Egal wo wir auf Teneriffa sind, wenn wir am Teide wandern wollen, fahren wir normalerweise erst einmal hoch hinauf. Auf reichlich 2.000 m über dem Meer, im Teide-Nationalpark finden wir ein gut ausgebautes und attraktives Wegenetz mit unterschiedlich langen Routen, darunter einige auch für Gelegenheitswanderer. Nie sollte man dort oben außer Acht lassen, dass wir uns im Hochgebirge bewegen und vor allem jetzt im Winter auf eine angemessene Bekleidung einschließlich robuster Schuhe achten müssen. Sonst wird in der alpinen Höhe schnell aus dem Traumurlaub ein Albtraum. Man muss aber nicht unbedingt so hoch hinauf; denn an einigen wenigen Stellen unserer Insel befindet sich der Fuß des Teide an der Küste. Ein paar attraktive Wege finden wir auch dort. Von einem ist hier die Rede.
Vor 6.000 Jahren brach der Pico del Teide wieder einmal aus. Zu dieser Zeit war er schon seit etwa 170.000 Jahren aktiv und hatte bereits eine Reihe ganz unterschiedlicher Ausbrüche erlebt. Häufig genug flossen dabei große und umfangreiche Lavaströme über seine Nordflanke hinunter bis zum Meer. Anfangs spie er vorwiegend Basaltlava aus, die wir heute als dicke dunkle Felsschichten bei der Küste von Santo Domingo sehen können. Später folgten hellere phonolithische Laven, die ebenfalls das Meer erreichten. Unser eingangs erwähnter, sechs Jahrtausende alter Strom brachte ebenfalls helles phonolithisches Material bis zur Küste und ist noch heute besonders gut zwischen San Juan de la Rambla und Santo Domingo erkennbar. Die Bezeichnung „Phonolith“ leitet sich aus dem Griechischen ab und bedeutet „klingender Stein“. Sie verweist darauf, dass es hell klingt, wenn man zwei Platten dieses hellen Gesteins aneinanderschlägt. Der Ton klingt ähnlich, wie wenn wir gegen eine Keramikscherbe klopfen. Obwohl phonolithische Lava sehr zähflüssig ist, schaffte diese es wegen der Steilheit des Geländes vom Teide-Nebenkrater Abejera grande in mehr als 2.100 m Höhe bis hinunter zur Küste. Bis zum Hauptkrater des Teide in damals etwa 3.500 m Höhe aufzusteigen, gelang seinerzeit dem zähen Magma nicht. Es brach sich seinen Weg mehr als 1.400 m tiefer durch die Seitenwand des Teide und formte einen neuen Seitenkrater, eben die Abejera grande. Und dann wälzte sich ein mindestens 50 m hoher Glutstrom den Abhang hinab. Da hier an der Nordflanke, anders als auf der Südseite des Pico del Teide, noch nicht einmal ein kleiner Hügel, geschweige denn ein hoher Berg oder eine lange Felswand in Weg stehen, erreichte er das Meer. Aber schon vorher, bei Santa Catalina, hatte er eine Breite von 240 m erreicht. Er ist heute der breiteste bekannte Lavastrom weltweit. Und dort verläuft unser Weg.
Man kann zum Ausgangspunkt gut mit dem Linienbus von Puerto de la Cruz oder La Orotava bis Santa Catalina anreisen. Bei der Fußgängerbrücke über die TF-5 ist sein Beginn. Da es sich hierbei um den geologischen Lehrpfad „El Teide a nivel del mar“ handelt, werden wir immer wieder entlang des Weges auf Hinweistafeln stoßen, die uns auch auf Deutsch anschaulich erklären, wie diese Landschaft entstanden ist und welche geologischen Besonderheiten wir hier sehen. Möchte man alles lesen und im Gelände betrachten, braucht man für den etwa 4 km langen Rundweg zwischen zwei und drei Stunden. In der kalten Jahreszeit müssen wir uns auf der Hälfte des Weges meistens mit einem Blick auf die sehenswerten Minifjorde des Charco del Viento – im Sommer ein beliebter Badeplatz – begnügen. Die Route ist nie steil oder schwer. Aber nahe der Küste muss man auf unbefestigtem Boden trittsicher laufen können. Die gelegentlichen Tiefblicke an der Steilküste sind für Menschen mit Höhenangst sicherlich problematisch. Sie sollten rechtzeitig umkehren.
Wer schon immer einmal Obsidiane aus der Nähe sehen wollte, hier ist das durchaus möglich. Im Gegensatz zum Nationalpark ist es hier auch nicht verboten, ein kleines Erinnerungsstück mitzunehmen. Allerdings ist die Qualität des vulkanischen Glases – genau das ist Obsidian – meistens nicht die beste. Oft genug glänzt er, es gibt aber auch zahlreiche Fundstellen mit stumpf erscheinender Oberfläche. Dass wir hier überhaupt die schwarzen Steine finden, hängt mit dem Aufeinandertreffen der phonolithischen Lava mit dem Meer zusammen. Kühlt dieses Material langsam genug an der Luft ab, wird es zu unserem bekannten hellen Phonolithgestein. Wird es aber abgeschreckt – beispielsweise mit Wasser – entsteht statt des fast weißen, zumindest hellgrauen Steins schwarzer Obsidian. Der Farbunterschied beruht auf Änderungen der Lichtabsorption, nicht anders als bei einem guten Glas Bier mit einer weißen Schaumkrone; Flüssigkeit und Schaum bestehen zwar aus demselben Material, absorbieren und reflektieren das Licht aber verschieden.
Obwohl es sich beim geologischen Lehrpfad um eine ganzjährig attraktive Wanderung handelt, steigt ihr Reiz deutlich, nachdem es im Spätherbst und Winter dort gelegentlich geregnet hat. Den übrigen Teil des Jahres herrschen auf dieser niedrigen Höhenstufe auch im Norden der Insel Wüstenbedingungen, und die meisten Wüstenpflanzen sehen wir den ganzen Sommer über nur in der Trockenstarre, also wie verdorrt erscheinend. Ab Mitte November wird es hier grün im Revier und die sonst unattraktiven Büsche beginnen zu blühen. Zahlreiche endemische Pflanzen gibt es dann zu entdecken. Und entsprechend dauert die Tour noch etwas länger.
Michael von Levetzow
Tenerife on Top