Kann eine Salzwasserlagune die gleichen Rechte haben, wie eine Person?

Mar Menor ist die größte Salzwasserlagune Europas. Im Oktober 2019 kam es infolge starker Regenfälle, durch die nitrathaltiges Wasser in die Lagune floss, zu einem Massensterben von Fischen. Foto: EFe

Mar Menor ist die größte Salzwasserlagune Europas. Im Oktober 2019 kam es infolge starker Regenfälle, durch die nitrathaltiges Wasser in die Lagune floss, zu einem Massensterben von Fischen. Foto: EFe

Es braucht neue Mittel, um die Umwelt zu schützen

Murcia – Die Salzwasserlagune Mar Menor an der Küste von Murcia ist eines der wertvollsten Wasser-Ökosysteme Spaniens. Umso besorgniserregender ist die Tatsache, dass sich ihr Zustand stark verschlechtert und es in den letzten Monaten zu einem Massensterben von Fischen gekommen ist. Um dies aufzuhalten, hat Teresa Vicente Giménez, Dozentin für Rechtsphilosophie, eine Initiative gegründet, die für das Ökosystem die gleichen Rechte einfordert, wie für eine Person oder ein Unternehmen. Geht das?
Auch wenn es zunächst befremdlich klingt, gibt es internationale Präzedenzfälle, beispielsweise aus Kolumbien und Neuseeland, wo es gelungen ist, die Zerstörung eines Naturraums auf diese Weise zu verhindern.
Die Anwältin und Direktorin der Arbeitsgruppe Umwelt an der juristischen Fakultät der Universität Murcia könnte das Gesetz 9/1984 anwenden, welches besagt, dass eine oder mehrere Gemeinden, die mindestens 10.000 Einwohner haben, der Regionalversammlung einen Gesetzesentwurf vorschlagen kann. Und es gibt am Ufer des Mar Menor nicht nur einen Ort, auf den dies zutrifft, nämlich Los Alcázares, sondern mit dem sozialistischen Bürgermeister Mario Cervera auch einen Mann, der bereit ist, diesen Schritt zu gehen, um die Salzwasserlagune vor der Zerstörung zu bewahren. Die Regierung von Murcia ist aufgeschlossen und wertet jeden Schritt als positiv, der zum Schutz des Ökosystems beiträgt. „Derzeit wird die Umwelt als Objekt gesehen, aber das kann sich ändern. Auch Frauen und Kinder wurden früher so abqualifiziert. Ich bin 57 Jahre alt und kann mich erinnern, dass ich als Kind Frauen in das Anwaltsbüro meines Vaters kommen sah, die von ihren Männern misshandelt und vergewaltigt wurden. Er versprach ihnen, mit den Männern zu reden. Als ich ihn fragte, warum er nicht vor Gericht ginge, antwortete er: weil sie kein Rechtssubjekt sind. So war das damals unter Franco“, erklärt die Initiatorin Teresa Vicente Giménez. Das hat sich inzwischen verändert, warum also nicht auch der Umwelt mehr Rechte geben?
Für die Anwältin ist dies ein klarer Fall, wenn das Mar Menor eine juristische Person wäre, könnte ein Repräsentant direkt vor Gericht gehen und ihre Rechte einfordern, ohne von Verwaltungen oder politischen Interessenvertretern abhängig zu sein.

Präzedenzfälle


Weltweit gibt es bereits Naturschutzgebiete, denen eigene Rechte zugesprochen wurden, und die behandelt werden wie Personen oder Unternehmen. So zum Beispiel der Fluss Rio Atrato in Kolumbien. Nach einem Gerichtsurteil aus dem Jahr 2016 „ist der Fluss, sein Becken und seine Nebenflüsse als Einheit zu sehen, die ein Recht auf Schutz, Erhalt, Pflege und Wiederherstellung hat“. Dieses Urteil wurde von einem ethnischen Stamm in El Chocó erwirkt, der den Fluss vor der Ausbeutung durch den Bergbau und die Fortwirtschaft schützen wollte. Es bewirkte, dass der 750 Kilometer lange Fluss, der in den Anden entspringt und in der Karibik ins Meer mündet, als juristische Person mit Grundrechten anerkannt wurde.
Zwei Jahre später wurde der gleiche Status auch dem kolumbianischen Amazonas zugesprochen, und 2017 wurde in Neuseeland der Fluss Whanganui als solcher anerkannt, nachdem die Maoris 160 Jahre lang für den Schutz des Flusses und ihre eigenen Rechte gekämpft hatten „Ich bin der Fluss, der Fluss bin ich“, so ihr Credo.
Doch nicht immer sind Schutzbemühungen gelungen, wie das Beispiel des Eriesees an der Grenze zwischen den USA und Kanada zeigt. Er versorgt elf Millionen Menschen mit Trinkwasser und hat große Probleme mit Überdüngung und toxischen Algen. Der Versuch, ihn als juristische Person anerkennen zu lassen, wurde im Februar 2020 abgeschmettert.
Trotzdem haben die spanischen Umweltschützer einen Vorschlag eingereicht, der auf der Vorlage des für den Eriesee eingereichten Textes basiert. Er beinhaltet unter anderem die Anerkennung des Mar Menor als Ökosystem, das unabhängig von politischen Interessen geschützt wird. Es soll eine rechtliche Vertretung bestimmt werden, und der Schutz obliegt der Regierung in Zusammenarbeit mit den Anrainergemeinden und einer autonomen Schutzkommission. Alle Verstöße gegen den Schutz des Ökosystems würden hart bestraft, und jeder einzelne Bürger aus der Region könnte vor Gericht die Rechte für das Mar Menor einklagen.
Das Ökosystem soll ein Recht darauf haben, zu existieren, zu gedeihen und sich natürlich zu entwickeln. Alle widersprüchlichen Bestimmungen früherer Gesetze, die von der Provinzregierung der Region Murcia verabschiedet wurden, würden aufgehoben, sofern sie mit den Bestimmungen dieses Gesetzes unvereinbar sind. Das Gerichtsurteil in Spanien steht noch aus.

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