Schäfer – Gedanken


Gedanken für mich – Augenblicke für Gott

Ich kann mich noch gut an ein Gespräch mit einem Schäfer erinnern, obwohl es nun schon Jahre zurück liegt. Der Mann war damals mit seiner Herde in der Nähe unseres Ortes und wir kamen eigentlich nur miteinander ins Gespräch, weil ich etwas Sorge hatte, wie wohl seine beiden Hunde auf den meinigen reagieren würden.

Die Hunde bleiben friedlich, aber als der Mann erfuhr, was ich von Beruf bin, da sprudelte es auf einmal aus ihm heraus: „Hören Sie mal, ich ärgere mich jedes Mal wahnsinnig, wenn ich dieses Evangelium von den hundert Schafen höre und dem einen, welches da abhanden gekommen ist. Ich hätte diesem Jesus liebend gern einmal gesagt, dass das ein unverantwortliches Verhalten ist, wenn er wegen einem einzigen die neunundneunzig anderen im Stich lässt und sich auf die Suche macht.“

Der Schäfer hat in mir viel Unruhe erzeugt und ich habe nur so bei mir gedacht, nur gut, dass er dieses Evangelium nur zur Hälfte wahrgenommen hat; denn da wird ja auch noch das Gleichnis von einer Hausfrau erzählt, die eine Drachme verliert und darauf fast das ganze Haus auf den Kopf stellt, um nach dem Wiederfinden derselben fast noch ein ganzes Straßenfest auszurichten. Gehört der Himmel wirklich den Verrückten? Oder sollten nicht lieber wir die Bibel wieder „vernünftig“ machen? Letzteres würde bedeuten, dass wir alle Stellen, die uns widersprüchlich oder gar unmöglich erscheinen, einfach streichen. Aber solche Versuche haben bislang immer nur zum Verlust an Farbe, Unmittelbarkeit und Kraft der Bibel geführt. Wer sie wirklich mit seinem (Sach-) Verstand reinigen will, der bringt sich um ihre Botschaft, die eben oft in einem paradoxen, ja widersprüchlichen Gewand daherkommt.

Ich für meinen Teil möchte sagen, dass Gottesworte nicht erwarten, dass sie immer vernünftig und eindeutig geklärt und erklärt werden können. Schließlich ist Gott selbst doch – in unserem Sinne – in einem hohen Maße unvernünftig. Also sollten wir doch lieber darauf achten, dass seine besondere Wahrheit zu unserer Wahrheit wird, weil wir sonst an dem vorbeileben, was uns die Bibel sagen will. Und wir leben sonst auch an dem vorbei, was Menschen mit diesem Gott erlebt haben und aus ihrer Erfahrung heraus auch bezeugen können.

Gott ist nicht nur anders, er ist „ver-rückt“. Das heißt, er verrückt unsere Anschauungen und Wertvorstellungen; und er verrückt vor allem unsere Urteile und Vorurteile. Für uns ist das schwarze Schaf, das sich von seiner Herde entfernt eben selber schuld, wenn es denn verloren geht. Für uns handelt jemand einfach dumm, wenn er das fünf- oder gar das zehnfache des verlorenen Wertes ausgibt, um eben dieses wiederzubekommen. Für uns handelt eine Mutter oder ein Vater unpädagogisch und ungerecht, wenn der Hallodri von Sohn eben trotz aller Fehltritte wieder aufgenommen und darüber sogar Freude geäußert wird. Geben wir es doch ruhig zu: Hinter unseren ach so vernünftigen Beurteilungen zeigt sich doch vor allem der Ärger darüber, dass dem schwarzen Schaf mit besonderer Sorge nachgegangen, ein besonderes Auge darauf geworfen wird. Wir sind enttäuscht, vielleicht auch sauer, dass uns, die wir uns immer – zumindest nach unserem eigenen Empfinden – richtig verhalten oder zumindest unsere Pflicht erfüllen diese Aufmerksamkeit eben nicht zuteil wird. Wir sind der Meinung, dass Gott auf der Seite der Guten und der Gerechten zu stehen hat, auf der Seite derer, die treu und brav ihre Christenpflichten erfüllen – also auf unserer Seite!!!

Gott handelt aber eben anders; vor allem anders, als wir normalerweise im Alltag handeln. Er sorgt sich um einen Außenseiter, wie es sich ein Schäfer im Blick auf die ganze Herde nie leisten kann. Gott zeigt sich verschwenderisch, wie eine Frau, die eben alles daran setzt, das Verlorene wiederzufinden. Ich weiß, es gibt viele kluge Deutungen all dieser Gleichnisse, die    Jesus den Pharisäern und Schriftgelehrten erzählte, weil sie sich darüber empörten, dass er mit Sündern, Huren und Zöllnern aß. Aber wenn wir dieses Geheimnis Gottes wirklich verstehen wollen, dann müssen wir als erstes unseren sogenannten „gesunden Menschenverstand“ und unsere Klugheit beiseite legen. Nur mit einer solchen „Naivität“, mit einer so gewonnenen Offenheit, können auch wir uns dann darüber freuen, dass ein Außenseiter vor Gott eben auch seine Chance hat und nicht nur die anscheinend „sooo“ Gerechten. Dass eben auch eine Verschwenderin beschenkt wird und nicht nur die Sparsamen und dass der, der sich Fehltritte geleistet hat, eben auch wieder seinen Platz in der Gemeinschaft finden kann. Denn denken wir daran: Wenn Gott wirklich so ist, wie Jesus es uns erzählt hat, dann haben wir alle – Sie und ich – auch immer wieder eine Chance.

Bertram Bolz, Diakon

Kath. Touristen- und

Residentenseelsorger

Diesen und frühere Artikel können Sie nachlesen unter: www.wochenblatt.es

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