Ich kann mich nicht leiden


Gedanken für mich ­– Augenblicke für Gott

Es gehört durchaus nicht zu den seltenen Begebenheiten, dass ich auf Menschen treffe, die sich selbst nicht leiden können, ja bei denen man sogar von einem regelrechten Hass gegen sich selbst sprechen kann.

Dabei sind die Beweggründe recht unterschiedlich. Die einen kommen von bestimmten Dingen nicht los wie zum Beispiel Computerspiele, Chats oder generell vom Internet. Bei anderen sind es Drogen, Alkohol oder auch die Abhängigkeit von einem Menschen, der ihnen nicht gut tut…oder…oder…oder… 

Ich glaube, jede/r von uns hat mitunter solche Anflüge von Selbsthass oder Selbstverachtung. Aber die Frage ist doch: Wie komme ich da wieder raus? Meistens schafft man das nicht allein und auch nicht  durch  bloße Willensanstrengung. Genau diese Einsicht aber, dass ich es nicht allein schaffe, braucht oft lange. Es ist so demütigend, ein Problem zu haben, mit dem ich nicht allein fertig werde. Und wem sich dann anvertrauen? Also: versuch ich‘s doch lieber allein. Und irgendwie meint man, es geht – und dann hängt man doch wieder durch und beginnt sich langsam aber sicher selbst zu hassen. Erst dann, wenn ich zugeben kann: Ich schaffe es nicht allein, erst dann tut sich wirklich die Chance auf, herauszukommen.

Für alle, die sich in einer Suchtproblematik befinden, gibt es dabei vielfache und

gute Hilfe. Nur Mut! Ich

will aber auf diesem Gebiet jetzt nicht weitergehen. Ich verweise nur auf die zwölf Grundsätze der Anonymen Alkoholiker. Die sind sehr spirituell und helfen vor allem auch Leuten ohne direkte Alkoholproblematik. Nun will ich aber diese Zeilen nicht für diejenigen schreiben, die wirkliche Fachleute brauchen. Mir geht es vielmehr um den Selbsthass und die Selbstverachtung, die jede/n einmal anfliegt und von denen jede/r bedroht ist. Wir wissen zwar alle, dass Selbsthass und Selbstverachtung nicht sein sollten, weil sie die Beziehungen zum Nächsten und zu Gott zerstören. Aber wie da herauskommen?

Erster Punkt ist (wie immer), dass ich es überhaupt wahrnehme. Ich kann mich nicht leiden. Aber nun bitte genauer: Nicht immer, sondern wann besonders? Nicht immer, sondern weswegen?

 Und dann darauf achten und es annehmen. Es ist so. Also schaue ich das bewusst an und akzeptiere es. Ich kann mich nicht leiden, weil ich mal wieder den Fernseher, den Computer, den Kühlschrank, die  Pralinenschachtel oder das Computerspiel nicht schließen konnte; weil ich mal wieder so aggressiv, so ungeduldig und  übergenau war …oder …oder …

Dem sollte man dann nachgehen. Tiefer schauen. Warum brauche ich das? Was ist daran so, dass ich es quasi zwangsläufig tue? Im Fernsehen hoffe ich vielleicht, dass noch irgendwo was Schönes kommt. So traurig soll der Tag nicht enden. Ich brauche noch irgendeine  Freude. Also zappe ich – esse ich – oder trinke ich. Alles das ist aber nicht das Schöne, was ich letztlich ersehne. Alles das macht mich eher noch trauriger. Was ist denn wirklich das Schöne, wonach ich mich sehne? Danach sollte ich suchen. Mich beispielsweise einfach darauf freuen, dass ich den Tag jetzt loslassen darf und nichts mehr sein muss als ein guter, tiefer und geruhsamer Schlaf. Das Loslassen einüben und Freude suchen, die froh und eben nicht traurig macht.

Als Nächstes: Die ganze Wirklichkeit anschauen. Sich nicht auf das Negative bei mir fixieren. Es gibt auch Gelungenes. Es gibt auch  Dinge, die ich gut kann, welche schön sind in meinem Leben. Und dieses Gute und Schöne, diese Liebe auch bewusst wahrnehmen. Zumindest so ernst nehmen, wie ich ja auch alles Negative ernst nehme. Nicht gleich wieder abwerten, sondern wahrnehmen, dass das  Gute immer stärker, besser und bleibender ist als das Negative. Ruhig einmal dabei verweilen und bewusst dafür danken.

Nächster Punkt: Die Freiheit stärken. Das Negative erscheint mächtig, zwanghaft und unausweichlich. Aber das ist es nicht; jede/r ist frei. Ich kann auch NEIN sagen und NEIN tun. Ich kann auch von meiner Freiheit Gebrauch machen. Für diesmal fange ich eben keine neue Runde mit dem Computerspiel an. Jetzt schalte ich aus. Es geht. Und sobald ich einmal dessen Herr geworden bin, sobald wächst auch die Hoffnung in mir. Bei all diesen Punkten hilft es sehr, wenn man das nicht nur für sich allein versucht, sondern es jemandem erzählt, mit jemandem bespricht. Oder ich schreib’s in ein Tagebuch. Und was da geschrieben steht, das kann man dann irgendwann auch jemandem sagen.

Letzter und wichtigster Punkt: an Gottes Liebe glauben. Es ist schon so oft gesagt worden, dass Gott uns liebt. Und für alle anderen glaube ich es auch, aber eben nicht für mich. Wie sollte Gott mich denn lieben, wenn ich mich selbst nicht lieben kann? Und doch ist es so. Gott liebt mich – wirklich und wahrhaftig. Es ist nicht leicht, das zu glauben, und meist geht das auch nur, wenn ich schon mal einem Menschen begegnet bin, der mich geliebt, der mich geachtet hat und dem ich seine Liebe und Wertschätzung glauben konnte.

Vielleicht kann so ein Mensch für mich das Evangelium Jesu sein. Da wird erzählt, dass Gott die Liebe ist; dass er auch mich liebt mit all dem, was ich an mir nicht lieben und annehmen kann. Dahinein kann ich mich flüchten mit all meiner Zerrissenheit. Dahinein kann ich mich bergen. Und darauf kann ich mich verlassen. Meinen Selbsthass ablegen und mich auf diese Liebe einlassen und verlassen. Gerade dann, wenn ich mich mal wieder überhaupt nicht ausstehen kann, dann  darf ich glauben, dass Jesus selbst sich mit mir gleichsetzt. Denn das sagt er: „Was ihr dem letzten der Menschen an Gutem getan habt, das habt ihr mir getan (Mt 25,40).“ Jesus ist bei mir, gerade wenn ich mich so als letztes Wesen fühle. Wenn Sie das glauben und annehmen können, dann sind Sie auf dem besten Wege, sich lieben und leiden zu können

Herzlichst, Ihr

Bertram Bolz, Diakon

Kath. Touristen- und

Residentenseelsorger

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