Zwei Petitionslisten aus Spanien wurden verwechselt
Was als Machtbeweis und auch als Geste der Freundschaft gegenüber dem spanischen König Juan Carlos gedacht war, führte für König Mohammed den VI. von Marokko unerwartet zum Eklat.
Madrid/Rabat – Aus Anlass seines Besuches in Rabat hatte sich der spanische König nach der Situation der Strafgefangenen spanischer Nationalität in marokkanischen Gefängnissen erkundigt. Gleichzeitig hatte er den Premierminister Abdelilá Benkiran um die baldige Überführung eines kranken, wegen Drogenschmuggels verurteilten Lastwagenfahrers in ein spanisches Gefängnis gebeten. Die Kompetenz hierfür liegt aufgrund der neuen Verfassung Marokkos bei der Regierung Benkiran. Der Palast stieß sich daran, dass die Bitte nicht direkt an den marokkanischen Monarchen ergangen war. Um die weiterhin bestehende Macht Mohammeds in dieser Sache zu demonstrieren, begnadigte Mohammed VI. zu seinem 14-jährigen Thronjubiläum großzügig 48 spanische Strafgefangene. Diese wurden auch umgehend auf freien Fuß gesetzt.
Bei der Umsetzung dieses königlichen Gebots kam es im Palast zu einem peinlichen und folgenschweren Fehler. Zwei Petitionslisten, die von Spanien übermittelt worden waren, wurden versehentlich vermengt. Die eine enthielt 18 Namen von Gefangenen, die einen Großteil ihrer Strafe verbüßt hatten und für eine Begnadigung vorgeschlagen wurden. Die andere jedoch enthielt 30 Namen von spanischen Bürgern, für die um eine Beschleunigung der Formalitäten und für die Überstellung in den spanischen Strafvollzug gebeten wurde.
Auf der letztgenannten Liste befand sich unglücklicherweise auch der Name Daniel Galváns, eines Spaniers irakischer Abstammung, der wegen sexuellen Missbrauchs von elf marokkanischen Kindern im Alter von zwei bis vierzehn Jahren zu 30 Jahren Haft verurteilt worden war, von denen er erst zwei verbüßt hatte.
Als die Familien der Opfer davon erfuhren, kam es zu wütenden Demonstrationen. Das Entsetzen und die Empörung in der Bevölkerung war so groß, dass König Mohammed sich gezwungen sah, zum ersten Mal in der Geschichte seines Herrscherhauses eine Begnadigung zurückzunehmen. Darüber hinaus traf er sich mit den Familien der Opfer des irrtümlich freigelassenen Kinderschänders, entschuldigte sich für das ihnen geschehene Unrecht und sicherte ihnen Unterstützung zu.
Daniel Galván selbst war von seiner Begnadigung ebenso überrascht wie seine Opfer. Zwar hatte er beantragt, seine Strafe in Spanien absitzen zu dürfen, aber niemals gehofft, vor der Zeit auf freien Fuß zu kommen. Was ihn jedoch nicht daran hinderte, zu versuchen, auch noch um die Entschädigungszahlungen von sechsmal 4.800 Euro an die Familien seiner Opfer herumzukommen, wodurch deren Anwalt und damit auch die Betroffenen von der Freilassung erfuhren.
Schon kurz nach seiner zügigen Ausreise und der Rücknahme der Begnadigung durch König Mohammed wurde der irrtümlich befreite Straftäter in Spanien gesucht und aufgrund eines internationalen Haftbefehls aus Marokko inhaftiert. Er wird im Gefängnis bleiben, bis über seine Auslieferung oder die weitere Verbüßung seiner Strafe in Spanien entschieden ist. In Spanien liegt mittlerweile eine Anzeige wegen des Missbrauchs an einer damals Siebenjährigen aus Torrevieja im Jahr 2006 vor. Die Fotos in der Zeitung brachten die heute 14-Jährige dazu, ihr Schweigen zu brechen.
Daniel hieß früher Salahedin
Daniel Galván Viña wurde 1950 in Basra im Irak als Salahedin Gabhan Benia geboren. Vor 20 Jahren kam er nach Spanien, arbeitete zwischen 1996 und 2002 als Büroangestellter in der Universität Murcia wegen seiner Sprachkenntnisse im Bereich der Zusammenarbeit mit nordafrikanischen Universitäten und galt als zuverlässiger Mitarbeiter. Im Jahr 2004 war er einige Monate als Übersetzer für Arabisch, Englisch und Französisch bei der Guardia Civil beschäftigt. Die Staatsbürgerschaft erwarb er durch Heirat mit einer Spanierin, von der er heute geschieden ist. In dem Dorf San Roque de Torrevieja in Alicante, wo er ein Haus besaß, galt er bei den Nachbarn als freundlicher Mann, der keine Probleme machte.
Die Informationen über ihn sind lückenhaft und die Stationen seines Lebens abenteuerlich: Abschluss in Biologie an der Universität von Basra, in den 80er Jahren desertierte er aus der irakischen Kriegsmarine, er war Arabischlehrer, Übersetzer, Tagelöhner, Schizophrenie-Patient und freundlicher Pensionär und endete, nach Zwischenstationen in Ägypten, Syrien, Jordanien und England, in Marokko als verurteilter Pädophiler.
Seine Jahre in Marokko verbrachte er in der Stadt Kenitra nördlich der Hauptstadt Rabat, wo er sich als pensionierter Universitätsprofessor ausgab und mehrere Wohnungen kaufte. Durch falsche Freundlichkeit und Hilfsbereitschaft erlangte er das Vertrauen seiner marokkanischen Nachbarn, die ihm ihre Kinder gelegentlich zum Englischunterricht oder zur Beaufsichtigung anvertrauten. Er organisierte Kinderfeste und beschäftigte junge Mädchen als Putzhilfe.
Lange Zeit wurde nicht bekannt, dass er dieses Vertrauen missbrauchte und sich an den Kindern des Viertels verging. Mindestens elf Kinder und Jugendliche wurden von ihm wiederholt genötigt, bedroht, verletzt, unter Drogen gesetzt und vergewaltigt und dabei fotografiert und gefilmt.
Die Opfer und später auch die Familienangehörigen schwiegen aus Scham.
Erst als Galván kalte Füße bekam und während eines kurzen Spanienaufenthaltes zur Erneuerung seines Marokkovisums einen Nachbarn bat, diverse Datenträger mit pornografischen Aufnahmen der Nachbarkinder zu vernichten, flogen die Untaten auf. Der Nachbar vernichtete nicht alles und beschloss, einen USB-Stick und eine Videokassette – offenbar ohne den Inhalt zu kennen – an einen Händler zu verkaufen. Als dieser die Aufnahmen fand, brachte er sie zu Hamid Krayri, dem Anwalt einer Marokkanischen Menschenrechtsorganisation, der wiederum Anzeige erstattete und Galván so vor Gericht und ins Gefängnis brachte.
Vor Gericht benahm sich der Angeklagte widersprüchlich. Er soll gesagt haben, er verdiene die Todesstrafe, aber auch zur Verteidigung seine Schizophrenie-Erkrankung ins Feld geführt haben. In zynischer Weise räumte er ein, nach Marokko gekommen zu sein, weil dort „die Kinder nicht teuer sind“ und für Geld „alles zu haben“ sei. Nicht zuletzt wegen dieser Äußerungen ist die Haftstrafe von 30 Jahren die höchste, die in Marokko je für ein solches Delikt verhängt wurde.
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