Gedanken für mich – Augenblicke für Gott
Wenn Sie diese Überschrift lesen, welche Gedanken gehen Ihnen dann durch den Kopf? Ich glaube, dass da bei jeder und jedem von uns so ganz eigene Überlegungen oder auch Bilder zutage treten.
Nun beginnt ja in den christlichen Kirchen mit dem Ausgabedatum dieses Wochenblatts die Fastenzeit oder auch „österliche Bußzeit“. Und da wird eben zu Beginn immer auch von den Versuchungen erzählt, denen Jesus von Nazareth ausgesetzt war. Der Evangelist Matthäus berichtet von drei Versuchungen, die ich Ihnen hier einmal vor Augen führen möchte.
Die erste Versuchung besteht darin, alles unter dem Aspekt zu sehen: Was bringt’s mir? Was nützt es mir? Der Versucher sagt zu Jesus: „Befiehl, dass aus diesen Steinen Brot wird!“ Jesus soll also seine göttliche Kraft dazu verwenden, samt und sonders alle menschlichen Bedürfnisse zu befriedigen. Manche erwarten das ja auch heute zum Beispiel von den politisch Verantwortlichen, und die sind dabei vielfach schlicht und ergreifend überfordert. Natürlich müssen sie schauen, dass die Wirtschaft funktioniert. Natürlich müssen sie schauen, wie finanzielle und wirtschaftliche Krisen eingedämmt oder gar beseitigt werden können. Mir steht da ein Familienvater mit seinen drei Kindern vor Augen, der wieder nur einen kurzen Zeitarbeitsvertrag bekommen hat und demnächst dann wahrscheinlich wieder ohne Arbeit dasteht. Eine schwierige Situation für die Familie, da es ja auch hier vom Sozialsystem her weit weniger Absicherungen gibt, als zum Beispiel im deutschsprachigen Raum. Er weiß nicht, wie viele Bewerbungen um eine Festanastellung er schon geschrieben hat; aber es hagelte bislang nur Absagen.
Und doch geht es in der Versuchungsgeschichte noch um mehr. In jedem Menschen steckt nämlich ein Hunger, der nicht durch Geld und Konsum zu beheben ist. Wer von uns hungert denn nicht danach, von anderen akzeptiert und anerkannt zu werden. „Der Mensch lebt nicht vom Brot allein, sondern von jedem Wort, das aus dem Mund Gottes kommt“, sagt Jesus. Und was kommt aus dem Mund Gottes? Keine Botschaft, die mich nieder und klein macht; die mir ständig vorhält, wo ich überall versagt habe und was ich mal wieder nicht fertig gebracht habe. Nein, Gottes Wort will mich aufrichten, mir Mut machen, dass ich meines Lebens froh werde. Dann kann ich mich auch dem stellen, was mich herausfordert oder belastet. So spiegelt sich Gottes Wort in den Worten eines Mitmenschen, der mich einfach ermutigt, mich tröstet, wenn ich am Boden bin und der mich spüren lässt: Ich verstehe dich! Genau das haben aber auch die Menschen gespürt, die Jesus begegnet sind. Und das sollen sie auch heute spüren – durch Sie und durch mich!
In der zweiten Versuchung soll Gott dann herhalten, um die Gegner zu besiegen. Ich führe zwar das Wort Gott im Mund, doch eigentlich will ich nur, dass mein Ego befriedigt wird. „Gott mit uns“ – und dann los gegen alle anderen. Nur – der Andere ist genauso ein Abbild Gottes wie ich. Er hat auch Sehnsüchte in sich wie ich und er möchte genauso wertgeschätzt und anerkannt sein – keine Frage.
Die dritte Versuchung ist die Macht. Sie spiegelt sich vor allem in all jenen Märchen, die von einem sogenannten Teufelspakt sprechen. Der Mensch betet die Macht an, mit der er andere beherrschen will. Im Dritten Reich mussten Menschen das in grausamer Weise erfahren – mit Auswirkungen bis heute. Wo Macht missbraucht wird, da endet alles im Chaos, wie es die ganzen diktatorischen Regime uns auf der Welt immer wieder zeigen. Aber auch eine demokratische Regierung ist nicht davor gefeit Macht zu missbrauchen. Denn immer sind es Menschen, die handeln – und in jedem, wirklich in jedem Menschen steckt genau diese Versuchung. Wer immer mit anderen Menschen zu tun hat, kann in diese teuflische Versuchung geraten. Wer sich aber – wie im Märchen – dem Teufel verschreibt, der- oder diejenige verliert die eigene Freiheit, wird seelisch kalt und unbarmherzig. Wer dagegen der Versuchung widersteht wie Jesus, schafft eine heilsame Atmosphäre um sich. Dies drückt der Evangelist Matthäus mit den Worten aus: „Es kamen Engel und dienten ihm.“
Jesus widerstand in seinem Leben der Versuchung zur Gewalt, auch wenn er selbst Opfer der Gewalt wurde. Später passierte das Mahatma Gandhi, Martin Luther King, Erzbischof Romero und vielen anderen. Da spüren wir, wie gerade gewaltfreie Menschen von anderen immer auch als Bedrohung gesehen werden. Christen in Lateinamerika beten deshalb nicht: „Führe uns nicht in Versuchung“, sondern: „Lass uns in der Versuchung nicht fallen.“
Die Versuchung zur Macht steckt in jedem Menschen. Wer ihr aber ins Angesicht schaut, kann sich wappnen, dass er ihr nicht verfällt. Die Fastenzeit lädt uns deshalb ein, aufmerksamer auf all die Situationen zu sein, wo die Macht uns bedroht. Keiner ist davor gefeit, den anderen beherrschen zu wollen. Wer fastet und sich im Verzichten übt, der ist auch sensibel, wenn ihn die Versuchung überkommt, jemanden beherrschen zu wollen. Freiwilliges Verzichten schenkt nämlich eine innere Freiheit – und wer frei ist, der lässt sich auch durch die Macht nicht versklaven. Ein solcher Mensch versucht vielmehr die Goldene Regel Jesu zu leben: „Was du willst, dass dir die anderen tun, das tu du ihnen.“
Wo dieser Geist herrscht, kann Macht nicht missbraucht werden. Da wird sie vielmehr dazu benutzt, Menschen zu helfen, sich zu entfalten und all das einzubringen, was jeden persönlich auszeichnet, seine Begabungen und seine Fähigkeiten. So wird Leben sinnvoll und so kann Leben gelingen – mit und auch für andere.
Herzlichst, Ihr
Bertram Bolz, Diakon
Kath. Touristen- und
Residentenseelsorger
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