Zwischen der Caldera oberhalb von Aguamansa (La Orotava) und der Área Recreativa de Chanajiga bei Palo Blanco (Los Realejos) kann man bequem auf einigen Pisten wandern und je nach Bewölkung den Ausblick über das Orotavatal genießen. Der Mischwald entlang des Weges setzt sich vorwiegend aus Kiefern und Baumheide zusammen. Wir finden auch Fayas mit dunkelgrünen ledrigen Blättern und ab und zu Erdbeerbäume (Madroños). Letztere haben jetzt im Herbst zahlreiche orangefarbene Früchte. Wo es sonnig ist, also vor allem an den Wegrändern, aber auch auf alten Lavaströmen, die sich der Besiedelung durch Bäume und größere Sträucher widersetzen, wachsen zahlreiche Jaras (Cistrosen) und Torbiscos (Seidelbast). Während die Jaras, die im Frühsommer reichlich mit hell-purpurfarbenen Blüten und gelb leuchtenden Staubblättern aufwarteten, jetzt eher unauffällig erscheinen, locken die Torbiscos mit reifen roten, aber giftigen Beeren, neben denen weiße Blüten weiterhin Insekten anziehen. Es ist eine seltsame Pflanzengesellschaft, die es so normalerweise nicht gäbe. Sie ist eine Folge teilweise sehr lang zurückliegender menschlicher Eingriffe in die Natur. Ganz langsam, beinahe unmerklich, verschiebt sich aber die Zusammensetzung der Pflanzengesellschaft in Richtung auf die natürliche Situation. Gelegentlich unterstützen und beschleunigen die Forstbehörden diesen Prozess. Standortfremde Bäume – z.B. die Kiefern – werden gefällt und standortgerechte Arten wie der Madroño und der Barbusano werden gepflanzt. Dabei wartet die Natur, wenn man sie lässt, selbst mit Überraschungen auf.
Unsere Wege entlang des weiten Talrundes halten sich ohne größere Steigungen oder Gefälle an die Höhenstufe, die ursprünglich vom Monteverde eingenommen wurde, einer Waldgesellschaft, die sehr unterschiedlich gestaltet sein konnte, die aber an diese Klimazone zwingend gebunden ist. Die meisten ihrer Bäume und Sträucher können nur im Einflussbereich der Passatwolken existieren. Gelegentlich sprechen wir deshalb auch vom „Nebelwald“. Der artenreiche Lorbeerwald, aber auch der relativ artenarme Fayal-Brezal aus vorwiegend Baumheide und Faya sind typische Monteverde-Gesellschaften. Damit erklärt sich nebenbei, weshalb in dieser Region Kiefern gefällt werden. Sie sind nicht standortgerecht und wurden ab 1940 systematisch angepflanzt, um die Insel vor der drohenden Versteppung zu bewahren. Nachdem dieses Ziel erreicht ist, kann man sie wieder entfernen.
Baumheide und Faya wachsen hier von Natur aus. Sie wurden früher vor allem zur Herstellung von Holzkohle, aber auch als Stützen für Weinstöcke und andere Kulturpflanzen regelmäßig abgeschnitten. Im Gegensatz zu zahlreichen anderen Arten des Monteverde schlagen ihre Wurzeln und Stümpfe nach dem Abholzen leicht wieder aus. So konnten sie hier überleben, während andere Arten ausgerottet wurden. Der vielerorts anzutreffende Fayal-Brezal, der sich vorwiegend aus diesen beiden Baumarten aufbaut, ist also meistens eine heruntergewirtschaftete Monteverde-Gesellschaft. Hier im oberen Orotava-Tal ist das ganz gewiss der Fall.
Die Cistrosen weisen in die gleiche Erklärungsrichtung. Sie breiteten sich dort aus, wo in dieser Höhenstufe durch menschliche Eingriffe der Wald zerstört wurde. Dieser Zerstörung wurde durch die ständige Beweidung Vorschub gegeben. Hier überlebte nur das, was weder unmittelbar vom Menschen genutzt wurde noch für Ziegen und Schafe interessant war – also sehr wenig. Wir wandern hier zwischen der Caldera und Chanajiga in einer ehemaligen, überwiegend vom Raubbau geprägten Kulturlandschaft. Dass sie sich aktuell sehr dynamisch zu einer künftigen Naturlandschaft entwickelt, sehen wir ihr nicht an. Es sei denn, wir stoßen auf Unerwartetes.
Fast schien es, als sei der kleine Hügel oberhalb des Weges voller weißlich-gelb blühender kugeliger Büsche. Auch im kanarischen Herbst ist so etwas auf 1200 m Höhe ein ungewöhnliches Bild. „Das ist Federkopf“, war meine Frau überzeugt. „Ja, aber das muss eine andere Art sein als der aus den Cañadas“, wandte ich ein. „In der Literatur wird der Behaarte Federkopf (Pterocephalus lasiospermus) als Cañadas-Endemit beschrieben, der nur die subalpine Stufe bewohnt. Wir sind hier deutlich niedriger.“ Es sah aus wie der Behaarte Federkopf, und nach einem Blick in meine Bestimmungsbücher stand fest: 1000 m unterhalb seines bekannten Verbreitungs-Gebietes wächst er auch gut. Vereinzelt fanden wir noch die typischen rosafarbenen Blüten. Die weißliche Farbe der Büsche stammte von den reifen, federigen Flugsamen, die der Pflanze ihren Namen geben.
Es war 1946, als der Botaniker Eric Sventenius Alarm schlug. Die jahrtausendelange Beweidung der Cañadas brachte die einmalige Hochgebirgsflora Teneriffas an den Rand des Aussterbens. Vom Rosalillo de Cumbre, so der traditionelle Name des Behaarten Federkopfs, war nur noch ein einziges kleines Vorkommen bekannt. Anderen Pflanzenarten ging es sehr ähnlich. Mit der Unterschutzstellung und dem Ende der Beweidung 1954 setzte die Erholung der Pflanzenbestände ein. Die Cañadas sind heute so grün, wie sie seit Menschengedenken nie waren. Die Retamas, Codesos, Alhelís und all die anderen scheinen sich nicht über die subalpine Stufe hinaus in tiefere Lagen auszubreiten. Mit dem Behaarten Federkopf ist das anders. Ob das mit der Klimaänderung zusammenhängen könne, wurde ich vor ein paar Tagen gefragt. Aber die Klimaänderung verschiebt die warmen Temperaturen mehr gipfelwärts. Betroffen sind also vor allem diejenigen Pflanzen, die bestimmte Temperaturen brauchen. Das Teide-Veilchen könnte Probleme bekommen; denn es ist auf niedrige Temperaturen angewiesen. Das Rosalillo wandert aber abwärts der wärmeren Temperatur entgegen und zeigt uns, dass sein ursprüngliches Verbreitungsgebiet viel tiefer reichte als bisher angenommen wurde. Warum es dort nicht mehr vorkam? Es schmeckte den Ziegen zu gut.
Michael von Levetzow
Tenerife on Top
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