Juristen befürchten Blockierung der Gerichte
Madrid – Ein Jahr ist seit der Entscheidung des Europäischen Gerichtshofes vergangen, in der die Banken zum vollen Ausgleich der aufgrund der „cláusulas suelo“ verhinderten Einsparungen verpflichtet wurden (das Wochenblatt berichtete). Bei den „cláusulas suelo“ handelt es sich um eine ab 2009 in Darlehensverträgen mit Hypothekensicherung verankerte Klausel, welche durch die Festlegung einer Mindestgrenze verhinderte, dass die Darlehensnehmer von den Senkungen des variablen Zinssatzes in vollem Umfang profitieren konnten. Damals zeichnete sich ab, dass Hunderttausende von ihnen Rückzahlungsverpflichtungen geltend machen und bei einem beachtlichen Anteil es zu keiner Einigung mit ihrem Kreditinstitut kommen würde. So sind speziell für missbräuchliche Klauseln in Darlehensverträgen mit Hypothekensicherung zuständige Gerichte geschaffen worden – 54 für die 50 spanischen Provinzen und die beiden autonomen Städte, die am 1. Juni vergangen Jahres die Tätigkeit aufnahmen. Nun gab das Justizministerium bekannt, dass bis Jahresende 164.969 Klagen eingereicht wurden. Zwar liegen die Daten von etwa einem Drittel der Gerichte noch nicht vor, doch soll bislang lediglich in 5.000 Fällen bzw. 3% aller Gerichtsverfahren ein Urteil ergangen sein. Nun ist eine Diskussion innerhalb der Kommission zur Kontrolle der neuen Gerichtsstellen darüber entbrannt, ob eine Klageflut die Justiz blockieren könnte.
650.000 neue Klagen?
Kommissionsmitglied Vicente Pascual von der Anwaltskammer befürchtet, die Mehrzahl der insgesamt rund 650.000 Fälle, in denen sich Darlehensnehmer und Bank nicht einigten, vor Gericht landen und die Gerichtsstellen lahmlegen würden. Laut Pascual würde die spanische Justiz 650.000 Gerichtsverfahren jedoch nicht verkraften. Insofern bezeichnete er die eigens geschaffenen Stellen als überflüssig, und die Klagewelle drohe, das ganze System zu blockieren. In diesem Zuge forderte Pascual den Bankensektor zu mehr Bereitschaft zur außergerichtlichen Einigung auf.
Gerardo Martínez Tristán, ebenfalls Mitglied der Kommission, jedoch als Vertreter des Obersten Rates der Richterlichen Gewalt, entgegnete ihm, nach der ersten Klagewelle habe die Anzahl der neu eingereichten Fälle vor Gericht von Monat zu Monat abgenommen. Darüber hinaus sei davon auszugehen, dass bald in den meisten der noch anhängigen Verfahren das Urteil ergehen würde. „Im November und im Dezember sind die eingereichten Klagen im Vergleich zu den Vormonaten um 13.000 zurückgegangen. In den nächsten Monaten werden die Gerichte vollen Einsatz zeigen und die Verfahren, deren Abwicklung sich bereits auf drei Monate reduziert hat, so schnell wie möglich zum Abschluss bringen,“ so der Richter.
Demnach sei es verfrüht, von einer zu erwartenden Blockade zu sprechen. Richter Martínez Tristán wies jedoch darauf hin, dass bei bestimmten Aspekten im Zusammenhang mit den Hypotheken die Entscheidung aus Luxemburg noch ausstehe, wie bei der verfrühten Fälligkeit oder den Devisendarlehen. Seien die Entscheidungen des Europäischen Gerichtshofes einmal gefallen, könne jedoch die Zahl der anhängigen Gerichtsverfahren steigen. Trotzdem seien derzeit die Befürchtungen der Anwaltschaft verfrüht.
Außerdem ließ die Spanische Bankenvereinigung verlauten, der Europäische Gerichtshof habe nicht grundsätzlich alle cláusulas suelo für nichtig erklärt, sodass jeder Einzelfall im Detail nach der Berechtigung für eine Rückzahlungsforderung überprüft werden müsse. Die Automatisierung des Verfahrens sei also ausgeschlossen. Rückzahlungsforderungen könnten auch unberechtigt sein.
Pascuals Befürchtungen wurden von Fernando Zunzunegui, Fachanwalt für Bankenrecht, unterstützt, der ebenfalls rund 400.000 Klagen voraussagte, weil die Fälle, in denen keine Einigung mit der Bank erzielt werden konnte, üblicherweise vor Gericht verhandelt würden. Zunzunegui wies darauf hin, dass die Klagenflut wegen abgelehnter Rückforderungen der aufgrund der cláusula suelo möglicherweise zu viel gezahlten Beträge dazu geführt habe, dass sich eine große Anzahl von Anwaltskanzleien gerade auf solche Fälle spezialisiert habe. Diese Kanzleien würden ihre Betreuung preisgünstig und mit großer Medienpräsenz dem breiten Publikum anbieten.
Der sozialistische Parlamentsabgeordnete Miguel Ángel Heredia befürchtete ebenfalls, dass die Zahl der neu eingereichten Klagen in dieser Materie mit unglaublichem Tempo zunehmen würde. Seiner Meinung nach begründe sich dieser Umstand auf der Weigerung einiger Banken, die zu viel gezahlten Beträge ihrer Kunden zurückzuerstatten.
„Weiter verdienen die Banken, und weiter verlieren die Kunden,“ entrüstete sich Heredia. Das sei nicht tolerierbar.
Die Zahlen
Nach den Angaben der Kontrollkommission in Sachen „Cláusulas suelo“ reichten bis 30. November vergangenen Jahres 1,05 Millionen Bankkunden Anträge zur Rückerstattung der zu viel gezahlten Beträge ein. Nur in 395.135 Fällen kam es zu einer gütlichen Einigung. In 350.404 Fällen wurden die Beträge zurückerstattet, in 33.329 Fällen gab es gleichwertige Alternativleistungen. 357.000 Fälle könnten laut der Kommission vor die Gerichte gebracht werden.
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