A.I. rät zur Einstellung der Verfahren gegen Garzón
Mitte Oktober jährte sich zum zwölften Mal die Ausstellung des internationalen Haftbefehls gegen den chilenischen Diktator Augusto Pinochet und zum zweiten Mal die Beschlussfassung zur Erstellung eines Registers der Franco-Opfer, beide vom damaligen Richter des Nationalgerichts Baltasar Garzón veranlasst.
Madrid – Diese Jubiläen veranlassten Amnesty International, sich die heutige Situation der Strafverfolgung in Spanien näher anzuschauen. Im Ergebnis warf die Menschenrechts-Organisation dem Land nun „Rückschritte im Kampf gegen die Straffreiheit“ von Verbrechern vor.
Begründung
Amnesty International erklärte in einem öffentlichen Schreiben, durch Einleitung der Verfahren gegen den die Franco-Verbrechen untersuchenden Richter Baltasar Garzón habe Spanien das Prinzip der allumfassenden, immerwährenden und gerechten Justiz eingeschränkt. Garzón habe die Verbrechen an 114.266 während der Diktatur-Zeit verschwundenen Menschen aufklären wollen, dann aber die Untersuchungen an mehr als 60 Provinzialgerichte abgegeben, von denen gerade mal zwei tatsächlich Ermittlungen eingeleitet hätten. Eine Verurteilung von Garzón würde die Entscheidung von Richtern in ähnlichen Situationen beeinflussen, den Anspruch der Franco-Opfer auf Aufklärung und Rechtsprechung zunichte machen und diese dazu veranlassen, an ausländischen Gerichten ihre Rechte einzufordern.
Ratschläge
Die Menschenrechts-Organisation beendete ihr Schreiben mit konkreten Ratschlägen, u.a. der Einstellung der Verfahren gegen Baltasar Garzón. Der Rat an die Regierung lautete, den Tatbestand des „Erzwungenen Verschwindens“ in das Strafgesetzbuch aufzunehmen, wie in dem entsprechenden UNO-Abkommen 2009 angekündigt. Außerdem wurde der spanischen Rechtsprechung nahegelegt, das Gesetz zur Generalamnestie für Franco-Verbrechen von 1977 [eingeführt, um die Übergangsphase von Diktatur zu parlamentarischer Demokratie zu erleichtern] nicht als Gesetz der Straffreiheit auszulegen. Als Letztes richtete sich Amnesty International an die Staatsanwaltschaft und riet dieser zur Verfolgung auf spanischem Boden begangener internationaler Verbrechen.
Hintergründe
Baltasar Garzón wurde 1988 zum Ermittlungsrichter am Nationalen Gerichtshof berufen. Bald schon machte der Jurist Schlagzeilen wegen seines entschlossenen Vorgehens im Kampf gegen den Drogenhandel und die terroristische Organisation ETA. Zu internationaler Berühmtheit gelangte Garzón durch die Ausstellung des Haftbefehls gegen den chilenischen Diktator Augusto Pinochet wegen der Tortur und Ermordung spanischer Bürger. Auch erhob der Richter auf internationaler Bühne seine Stimme u.a. gegen Guantánamo und den Irak-Krieg.
Im September 2008 griff Garzón die Aufklärung der Franco-Zeit und des Schicksals der Verschwundenen auf. Er forderte den Zugang zu den Archiven von Militär, Kirche, Rathäusern und Universitäten und ließ Massengräber öffnen und Leichen exhumieren. Ziel war die Erstellung eines spanienweiten Registers der Opfer mit Namen, Umständen des Todes und Ort ihres Grabes. Nach eigenen Aussagen ging es ihm dabei nicht um strafrechtliche Verfolgung sondern um Aufklärung der Greueltaten. Viele Familien im Land verlangten schon lange Gewissheit über das Schicksal ihrer Angehörigen und ihrem Recht sollte Genüge getan werden.
Von Anfang an wurden die Bemühungen des Ermittlungsrichters zur Verbrechensaufklärung der Franco-Zeit torpediert. Von Kirche und Konservativen hagelte es scharfe Kritik auf ihn ein, wohl aus Furcht vor den Ergebnissen der Aufklärung. Dann stellte die Staatsanwaltschaft beim Obersten Gerichtshof einen Eilantrag wegen Unzuständigkeit. Während Garzón seine Zuständigkeit als Richter am Nationalen Gerichtshof mit dem Vorliegen von „Verbrechen gegen die Menschlichkeit“ begründete, bezeichnetet die Staatsanwaltschaft diese als „normale Verbrechen“, die zudem noch verjährt wären. Wenn überhaupt, dann könne man nur von „Verbrechen innerhalb eines Militärputsches“ sprechen, für die ein Militärgericht zuständig sei. Bevor der Oberste Gerichtshof dem Antrag stattgab, stellte Garzón die Ermittlungen ein und übergab die Untersuchungen an 62 Provinzialgerichte.
Anfang 2010 erhoben die ehemalige Franco-Partei Falange Española de las JONS und die Pseudo-Gewerkschaft Manos limpias („Saubere Hände“) Klage wegen Amtsanmaßung im Fall der Verbrechensaufklärung der Franco-Zeit gegen Garzón. Die Anträge beinhalteten Formfehler, doch der zuständige Richter half scheinbar ein wenig nach, so dass Garzón mit einer Befangenheitsklage den Rücktritt des betreffenden Richters bewirken und sich eine Atempause verschaffen konnte. Momentan sind noch zwei weitere Klagen gegen ihn am Obersten Gerichtshof anhängig. Zum Einen wird ihm vorgeworfen, Telefongespräche der im Fall Gürtel Angeklagten mit ihren Anwälten abgehört zu haben; zum Anderen geht es um die Finanzierung von Kursen, die er an der Universität von New York abgehalten hat. In allen drei Fällen hat Garzón Niederschlagung beantragt, da er sie für konstruiert hält. Mitte Mai wurde Baltasar Garzón vom Generalrat der Richterlichen Gewalt (CGPJ) als Richter am Nationalen Gerichtshof suspendiert mit der Folge, dass sowohl landes- als auch weltweit geballte Empörung und Protest erhoben wurden. Der allgemeine Tenor lautete, die Erben des Franco-Regimes und die Korrupten des Gürtel-Skandals versuchten, ihn aus dem Weg zu räumen und, im Ergebnis, der allumfassenden, immerwährenden und gerechten Justiz durch Straffreiheit zu entkommen.
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