Nummer 2
Der Nationalpark Cañadas del Teide ist der am meisten besuchte Nationalpark Europas. Seine ungewöhnliche Landschaft mit dem dritthöchsten Inselvulkan der Welt und seine Nähe zu Teneriffas Tourismuszentren sind nahezu konkurrenzlos. 2007 durch die UNESCO zum Welterbe der Natur erklärt, steht er unter besonderem Schutz. Dabei spielte die landschaftliche Schönheit zwar eine wichtige, aber keineswegs die entscheidende Rolle. Ausschlaggebend war die geologische Einzigartigkeit, für die es weltweit keine Entsprechung gibt. Hier, und nur hier, findet man alle typischen Ausprägungen der Entwicklung vulkanischer Inseln, die sich ausnahmsweise mitten über ozeanischen Erdplatten erheben. Die meisten vulkanischen Inseln befinden sich an den Rändern ozeanischer Platten, also dort, wo Magma leicht aus dem Erdinneren an die Oberfäche gelangen kann. Wenn hingegen Intraplattenvulkane als Inseln aus den Ozeanen wachsen, werden sie in fast allen Erdregionen nach wenigen Millionen Jahren zu schwer für die Tragfähigkeit der Erdplatten, auf denen sie stehen, und versinken, noch bevor sie in geologischer Hinsicht „erwachsen“ geworden sind. Die einzige Ausnahme von dieser Regel bilden die Kanaren. Sie versinken nicht, sondern wachsen, entwickeln sich und altern ganz allmählich. Bis sie erwachsen sind, gestalten vor allem Vulkanausbrüche ihr Erscheinungsbild. Mit zunehmendem Alter werden sie wieder durch Wind, Regen und Meer abgetragen, bis sie nach mehr als vierzig Millionen Jahren unter der Wasseroberfläche verschwinden. Damit werden sie gut zehnmal so alt wie die Hawaii-Inseln oder Galapagos oder die Kapverden. Teneriffa ist „erwachsen“, hat gerade den Höhepunkt der aufbauenden Phase überschritten und tritt mit zwölf bis dreizehn Millionen Jahren in den Alterungsprozess ein. Wandern im Nationalpark ist daher immer auch ein Aufenthalt auf den aufgeschlagenen Seiten eines Buchs über einen Teil der Geschichte unserer Erde.
Das Wegenetz des Cañadas-del-Teide-Nationalparks umfasst mittlerweile fast vierzig Routen unterschiedlicher Längen und Schwierigkeiten. Übersichtskarten finden wir im Internet unter dem Suchbegriff: „mapa senderos Cañadas del Teide“ sowie technische Details zu den Routen bei www.webtenerife.de/aktivitaten/natur/wandern/wanderwege/.
Der Arenas-Negras-Rundweg mit der Nummer 2 beginnt gegenüber dem Informationszentrum von El Portillo und ist nicht nur für Wanderer interessant, die mit dem Linienbus anreisen. Denen bietet er allerdings entspanntes Wandern ohne die permanente Sorge, nachmittags den einzigen Bus für die Rückfahrt zu verpassen. Im Uhrzeigersinn ist er wegen des sanfteren Anstiegs auf die Höhe des Llano de Maja angenehmer und bietet zudem die attraktiveren Blicke, ohne sich immer wieder umdrehen zu müssen. Nur bei den Arenas Negras, den schwarzen Sanden, sollte man konzentriert gehen, um auf dem abschüssigen Weg nicht auszurutschen.
Normalerweise befindet sich der Weg 2 über dem Wolkenmeer, das sich an vielen Tagen bis zum Horizont ausdehnt. Der strahlend blaue Himmel und die steil über uns stehende Sonne garantieren bestes Bergwetter, aber auch erhöhte Sonnenbrandgefahr. Seltene Tage, an denen Wolken immer wieder in den Nationalpark eindringen und sich dort nach einiger Zeit auflösen, können ein besonderes Geschenk der Landschaft an uns Wanderer sein, sofern es nicht regnet oder stürmt. Denn dann entstehen sehr magische Momente durch das kurze Erscheinen und rasche Verschwinden der Vulkankegel im Umkreis. Wer da nicht seine Kamera schon schussbereit hat, kommt meistens zu spät; denn der Wolkenvorhang schließt sich schnell wieder.
Man sieht es dieser Landschaft nicht an, dass wir uns hier außerhalb der Cañadas del Teide bewegen, der Gegend, die insbesondere durch die Steilwände bestimmt wird, die wie ein steinernes Hufeisen den Pico del Teide umfassen. Geologisch gehört dieser Teil des Nationalparks zum Orotava-Tal, auch wenn wir dieses Tal, das Humboldt zum Schönsten rechnete, was er je sah, während unserer Rundwanderung nur zu einem kleinen Teil sehen. Als vor 500.000 Jahren zwischen dem heutigen Santa Úrsula und Los Realejos ein Teil der Insel abbrach und ins Meer rutschte, blieb eine tiefe Senke zurück, deren Abbruchkante einige Hundert Meter südlich von Arenas Negras lag. Unser Weg windet sich um einige der Vulkane, die damals anschließend im oberen Drittel des Tales ausbrachen, dieses größtenteils wieder auffüllten und bis zu 2.500 m Höhe erreichten. Die letzten dieser Ausbrüche fanden vor etwa 30.000 Jahren statt, als der Teide schon 145.000 Jahre auf seinem Kegel hatte und begann, nicht mehr aus seinem Hauptkrater an der Spitze, sondern aus Seitenvulkanen Lava auszuspucken. Montaña Blanca, Montaña Rajada und Pico Cabras sind die auffälligsten Resultate dieser jüngeren Phase und liegen uns gegenüber, wenn wir den Abstieg durch die Arenas Negras erreichen.
Bevor weitere gigantische Erdrutsche vor 175.000 Jahren die Steilwände der Cañadas und Platz für den jungen Pico del Teide schufen, hatte nach Süden und Westen ein wesentlich breiterer, ähnlich hoher, aber weniger steiler Vulkan die höchsten Teile der Insel eingenommen. Vielleicht war es auch eine Ansammlung von zwei oder drei benachbarten Feuerspuckern, die gelegentlich explodierten und dabei große Mengen von hellem Bimsgranulat über das Land verteilten. Im Gebiet von Arenas Negras, wo ablaufendes Wasser eine enge Schlucht in den Untergrund geschnitten hat, begegnen wir diesen Zeugen damaliger Katastrophen. Ganz oben, über dem hellen, zwischen 500.000 und 200.000 Jahre alten Bims erstreckt sich eine dunkle Basaltschicht. Wo der Weg diese vorher schon überquert, zeigt sie eine recht glatte Oberfläche, untrügliches Zeichen sehr heißer Lava von etwa 1.2000 C. Nicht nur dies zeigt, dass sie nicht aus dem Teide kam. Dessen Lava war meistens mehrere Hundert Grad kühler und erreichte dieses Gebiet nicht. An einigen Stellen kann man erkennen, dass diese Lava aus der nahen Montaña Maja ausgespuckt worden ist, und die gehört zu den Vulkanen des Orotava-Tals.