Geist der Bergpredigt zu suchen haben und nicht nach einer formalen Erfüllung irgendwelcher Paragraphen.

Erinnern Sie sich? 1993 ist der neue Katechismus unserer katholischen Kirche erschienen. Er umfasst 2865 Lehrsätze, die natürlich nicht alle als Gebote und Gesetze zu sehen sind. Aber zumindest zwischen den Zeilen und in den Verweisen auf die kirchliche Rechtspraxis findet man von A wie Aberglaube bis hin zu Z wie Zweifel genauere Festlegungen, die den Glauben in eine bestimmte Richtung bringen wollen. Wie sagte mir einmal ein Franziskanerpater während des Studiums: Als ich in Indien war, musste ich zuerst lernen, das man dort nicht alles so genau nimmt, wie man mir das beigebracht hatte. Viele Missionare lehrten mich, dass der Katechismus das eine ist, aber das Leben und der Alltag der Menschen das andere. Und so wurde dann nicht selten gefragt: Wozu brauchen wir ein so umfassendes Werk, wenn Jesus uns doch nur das eine Gebot hinterlassen hat: Gott und den Nächsten zu lieben, wie sich selbst?

Wozu? So könnte man auch bei dem Problem der Wiederverheirateten fragen. Wozu soll es gut sein, dass sie von der Tischgemeinschaft ausgeschlossen sind? Wird damit die Unauflöslichkeit der Ehe tatsächlich gerettet – oder wird hier nicht vielmehr eine Prinzipientreue zu einer unsagbaren Härte für viele Menschen? Wirkt der Geist und der Wille Gottes nicht vielmehr dort, wo Menschen versöhnt mit sich selbst und dem Partner neue Wege gehen können und auch gehen dürfen? 

Wer wirklich liebt, der ist auch bereit und befreit zur Versöhnung. Nehmen wir die Befreiung durch Jesus Christus an, dann wirkt sie in unserem Leben und sie bewirkt, dass auch andere sich befreit und frei fühlen können. Wenn wir allerdings vor dieser Freiheit, die Jesus uns geschenkt hat, Angst haben, dann laufen wir Gefahr zu einer falschen Sicherheit der Gesetze zurückzukehren. Das Kirchenrecht ist der Ernstfall für die Glaubwürdigkeit der Kirche. Das Gesetz ist wichtig – sicherlich. Aber wir dürfen es nicht wie einen unveränderlichen Betonklotz empfinden, sondern eher wie einen Fachwerkbau, den wir mit eigenen Gewissensentscheidungen, d.h. mit neuem Leben, ausfüllen sollen und auch dürfen. Denn es geht immer – so hat es Jesus uns gelehrt – um den Menschen.

Bertram Bolz, Diakon

Kath. Touristen- und

Residentenseelsorger

Diesen und frühere Artikel können Sie nachlesen unter: www.wochenblatt-kanaren.com

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