Gedanken für mich – Augenblicke für Gott
Der große Kritiker des Christentums, Friedrich Nietzsche, hat uns Christen vorgeworfen, wir würden eine Art Sklavenmoral betreiben, in deren Mittelpunkt die Armen, Schwachen und Elenden stünden.
Dagegen nimmt er eine Umwertung aller bisher geltenden Werte vor und propagiert eine Herrenmoral. Diese betont das Starke und Mächtige, während das Schwache dem Untergang geweiht ist. Ich für mein Empfinden muss sagen, dass diese Saat Nietzsches bei uns reichlich aufgegangen ist. Denn in unserer Gesellschaft zählt doch heutzutage nur noch der Mächtige und Erfolgreiche. Oder nicht? Wer hat denn größeres Ansehen als der Mensch, der Geld und Erfolg hat?
Jesus hat eine Umwertung dieser von uns so hoch geschätzten Werte eingeleitet. Der Gott Jesu hat nämlich eine Schwäche für das Kleine und Unbedeutende, für die Schwachen und Erfolglosen. Wir brauchen uns doch nur einmal die Menschen anzuschauen, mit denen sich Jesus umgibt, vornehmlich den Kreis seiner Apostel. Das waren alles einfache Fischer oder Händler, teils sehr ungebildete Leute, denen er seine Botschaft vom angebrochenen Reich Gottes anvertraut hat. Und auch sonst sucht er doch vor allem die Nähe der von der Gesellschaft Ausgeschlossenen, die namenlos und ohne großartiges Ansehen in der Gesellschaft sind. Nicht umsonst fragten die Pharisäer mehr als vorwurfsvoll: „Wie kann euer Meister zusammen mit Zöllnern und Sündern essen?“
Nun hat sich meine Kirche auf dem II. Vatikanischen Konzil eindeutig und klar zum Vorrang der Armen bekannt, hat ihnen einen hohen Stellenwert in dieser Kirche zuerkannt. Aber Hand aufs Herz, hat diese Botschaft das Angesicht der Kirche wirklich und ernsthaft verändert? Sicherlich: Seit Papst Franziskus sein Pontifikat angetreten hat, wird er nicht müde, genau diese Vorrangstellung der Armen zu betonen und auch die „Kirchenfürsten“ (welche Ironie des Wortes), also die Kardinäle und Erzbischöfe, zur Maßhaltung und zur Hinwendung zu den Armen zu bewegen. Dass das nicht von allen mitgetragen wird und sich so mancher Apostel-Nachfolger immens schwer damit tut, sich selber zu bescheiden, das zeigt nicht nur das Kapitel von Limburg in den letzten Tagen und Wochen. Manche Kirchenvertreter sind doch tatsächlich der Ansicht, so geschehen in einer Talk-Sendung im deutschen Fernsehen, dass 100 Millionen Euro nicht viel Geld sei… Ich hab da keine Worte mehr. Aber mir wird bewusst, weshalb Papst Franziskus es sich nicht nehmen lässt, selber zu bestimmen, wen er empfängt. Denn auch hier war doch in der Vergangenheit zu beobachten, dass zum Papst selbst oder zu den Präfekten der einzelnen Kongregationen im Vatikan nur Personen Einlass fanden, die mächtig und hochangesehen waren und sind. Menschen, deren Namen in aller Munde ist und die nicht zu den Armen dieser Welt gehören. Und schauen wir ruhig auch auf uns und unsere Gemeinden vor Ort. Wer gibt denn hier den Ton an? Wer nimmt hier Einfluss auf das, was unserer Gemeinde wichtig ist? Wenn wir ehrlich sind, dann müssen wir doch zugeben, dass man Namenlose kaum findet und diejenigen, die keine Leistungen aufzuweisen haben, sich nicht unbedingt dazugehörig fühlen.
Eine Geschichte aus dem Leben des heiligen Laurentius könnte uns da etwas nachdenklich stimmen: Er war ja Erzdiakon bei Papst Sixtus II. zur Zeit der Christenverfolgung unter Kaiser Valerian. Ihm sollte Laurentius die Kirchenschätze übergeben. Dafür erbat er sich Bedenkzeit, und während dieser Zeit ließ er den gesamten Kirchenbesitz unter den Armen verteilen. Dann überbrachte er dem Kaiser die wahren Kirchengüter. Er ließ die Bettler und die Behinderten Roms vor ihm aufmarschieren und sagte: „Schaut, das sind unsere Schätze, denn in ihnen lebt Christus selbst. Das Gold selbst, das bringt nur Verderben und Zwietracht.“ Dieses Bekenntnis war sein Todesurteil und besiegelte sein Schicksal. Am 10. August 258 wurde er auf einem glühenden Rost zu Tode gemartert.
Wie hat Martin Luther mal gesagt: „Wir sind alle Bettler“, und damit wollte er zum Ausdruck bringen, dass wir keinen Grund haben, uns auf unsere Leistungen und Erfolge etwas einzubilden, am wenigsten auf unseren Wohlstand. Denn woher haben wir denn die Talente, die uns zu besonderen Leistungen befähigen? Wieso haben wir denn so viel Glück in unserer Lebens- und Berufsplanung gehabt? Letztlich verdanken wir alles Gott, wir sind „verdankte“ Existenzen. Wer sich dessen bewusst ist und entsprechend lebt, der ist arm vor Gott und wird von ihm seliggepriesen. Öffnen wir unsere leeren Hände, damit Gott sie füllen kann; seien wir dankbar für seine Geschenke und seine Führung, dann bin ich sicher, haben wir auch Ehrfurcht vor den Menschen, die bei uns durchs soziale Netz gefallen sind. Fragen wir uns doch ruhig immer mal wieder: Wieso bin ich in eine sozial gut aufgestellte Familie hineingeboren worden? Warum bin ich in einem Land groß geworden, das aufgrund seiner klimatischen Bedingungen und geschichtlichen Entwicklungen seinen Bürgern diesen Wohlstand ermöglichen kann? Warum habe ich eine Ausbildung genossen, die mir solch tolle berufliche Chancen eröffnet hat? Sind all das letztlich nicht Geschenke? Und deshalb meine ich, sollten wir dankbar dafür sein – denn letztlich sind wir alle Bettler vor Gott. Vielleicht denken wir gerade in den Tagen des Urlaubs mal darüber nach.
Herzlichst Ihr
Bertram Bolz, Diakon
Kath. Touristen- und
Residentenseelsorger
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