Ostern – zum Davonlaufen?


Gedanken für mich – Augenblicke für Gott

Wir alle kennen doch den Seufzer zur Genüge: Es ist zum Davonlaufen! Ob er nun von der Sekretärin stammt, die von ihrem Chef mal wieder ein dickes Paket Akten auf den Tisch geknallt bekommen hat mit der Aufforderung, es möglichst rasch durchzuarbeiten… – Es ist zum Davonlaufen! …

Ob das nun der Seufzer der Ehefrau oder des Ehemannes ist, die auf ihre je eigene Art versuchen, in einem ruhigen Ton ihre Meinungsverschiedenheiten zu besprechen und doch wieder erleben, dass das Ganze in Krach und Vorwürfen ausartet… – Es ist zum Davonlaufen! … Oder es kann auch der Seufzer eines gläubigen Men-schen sein, der sich mit so manchen Ansichten seiner Kirche schwer tut. Da hat er so oft durchgeschnauft, wenn er die Diskussionen über wiederverheiratetet Geschiedene, Zölibat oder auch Anerkennung gleichgeschlechtlicher Lebenspartnerschaften mitverfolgt hat; immer wieder hat er sie dabei vor den Angriffen anderer verteidigt, auch wenn er selbst vieles nicht so recht versteht. Und nun all diese Missbrauchskandale… – Es ist zum Davonlaufen!… Vielleicht seufzt so auch der ältere Mensch, als ihm der Arzt eröffnet, dass zu den zahlreichen Erkrankungen wohl noch eine weitere dazugekommen ist….

Es ist zum Davonlaufen! Wahrscheinlich war das auch das Gefühl der beiden Jünger, die auf dem Weg nach Emmaus waren. Sie waren tatsächlich davongelaufen. Davongelaufen vor den schlimmen Erlebnissen der letzten Tage und Stunden. Da war die Verurteilung und grausame Hinrichtung ihres Freundes Jesus aus Nazareth. Wie hatten sie ihn bewundert; seine Art zu leben und zu reden; seine Botschaft von einem Gott, der es gut mit den Menschen meint – all das waren Erfahrungen, für die es sich sogar gelohnt hatte, die bisherige Existenz an den Nagel zu hängen. Und jetzt das: Er starb am Kreuz! Alles aus und vorbei! Einem Trugbild aufgesessen; alles zu schön, um wirklich wahr zu sein!

Doch jetzt, bei genau diesem ihrem Davonlaufen, da sagt einer: Halt! Begreift doch! Davonlaufen führt zu nichts. Ihr müsst euch dem stellen, wovor ihr am liebsten fliehen wollt. Und so erklärt dieser, den Jüngern zunächst Unbekannte, der sie da auf dem Weg von Jerusalem nach Emmaus begleitet, wieso und warum die letzten Tage in Jerusalem so und nicht anders verlaufen waren: „Musste nicht der Messias all das erleiden, um so in seine Herrlichkeit zu gelangen?“ Sicherlich: Ein geheimnisvoller Satz, den man nicht auf Anhieb verstehen muss. Aber soviel wird klar: In dem, was da in Jerusalem geschehen ist, im Kreu-zestod Jesu, da ist der Anfang der Erlösung und der Herrlichkeit zu finden. Und der Ostermorgen, das Auferstehungserlebnis, bestätigt dies. Da, wovor ein Mensch davonlaufen möchte, vor Leid und Tod, vor dem Grab, dem Ende – das ist schlussendlich der Ort, wo sich das Leben erst so richtig zu entfalten beginnt.

Sicherlich: Auf Anhieb ist das nicht zu verstehen. Auch die Jünger brauchen einen langen Weg dafür, es tatsächlich zu verstehen, trotz des kompetenten Erklärers an ihrer Seite. Aber dann kommt der Ort na-mens Emmaus, bei dem sich etwas ereignet, was sie spüren und wahrnehmen lässt: Das stimmt tatsächlich, was uns der Begleiter hier erzählt. Die Mahlgemeinschaft, das Brot brechen – das lässt ihnen die Augen aufgehen und sie erkannten IHN oder wir könnten auch sagen: Sie erkannten, dass es wahr ist. Jesus – unser Jesus lebt. Er ist unter uns und steht uns zur Seite.

Und heute? Auch heute haben wir die Möglichkeit, das Wort Gottes zu hören und Mahl mit ihm zu halten, so wie die beiden auf dem Weg nach Emmaus damals. Auch heute dürfen wir erkennen und wahrnehmen, dass er bei uns ist und unseren Lebensweg mit uns geht. Wir erfahren das in jedem Gottesdienst, wir erfahren das aber auch in jedem Menschen, der uns zuhört, der uns aufhilft, der uns Perspektiven in oft perspektivlosen Situationen schenkt. Ja, wir können den Auferstandenen auch heute erkennen, weil er uns Menschen nie vergisst und weil er uns gerade dann nahe ist, wenn für uns mal wieder alles zum Davonlaufen ist. Er will uns aufzeigen, dass in jeder und jedem von uns so unsagbar viel Lebenskraft steckt, die es nur immer wieder neu zu entdecken und umzusetzen gilt. Ostern soll uns die Augen öffnen, dass Ihnen und mir diese ungeheure Lebenskraft geschenkt ist – eine Lebenskraft, die uns eben nicht davonlaufen lässt, sondern in der wir aushalten, ausharren, verändern und neu anfangen können.

Sicherlich: Es wird auch nach diesen Tagen in unserem Leben Situationen geben, in denen uns dieses Gefühl des Davonlaufens überkommen wird. Aber seit Ostern dürfen wir eben darauf vertrauen: Dieses „Zum Davonlaufen“ hat ein Ende. Im Blick auf das Sterben und Auferstehen Jesu, im Hören auf sein Wort und in der Mahlgemeinschaft mit ihm, da erhalte ich die Kraft, mich dem Leben und all seinen Facetten zu stellen. Vielleicht gelingt es mir nicht immer sofort, die notwendigen Veränderungen anzugehen, aber Schritt für Schritt wird es möglich sein. Und wenn ich Sorge habe, dass mir dabei die Luft bzw. die Geduld ausgeht, dann denke ich auch da an die Jünger. Denn auch für sie war es schließlich ein langer Weg.

In diesem Sinne Ihnen allen ein zum Leben führendes Osterfest, welches Ihnen Kraft schenkt, sich all dem in Geduld zu stellen, vor dem sie sonst am liebsten Davonlaufen würden…

Ihr

Bertram Bolz, Diakon

Kath. Touristen- und

Residentenseelsorger

Diesen und frühere Artikel können Sie nachlesen unter: www.katholische-gemeinde-teneriffa.de oder www.wochenblatt.es

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