Gedanken für mich – Augenblicke für Gott
„Bitte warten; Sie werden bedient sobald ein Auskunftsplatz frei wird!“ Diese Automatenstimme, die ich vor mehr als 13 Jahren zum letzten Mal bei der Telefonauskunft in Deutschland gehört habe, die hat sich mir so eingeprägt, dass sie heute immer noch präsent ist.
Zwischenzeitlich wird alles noch schön mit Musik unterlegt – aber der Tenor des Wortlautes klingt auch hier sehr ähnlich. Dabei ist es für mich ein sehr großer Unterschied, ob ich nun warten muss oder ob ich warten kann. Das eine geschieht nämlich in wachsender Ungeduld und Gereiztheit, und Aggressivität ist die Folge. Das andere dagegen geschieht in Gelassenheit. Da können sich still und unbemerkt neue Kräfte entwickeln: In der Ruhe liegt die Kraft – so sagt ein Sprichwort.
Der Advent, den wir in diesen Tagen beginnen, der rät uns seit mehr als zweitausend Jahren das Warten in Gelassenheit. Einer Spirale vergleichbar, die sich von außen auf die Mitte zudreht, sollen die vier Sonntage dieser Zeit den Übungsrahmen bilden für ein gemeinsames Gelassenheitsprogramm. Es soll kein hartes Training sein, aber ein konsequentes Üben, zu dem wir eingeladen sind – frei nach dem Motto: „Täglich ein paar Minuten alles liegen und stehen lassen und so zur Ruhe kommen.“
Warten – Warten müssen, das fällt uns schwer. Ob das nun bei einer Behörde oder an einer Ladenkasse ist, ob wir nun auf einen wichtigen Besucher warten oder auf einen spezifischen medizinischen Befund. Das Warten zerrt und zehrt an den Nerven, wir sind der Uhr oder einfach der Unsicherheit ausgeliefert.
Gegen diese negative Erfahrung des Warten-Müssens setzt der Advent das Warten in Gelassenheit. Es ist eine Form der inneren Ruhe, die darauf vertraut, dass sich das Wort Gottes erfüllen wird. Diese Ruhe pflanzt noch am Tage vor dem drohenden Weltuntergang voller Zuversicht ein Bäumchen. Für diese Gelassenheit liefert uns Jesus ein Stichwort. Es heißt „Heute“. Die Gelassenheit lässt nämlich das Gestern los und macht sich um das Morgen keine allzu großen Gedanken. Das ist ganz wichtig. Weil es aber nicht eingespannt ist zwischen gestern und morgen, kann das Heute ganz ohne Zwang leben. Meinen Sie nicht auch? Dabei bin ich wirklich nicht so blauäugig zu behaupten, dass eine solche Gelassenheit immer und überall möglich ist. Und doch sollten wir uns Räume schaffen, in denen wir das Leben im Hier und Jetzt verwirklichen. Z.B. in Form einer kleinen Übung.
Sie alle – oder doch zumindest der Großteil – kennen aus der Zeit der Beatles den Song: „Let it be!“ Es ist ein durch und durch spirituelles Lied, das in der Aufforderung gipfelt: Lass es sein! Lass es gut sein! Diese Aufforderung leitet zu jener Lebenshaltung an, die wir Gelassenheit nennen. Gelassenheit entsteht ja immer durch Loslassen. Diese Einsicht nötigt uns auch unsere Kirche ab. Auch da gibt es Dinge, die wir nicht ändern können. Also müssen wir sie lassen. Denn ein Kampf gegen Windmühlen, das zeigt schon Don Quijote, bringt nichts – da wird am Ende nur ein Krampf draus.
Wir wissen, dass auch die Kirche gegen die christliche Tugend der Gelassenheit gesündigt hat. In vielen Generationen war das religiöse Leben der Gemeinde und der einzelnen Christen durch moralischen Druck und gesetzlichen Zwang gekennzeichnet. Das „Du sollst“ und „Du musst“ waren – und sind es teilweise noch immer – bestimmende Elemente, an denen das Christsein gemessen wurde. Kein Wunder, wenn die Frohe Botschaft in dieser Form bei den Menschen nicht mehr ankommt.
„Let it be!“ aber, das setzt die christliche Gelassenheit dagegen, die nicht meint, immer alles besser machen zu müssen. Vermutlich waren die Menschen zu keiner Zeit ihrer Entwicklung so sehr in den Zwang zur Leistung und in den damit verbundenen Erfolgszwang gestellt, wie das heute der Fall ist. Darf das, soll das auch in der Kirche so weitergehen? Muss die Religion nicht ein Gegengewicht zur gesellschaftlichen Fehlentwicklung bilden, damit überhaupt noch ein menschenwürdiges Leben möglich ist? Ich für meinen Teil sehe den Zustand von Kirche und Gemeinden in einem Zustand der Gelassenheit. Denn: Weil wir darauf vertrauen dürfen, dass Gott durch seinen Sohn, durch sein Leben unter uns und durch seinen Tod für uns, alles schon gerichtet hat, können wir gelassen sein.
Das ist überhaupt keine Flucht, wie jetzt vielleicht manche/r denken mag. Denn wenn wir im geschützten Raum der Gemeinde zur Gelassenheit gefunden haben, dann können wir uns beispielhaft in der Gesellschaft bewegen. All die Notwendigkeiten, die uns das kommende Fest auferlegt, treffen auf eine geänderte Gesinnung: Wir müssen nicht mehr – wir können vielmehr, wenn wir wollen. Und weil wir beileibe nicht mehr alles wollen, müssen wir vieles auch nicht mehr tun. Das Loslassen zeigt uns, dass es auch anders geht.
Probieren wir es in diesen Tagen, das kleine Programm des „let it be!“ Und Sonntag für Sonntag können Sie diese Gelassenheit in den Gottesdiensten neu aufladen. Dann werden wir alle spüren – der Advent ist eine Zeit, die uns wirklich reich beschenken kann.
Ihr
Bertram Bolz, Diakon
Kath. Touristen- und
Residentenseelsorger
Diesen und frühere Artikel können Sie nachlesen unter: www.katholische-gemeinde-teneriffa.de oder bei www.wochenblatt.es
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