Gedanken für mich – Augenblicke für Gott
Der 9. November – ein schicksalhaftes Datum. Wir erinnern uns an den Fall der Mauer, aber auch an das Terrorfeuer der Reichspogromnacht. Jüdische Synagogen wurden in Brand gesteckt, Geschäfte verwüstet, jüdische Mitbürger verschleppt und ermordet.
Wenn wir an dieses Datum denken, dann sollten wir aber nicht nur schöne Gedenkreden formulieren, sondern auch die Lehren für das Heute daraus ziehen: z.B. die Erkenntnis, dass wir Menschen auf einem sehr schmalen Grat balancieren. Nichts ist nur schwarz und nichts ist nur weiß – vor allem nicht, wenn es um den Menschen geht. Die wenigsten von uns sind Heilige, aber auch die wenigsten Ganoven. Wir sind Menschen – in all den Grautönen unseres Alltags. Wir sind immer wieder aufs Neue versucht; nie mit uns fertig; oft von uns selbst überrascht. Dazu passt auch eine Zeitungsnotiz, die ich nach den Londoner Ter-roranschlägen im Internet gelesen habe: Da wurde einem arabisch aussehenden Ehepaar am Londoner Flughafen der Zutritt zu einem Inlandsflug verweigert, weil andere Fluggäste sich geweigert hatten, die Maschine zu betreten, wenn die beiden Personen mitfliegen würden. Obwohl das Ehepaar britische Pässe hatte und seit Jahren in England lebt, half alles gute Zureden der Belegschaft nichts. Die beiden wurden umgebucht. Sie verstanden die Welt nicht mehr. Trotz allem Verständnis für die Angst, die die Briten unmittelbar nach den Anschlägen hatten, hat mich diese journalistische Randnotiz doch mächtig geärgert, weil sie zeigt, wie schnell wir dabei sind Unschuldige zu bestrafen, intolerant zu sein und in Schablonen-Denken verfallen.
Warum nur machen wir es uns immer so einfach? Nicht jeder Araber ist ein Muslim, nicht jeder Muslim ist radikal und erst recht kein Terrorist. Ich habe noch einige Zeit den Kopf über so viel Unfähigkeit zu differenzieren geschüttelt und dann das Ganze gedanklich ad acta gelegt. Bis – ja, bis ich mich dabei ertappte, wie ich bei meinem Mallorca-Flug im Sommer auf dem Madrider Flughafen recht argwöhnisch eine Gruppe arabisch aussehender Männer beobachtete. Ich verstand nicht, was sie redeten, weshalb sie ihre Köpfe so zusammensteckten und was sie da miteinander so aufgeregt zu tuscheln hatten. Später im Flug-zeug bin ich über mich selbst erschrocken – und habe dieser Zeitungsnotiz erinnert. So etwas kannte ich nicht von mir. Und ich dachte noch: Wie schnell das doch geht, dass man Menschen in eine bestimmte Ecke drängt; wie schnell das doch geht, dass man grundlos in die gleichen Ängste verfällt wie andere. Ich, der ich vorher ob dieses Artikels noch den inneren Moralapostel gegeben und über andere den Kopf ge-schüttelt hatte – ich bin doch relativ schnell kleinlaut geworden über die Erkenntnis, wie schnell ich selber Schubladen anlege und wie schwer es für Menschen ist, genau da wieder herauszukommen.
Schnell fallen einem solche Schubladen ein, die dann nicht nur an Wirtshausstammtischen die Runde machen: „Arbeitslose sind Faulenzer; Seelsorger haben doch keine Ahnung – sind weltfremd und abgedreht; wenn man einem Politiker die Hand gibt, dann sollte man nachher nachzählen, ob man noch alle Finger dran hat; wenn wir nicht aufpassen, ruft bald der Muezzin zum Gebet und nicht mehr unsere Glocken.“ Ich weiß um solche Sprüche und es gibt sie mehr als genug. Sie sind weder wahr noch falsch, sondern schlicht und ergreifend völlig daneben. Auch in der diskriminierendsten Randgruppe gibt es Idioten – klar doch. Auch übelste Zeitgenossen bewahren sich menschliche Züge. Kollegen, die in Gefängnissen arbeiten, können davon genug Zeugnis geben. Das Differenzieren dürfen wir uns nie ersparen, wenn wir nicht auf beiden Augen blind werden und nur noch mit Scheuklappen oder Schubladen durch die Welt laufen wollen. Nichts ist nur schwarz – nichts ist nur weiß.
In uns Menschen wohnt eben oft beides: Dämonisches und Gutes. Wir haben viel Freiheit uns zu entscheiden. Wenn wir aber leben, was wir sind; wenn wir versuchen das zu sein, wozu wir berufen sind – nämlich Gottes Ebenbild – dann wird das Dunkle nie in uns völlig triumphieren. Die schönste Aussage über uns Menschen ist gleichzeitig auch unsere größte Herausforderung: Ebenbild Gottes zu sein und das im Alltag zu leben.
Er hat uns in seine Hand geschrieben. Wir sind ihm heilig und sollten es deshalb auch untereinander sein. Mit allem Licht und allem Schatten. Ebenbild Gottes – damit ist alles gesagt und alles gefordert. Für mich selbst, für sie und die gemeinsame Zukunft aller Menschen.
Ihr Bertram Bolz, Diakon
Kath. Touristen- und
Residentenseelsorger
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