»La Cruz de Tejedor«
Alljährlich findet an der Teidebasis kurz vor Jahresende eine Prozession von Bergsteigern statt. Ohne Pfarrer, geistliche Lieder oder Gebete, aber nicht ohne das Quäntchen Ernst, das Bergsteigerprozessionen nun einmal zu eigen ist. Damit gedenkt Grupo Montañero de Tenerife seines Gründungspräsidenten und hält zugleich die Erinnerung an die Wurzeln des Wanderns und Bergsteigens auf der Insel wach.
Touristisches Wandern hat auf Teneriffa – wie auch auf den anderen Kanarischen Inseln – keine lange Tradition. Hier musste man immer zu Fuß gehen, sofern man nicht zu den wenigen besser Gestellten gehörte, die ein Reittier besaßen. Die Insel verfügte über ein umfangreiches Wegenetz, wobei die Qualität der einzelnen Strecken äußerst unterschiedlich und häufig geradezu schlecht war. Mit den ersten Autos kam nach und nach ein modernerer Straßenbau auf die Insel mit der Folge, dass jeder Ort möglichst an das neue und wachsende Straßennetz angeschlossen werden wollte und parallel dazu das traditionelle Wegenetz verfiel. Zumindest mit dem Bus fahren zu können galt als Ausdruck örtlicher Lebensqualität. Straßen erleichterten auch den Warentransport ganz erheblich. Als größte vorstellbare Rückständigkeit erschien, dort zu wohnen, wo jeder immer noch zu Fuß gehen musste. Mit der Erschließung von Masca, Chinamada und Teno Alto in den 1980er-Jahren endete diese Phase. Kaum jemand musste und wollte noch größere Strecken zu Fuß gehen. Man war nicht mehr rückständig.
Mit dem Ende der 1950er-Jahre begannen Einzelne gegen diesen Trend, die Insel nach und nach zu erwandern: Die Namen Hans und Helga Breitenströter, Enrique Talg und Dr. Martin Scholz kennt heute kaum noch jemand, obwohl sie damals zu den Ersten zählten, die von Puerto aus Wege erkundeten und beschrieben. Ihre Hinweise bilden noch heute das Grundgerüst jedes deutschsprachigen Wanderführers über Teneriffa. Nur erwähnen dies die heutigen Autoren leider nicht, obwohl die Benennung der Erstbeschreiber unter alpinen Führerautoren guter Brauch ist.
In dieser Pionierzeit kam auch der in Madrid geborene Cesáreo Tejedor Pérez nach Teneriffa. Schon als Jugendlicher hatte er unter der Anleitung seines Vaters anspruchsvolle Routen in den Alpen und den spanischen Gebirgen unternommen, war in Fels und Eis und auf Skiern gleichermaßen zu Hause. Der begeisterte Bergsteiger stand schon in seinem fünften Lebensjahrzehnt, als er in La Laguna begann, um sich weitere am Bergsteigen Interessierte zu sammeln. 1963 gründete er dann mit zwölf Gleichgesinnten Grupo Montañero de Tenerife, den ersten Bergsteigerverein auf der Insel und wurde dessen erster Präsident. Zu seinen bedeutendsten Leistungen hier gehört die Eröffnung mehrerer anspruchsvoller mehrtägiger Routen mit eisigen Biwaks durch die winterliche Nordflanke des Pico del Teide. Ungeachtet des heute wesentlich besseren Materials und modernerer Sicherungstechniken ist die winterliche Begehung dieser Firn- und Eisrinnen eine anspruchsvolle Angelegenheit geblieben. Nichts für Gelegenheitsalpinisten.
Am 28. Dezember 1968 herrschten ideale Bedingungen, als Tejedor mit zwei Kameraden in der Route „Corredor de la Isla“ gegen Abend den ersten Biwakplatz herrichtete. Niemand war dabei angeseilt. War es Stolpern oder Ausrutschen? Keiner weiß es. Tejedor stürzte mehr als 100 m durch die Eisrinne, schlug gegen einen Felsen und verletzte sich dabei tödlich.
Der 28.Dezember 2014 ist ein strahlender Wintertag mit besonders klarer Luft. Alle sind wir schon oft hier gewesen und staunen dennoch wieder und wieder über den Reichtum der Farben und Formen um uns und über uns. Unsere Prozession biegt vom Weg zwischen La Fortaleza und Montaña Blanca in westlicher Richtung ab, quert weglos zur Teidebasis und sucht sich ihren Weg über Bimsfelder und Lavarippen durch das Labyrinth der Retamabüsche. Wer hier nicht ganz genau weiß, wie er an sein Ziel gelangt, muss sich nicht wundern, an einem ganz anderen Ort anzukommen. Auf unserem Ziel, der kleinen Felskuppe Montaña des las Lajas, finden wir die Reste eines kleinen, durch Wettereinflüsse zerstörten Kreuzes. Wir sind am Cruz de Tejedor angelangt, an dessen niedrigen Pfostenrest jemand mit Draht einen Retama-Ast als Querholz befestigt hat. Sonst wäre es kein Kreuz mehr. An seinem Fuß weisen die nahezu vollkommen verwitterten Reste zweier Bergschuhe auf den Zusammenhang hin. Wie die Zähne eines Tieres als Letztes zerfallen, so glänzen bei ihnen noch praktisch unversehrt die Schrauben, mit denen die Sohlen einst verschraubt waren, metallisch in der Wintersonne. Kameradschaft untereinander war für Tejedor ein hoher, unverzichtbarer Wert am Berg. Wir sitzen um sein Kreuz, essen und trinken, was wir mitgebracht haben, unterhalten uns, fotografieren. Was eben Bergsteiger so machen, wenn sie am Ziel zusammensitzen. Ein mitgebrachter Blumenstrauß wird aufgestellt, eine kurze Rede folgt, eine Gedenkminute, und zurück geht es, so wie wir gekommen sind.
Michael von Levetzow
Tenerife on Top
mico@tenerife-on-top.de
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