Neue Zuweisung der Kompetenzen von Staat und Autonomen Regionen
Kurz vor den Regionalwahlen in Katalonien Ende dieses Monats und den spanischen Generalwahlen im Dezember ist die lange von der PP verhinderte Debatte über die Überarbeitung der seit 1978 geltenden Verfassung aufgelebt und zum öffentlichen Thema geworden.
Bereits Anfang Juli hatten Pedro Sánchez und Albert Rivera, Generalsekretäre von PSOE und Ciudadanos, je ein Expertenteam zusammengestellt, um die seit 1978 geltende Verfassung unter die Lupe zu nehmen und Verbesserungsvorschläge zu machen. Insbesondere die in den Verfassungsartikeln 148 und 149 festgelegten Zuständigkeiten von Staat und Regionen sollten überprüft werden, die häufig zu Streitigkeiten führen, mit denen sich wiederum das Verfassungsgericht auseinandersetzen muss. Für besonderes Aufsehen sorgte vor einiger Zeit die Normenkontrollklage des Staates vor dem Verfassungsgericht gegen das Katalanische Autonomiestatut, in dem u.a. Katalonien als „Nation“ definiert wurde.
Seit Beginn der aktuellen Legislaturperiode hatte insbesondere die PSOE immer wieder die mit absoluter Mehrheit regierende PP zur Verfassungsänderung aufgefordert, war jedoch stets auf Widerstand gestoßen. Anfang August zeigte sich nun zum ersten Mal der neue Justizminister Rafael Catalá öffentlich zur Debatte über eine Verfassungsreform bereit. Auch Catalá wies auf die Notwendigkeit hin, die Kompetenzen von Staat und Regionen einer Prüfung zu unterziehen, gegebenenfalls neu festzulegen und allgemein besser abzugrenzen. Er sprach sich ebenfalls dafür aus, in der Verfassung die Gleichberechtigung von Frau und Mann in der Thronfolge zu verankern, und den Senat einer tiefgreifenden Reform zu unterziehen. Der Artikel über die Gründung einer neuen Autonomen Region sowie die Sonderrechte für Parlamentarier sollten laut Catalá abgeschafft, die Finanzierung der Autonomen Regionen den heutigen Gegebenheiten angepasst werden.
Der plötzlichen Bereitschaft für eine Verfassungsänderung des Justizministers zum Trotz erklärte Präsident Mariano Rajoy einen Tag später, auch er sei zu Gesprächen bereit, jedoch erst in der nächsten Legislaturperiode. Rajoy erklärte, in den letzten dreieinhalb Jahren sei klare Priorität gewesen, die Wirtschafts- und Finanzkrise zu bewältigen. Für eine Verfassungsdebatte habe es keinen Raum gegeben. So kurz vor den katalanischen Regionalwahlen und den Generalwahlen könne diese auch derzeit nicht geführt werden.
Kurz darauf gab das Expertenteam der PSOE die ersten Reformvorschläge bekannt, die teilweise für Aufsehen sorgten. So wollen die Sozialisten die „Besonderheit“ Kataloniens in der Verfassung verankert sehen, seine „Einzigartigkeit“ und „Persönlichkeit“ in der höchsten Rechtsnorm des Landes festhalten, um der Geschichte der Autonomen Region und dem Wunsch vieler ihrer Einwohner nach einer eigenen Identität gerecht zu werden. Dabei handelt es sich um den Versuch der PSOE, die „katalanischen Sezessionisten“ zu besänftigen, ohne das spanische Volk zu verärgern. Auch andere Autonome Regionen sollen nach Wunsch der PSOE ähnlich in der Verfassung differenziert und hervorgehoben werden. Des Weiteren planen die Sozialisten eine Reform des Senats, der nicht mehr aus Vertretern der Regionalregierungen und gewählten Senatoren sondern nur noch aus Ersteren gebildet werden soll, wie es beispielsweise beim Deutschen Bundesrat der Fall ist. Der „neue“ Senat sollte sich nur noch mit Gesetzen beschäftigen, welche die Autonomen Regionen betreffen, und deren Finanzierung beschließen. Aufgrund der zahlreichen Kompetenzstreitigkeiten, die meistens vor dem Verfassungsgericht endeten, drängten die Sozialisten erneut auf eine konkretere Abgrenzung der Zuständigkeiten von Staat und Autonomen Regionen.
Derweil hatte die PP ihre Studien- und Programmexpertin Andrea Levy mit der Überprüfung der Verfassung beauftragt. Bis zu den Wahlen wollen die Konservativen sich jedoch als Hüter der Verfassung und der Einheit präsentieren. Darüber hinaus handele es sich bei der Verfassungsänderung nicht um eine Priorität, wie Umfragen unter der Bevölkerung ergaben. Die habe derzeit weitaus größere Sorgen, erklärte PP-Sprecher Pablo Casado.
Es meldete sich auch PSOE-Generalsekretär Pedro Sánchez zu Wort und übte scharfe Kritik an Mariano Rajoy. Sánchez warf Rajoy fehlendes Interesse an einer Debatte zur Verfassungsänderung vor, schließlich habe sich der Regierungschef trotz absoluter Mehrheit dreieinhalb Jahre lang nicht um eine solche bemüht. Erst jetzt, nachdem die Oppositionsparteien Expertenteams mit der Überprüfung der Verfassung beauftragt hätten und der Wahlkampf bevorstehe, habe Rajoy Gesprächsbereitschaft signalisiert. „Als er es konnte, wollte er nicht“.
Da die Umfragen das Ende der absoluten Mehrheit der PP prognostizieren und wahrscheinlich eine der reformbereiten Parteien nach den Generalwahlen an die Macht kommen wird, kann von einer Verfassungsänderung im kommenden Jahr ausgegangen werden. Zu einem der Hauptdiskussionspunkte werden mögliche Änderungen im Föderalstaat gehören, wobei fast alle Parteien eher zu einer Kompetenzeinschränkung der Autonomen Regionen als zu einer -erweiterung tendieren.
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