Unverständliche Ortsnamen
Eines Morgens, 9:00 Uhr, lange vor Corona. Ich warte auf der von Straßen umschlossenen Insel am Portillo auf meine Gäste, eine Familie mit zwei Kindern, die mit meiner Hilfe Teneriffa etwas kennenlernen wollen. Sie kommen aus Güímar, ich aus Puerto. Hier ist ein guter Treffpunkt. Wir werden dann etwas weiter unten mit unserer Wanderung beginnen, durch den lichten Kiefernwald aufsteigen, den Cabezón umrunden und dann … Besser erlebt man das selbst; denn dieses Erlebnis ist jedes Mal wieder beeindruckend. Für Neulinge sowieso.
Die Familie hat sich etwas verspätet und gibt mir so Gelegenheit, mir ein paar weitere Bergnamen aus der Umgebung einzuprägen.
Montaña de las Arenas Negras und Montaña de Cerillal erkenne ich jenseits der Siete Cañadas im Südosten. Nordöstlich vor mir liegt ein für diese Gegend so typischer Vulkankegel mit gleich zwei Namen auf dem Mapa Topográfico Nacional: Montaña del Alto, zugleich aber auch Montaña de Guamasa genannt, mit 2152 m Höhe und der rötlichbraunen Farbe nichts Besonderes in dieser Gegend. Aber „Guamasa“? So heißt doch ein Ort nahe der Nordautobahn, nicht weit vom Flughafen. Da haben früher die Schwiegereltern meiner Schwester die Sommer verbracht, weil es ihnen in Santa Cruz zu heiß war. Aber dieser Ort befindet sich fast 30 Kilometer Luftlinie von meinem Standort entfernt. Montaña de Guamasa darf man also gewiss nicht mit Berg von Guamasa übersetzen. Aber was ist das Verbindende für die Namensgleichheit?
Manchmal hat man ja Glück, und so stieß ich ein paar Tage später per Zufall im Internet auf den Artikel „Problemas de bilingüismo histórico en la toponimia de Canarias“ von Prof. Maximiano Trapero von der Universität von Las Palmas de Gran Canaria und erfuhr einiges über die zweisprachigen Ortsnamen der Kanaren. Von den Sprachen der Ureinwohner – denn diese unterschieden sich von Insel zu Insel, sodass anscheinend die Einwohner einer bereits eroberten Insel nur sehr eingeschränkt auf der nächsten, noch zu unterwerfenden Insel als Dolmetscher eingesetzt werden konnten – von diesen Sprachen ist nur äußerst wenig durch die Eroberer überliefert worden. Sie sind in einem etwa 100 Jahre dauernden Angleichungsprozess an Sprache und Kultur der neuen Herren verloren gegangen. Nur wenige Worte, die in der Regel etwas Typisches bezeichneten, was die Spanier nicht kannten und wofür sie auch keine eigenen neuen Begriffe schufen, blieben erhalten, z.B.: Gofio, Verode (Kleinia, eine Strauchart), Til (eine Lorbeerart) und Tajinaste (für den Teide-Natternkopf).
Am häufigsten erhielten sich guanchische Ortsnamen, wobei diese Namen oft zusätzlich durch die neuen Besitzer auch einen spanischen Namen bekamen, der meistens keine Übersetzung des alten Ortsnamens war. Die Eroberer waren in erster Linie am schnellen Reichtum und an letzter Stelle an den Unterworfenen, ihrer Kultur und ihrer Sprache interessiert. Von den meisten Ortsnamen aus der Guanchenzeit kennt man daher gar nicht die ursprüngliche Bedeutung. „Guamasa“ macht da keine Ausnahme. In vielen Fällen scheint der Wortbestandteil „Gua-“ in unserer Sprache „Wasser“ bedeutet zu haben. „Guamasa“ ist also vermutlich ein Hinweis auf etwas, was an diesen Orten mit Wasser zusammenhing. „-masa“ scheint hingegen nicht mehr übersetzbar zu sein. Und möglicherweise haben die spanischen Schreiber diesen Namensteil gar nicht richtig wiedergegeben. Sie mussten ja Worte lautschriftlich dokumentieren, für die es keine Schrift gab. So sind manche Worte etwas verändert worden.
Auf unserer kleinen Wanderung haben wir dann also zweisprachig die Tigaiga oben (= El Cabezón) umrundet, dem Echeyde (= Pico del Teide) gegenübergestanden, wobei dieser den Cachorra (= Pico Viejo) verdeckte, was nicht eingetreten wäre, hätten wir unseren Weg bei Chasna (= Gegend um Vilaflor) begonnen. Die Gegend um La Laguna hieß ursprünglich Aguerey und die um Santa Cruz Añaza.
Außer den Orten mit zwei Bezeichnungen gibt es aber auch solche, bei denen sich die Namen aus vorspanischer Zeit erhalten haben, ohne dass neue spanische Bezeichnungen hinzukamen: Arafo, Abona, Arico, Afur, Orotava, Taganana, Güímar usw. Je schwieriger dort das Land zu bearbeiten war, desto häufiger und leichter konnte sich dort eine guanchische Restbevölkerung mit ihren Bräuchen und Sprachgewohnheiten noch eine Weile halten, bis auch diese in der neu entstehenden kanarischen Bevölkerung aufging.
Michael von Levetzow
Tenerife on Top