Gedanken für mich – Augenblicke für Gott
„Wenn wir wirklich einer neuen Moral bedürfen, dann einer, die uns zur Gefährtenschaft mit dem Schwachen anleitet“, so schreibt der niederländische Priester Henri Nouwen in einem seiner letzten Bücher.
Denn eines ist für ihn sicher: Wir werden bei der Begegnung mit Gott nicht nach einem theologischen Abschluss oder Weihegrad und erst recht nicht nach einem päpstlichen Ehrentitel oder dem Nachweis religiöser Übungen gefragt. Gott wird uns nur eine Frage stellen: „Was hast du dem Geringsten deiner Schwestern und Brüder getan oder nicht getan?“
Wir werden also nicht nach unserem gescheiten Wissen oder Lehren befragt, sondern was wir Entscheidendes zum Leben der Menschen beigetragen haben. Die Bibel, so hat mal jemand gesagt, ist erst das zweite Buch, aus dem wir lesen und verstehen. Das erste Buch, das uns die Wege zu Gott weist, ist das Leben selbst. Die Erfahrung von Gefahr und guten Gefährten. Jeder Mensch ist wie eine Bibel, aus der es zu lesen und zu lernen gilt. Also gibt es auch nicht nur einen Weg zu Christus, sondern so viele Wege, wie es Menschen gibt. Jede/r geht seinen Weg, und wir sind ihre und sie unsere Weggefährten. Wir gehen miteinander. Gefährten sind dabei Menschen, die bereit sind, Not und Gefahr zu teilen; die durch dick und dünn mitgehen und die sich nicht just dann abseilen, wenn sie gefragt oder gebraucht werden.
Jesus – und das sollte uns in der Fastenzeit wieder neu bewusst werden – hatte eine Schwäche für die Kleinen und Namenlosen. Sie kamen damals zu ihm, obwohl – oder gerade weil sie vom Gesetz nichts verstanden haben. Damals dachten die Menschen ja, dass die Erfüllung des Gesetzes unbedingt notwendig und der einzige Weg zur Rettung ihres Lebens ist. Aber Jesus hat genau diese Überzeugung gekippt. Er hat das Leben über die Lehre gestellt, die Gotteserfahrung über die Theorie, den Weg über den Tempel und die geduldige Zuwendung zum Menschen über das Gesetz. Seither sind Glaube und Kirchlichkeit nicht das Gleiche und die Kirchengrenzen, das macht Papst Franziskus auch immer wieder positiv deutlich, treffen sich nicht immer mit den Grenzen des Reiches Gottes. Als Kirche und Christen sollten wir Weggefährten sein und nicht Herrscher. Das meint Jesus, wenn er den Seinen ausdrücklich sagt, sie sollten sich nicht Herren, Lehrer, Meister oder gar Vater nennen lassen. Dennoch wimmelt es in unserer Kirche aber nur so von Exzellenzen und Eminenzen, von Lehrern und Meistern… Schon in meiner Studien- und Ausbildungszeit habe ich keine Antwort darauf bekommen, warum meine Kirche dieses eindringliche Jesuswort so wenig ernst nimmt. Zumindest wäre doch zu fordern, dass all die heiligen Lehrer, Meister und Väter nicht einen Stand in der Kirche haben, der sie über andere Menschen erhebt, sondern sie auf Augenhöhe mit allen Menschen in den Gemeinden bringt.
Gefährtenschaft im Sinne Jesu meint nämlich, dem Bedürfnis zu widerstehen, was andere Menschen klein macht oder sie bewusst klein hält. Deshalb sagt er ja auch ganz eindringlich: „Bei euch soll es nicht so sein wie bei den Machthabern dieser Welt, die ihre Macht über die Menschen missbrauchen. Weggemeinschaft oder auch Gefährtenschaft bedeutet im Evangelium eben ganz eindeutig, jenen Menschen beizustehen, die Opfer geworden sind; auch und gerade Opfer von kirchlicher Herrschaft oder Uneinsichtigkeit. Die Umfrageergebnisse der letzten Wochen haben doch überaus deutlich gemacht, dass die Kluft zwischen dem, was die Kirche hier Seelsorge und ihre Lehre nennt (wiederverheiratete Geschiedene, verantwortete Sexualität, Einstellung zur Homosexualität…), und der Lebenswirklichkeit und Wahrnehmung der Menschen doch riesengroß ist.
Es bleibt also festzuhalten: Jesus sieht die Not der Menschen; er sieht, wie die Menschen sind – verbogen und oft niedergedrückt, sündig oder als Sünder abgestempelt, klein gemacht oder völlig ausgegrenzt. Er wird ihnen zum Weggefährten und zeigt einen Ausweg, den er immer so lange mitgeht, bis der oder die andere den Weg allein weitergehen kann. Und: Er geht sogar noch einen Schritt weiter. Er macht sich diesen Menschen zum Kumpanen. Das ist die ursprüngliche Bezeichnung für jemanden, der auch noch sein letztes Stück Brot mit einem anderen teilt. Bei uns allerdings wird dieses Wort umgangssprachlich nur noch abschätzig verwendet. Und doch ist es so, dass sich Jesus auch für den Letzten zum Landstreicher und zum Außenseiter macht.
An den Kumpanen Jesus erinnert die Kirche aber ehe nur dürftig oder unbewusst, wenn sie zur Feier der Eucharistie oder zur Feier des Brotteilens zusammenkommt. Kumpane fragen nämlich nicht, bist du es wert, mit mir zu essen? Kumpane stellen keine Bedingungen auf, bevor sie das Brot teilen, sie teilen, was sie haben. Im gemeinsamen Essen und Trinken entsteht ein offenes System, das keine und keinen – warum auch immer – vom Tisch weist oder ausschließt. Dazu haben wir schlussendlich auch kein Recht. Denn nicht wir sind es, die einladen, sondern Jesus selbst – wir sind nur die Weggefährten in seiner Mahlgemeinschaft. Vielleicht erinnern wir uns daran, wenn wir in dieser Fastenzeit in uns gehen und uns neu ausrichten wollen.
Herzlichst, Ihr
Bertram Bolz, Diakon
Kath. Touristen- und
Residentenseelsorger
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