Archäologischer Fund aus der Römerzeit auf der kleinen Insel Lobos


Eine Analyse des deutschen Residenten und Forschers Manfred Jantzon

Wie so oft in der Archäologie, spielte der Zufall wieder einmal eine wichtige Rolle bei der Entdeckung einer Fundstelle auf der kleinen Insel Lobos, etwa 3 Km nordöstlich von Fuerteventura.

Hier fanden Besucher am Strand von Playa de las Conchas im Sand zufällig Reste von scheinbar uralter Keramik und informierten daraufhin die zuständigen Behörden, die ihrerseits Archäologen von Teneriffa auf den Plan riefen.

Unter Leitung von Carmen del Arzo Aguilar, Professorin für Früihgeschichte an der Universität von La Laguna (ULL), begann das aus drei weiteren Archäologinnen des Museums von Santa Cruz /TF bestehende Team mit ersten Sondierungsgrabungen. Ende April 2012 berichteten dann nahezu alle Medien des Archipels über die ersten Forschungsergebnisse.

Wie dem Bericht der Pressestelle der Universität von La Laguna zu entnehmen war, entdeckte das Forscherteam vor Ort eine römische Ansiedlung bestehend aus Teilen von Keramikgegenständen für den täglichen Gebrauch sowie Reste von Meeresfauna. Zudem traten Reste von Metallgegenständen, Knochen von Ziegen sowie Holzkohle zutage, die Feuerstellen vermuten lassen. Auch existierte hier ein grosser Conchero, ein Muschelhaufen, in dem reichlich Schalen vom Meeres-Krustentier der Gattung Thais gefunden wurden, aus denen wie man sagt, in der Antike die begehrte Purpurfarbe gewonnen wurde. Mit Purpur eingefärbte Textilien waren bei den Phöniziern eine beliebte Handelsware und besonders aber bei den Römern sehr beliebt, galten sie doch als Zeichen eines sozialen Unterschieds.

Auch wies man seitens der ULL darauf hin, dass die Römer eine grosse Industrie zur Herstellung von Purpurfarbe an der gesamten Nordwestküste Afrikas errichteten, wobei die antike Stadt Lixus bisher als südlichste Grenze galt und somit der Fund auf der Insel Lobos eine neue Perspektive in der Ausbreitung der Purpurindustrie aufzeigt. Zudem wies man darauf hin, dass es archäologische Funde aus der Römerzeit auf der Insel Lanzarote (El Bebedero) sowie etliche Unterwasserfunde von römischen Amphoren an den Küsten weiterer kanarischer Inseln gibt.

Die Geschichte der Herstellung von Purpurfarbe ist vor allem mit den Phöniziern verbunden, einem semitischen Volk des Altertums, das ab Mitte des 2. Jahrtausends v.Chr. im Bereich des jetzigen Libanons und Syriens an der Mittelmeerküste lebte. Hier gründeten sie Stadtstaaten wie vor allem Byblos, Sidon und Tyros, von denen aus sie einen regen Handel mit ihren Nachbarn des Hethiterreichs, Ägypten, Assyrien und Babylonien trieben.

Um 1.200 v.Chr. wurde der Vordere Orient von einer aus dem Norden kommenden Menschenlawine der sogenannten „Seevölker“ überrollt und verwüstet und alte  Reiche ausgelöscht. Dennoch wurde gerade die Levante nicht so sehr in Mitleidenschaft gezogen, sodass die phönizischen Städte bald wieder erstarkten und zu neuem Reichtum kamen, wobei insbesondere die Stadt Tyrus im 10. Bis 8. Jahrhundert v.Chr. die Vormachtstellung erlangte.

Bereits vor Ende des 1. Jahrtausends passierten phönizische Schiffe die Meerenge von Gibraltar und es waren Phönizier, die 1.100 v.Chr. die Handelsstation Gades (das heutige Cádiz) auf ihrer „Zinnroute“ zu den Britischen Inseln gründeten.

So wurde von Tyros aus an der tunesischen Küste im Jahr 814 v.Chr. Karthago gegründet, das schnell zum mächtigsten Handelszentrum im Mittelmeer heranwuchs.

Die weitere geschichtliche Entwicklung der Phönizier spielt ebenfalls eine wesentliche Rolle gerade in Hinsicht auf die Produktion von Purpur. So verloren im 8. Jahrhundert die Phönizier der Levante ihre Unabhängigkeit und standen unter dem Einfluss der Assyrer. Im Jahr 701 v.Chr. eroberte das Neuassyrische Reich unter Sanherib das Land der Phönizier, wobei lediglich Tyros nicht unter seine Herrsachaft geriet. Ab dem Jahr 586 v.Chr. gehörten die Phönizier (nicht Karthago) zum Neubabylonischen Reich ausser Tyros, das einer 13-jährigen Belagerung (585-573 v.Chr.) standhalten konnte. Um 520 v.Chr. wurden die phönizischen Städte zu persischen  Vasallenkönigtümern. Die Stadt Tyrus wurde schliesslich von Alexander den Grossen im Jahr 332 v.Chr. zerstört.

Mythologie, Geschichtsforschung und auch archäologische Funde deuten darauf hin, dass es die Phönizier von Tyros waren, die ab 1.439 v.Chr. die Färbung aus Extrakten von Schnecken entdeckten und daraus eine Purpurfarbe herstellten. Dennoch konnte mittlerweile nachgewiesen werden, dass bereits um 1.600 v.Chr. im minoischen Kreta ein ähnliches Rot produziert wurde. Noch viel älter dagegen ist ein roter Farbstoff der aus Wurzeln des Krapp (lat. rubia tinctorum oder rubia pereprina) gewonnen wurde, wobei Plinius in seinem Werk „naturalis historia“ dessen Anpflanzung um 50 n.Chr. in der Náhe von Rom erwähnt.

Der älteste Nachweis für den Einsatz dieses Färbemittel stammt von einem Schnurstück aus der Zeit um 2.200 v.Chr., welches im heutigen Pakistan gefunden wurde. Aber auch im alten Ägypten betrieb man Färberei mit Krapp, wie ein Fund in Kahun aus der Zeit um 1.550 belegt.

Zudem ergaben Textilfragmente aus dem Grab des berühmten Pharao Tut-ench-amun (um 1.360 v.Chr.) Krapp als Farbmittel. Die ältesten Rezepte für Färbungen aus dem Extrakt dieser Wurzel sind auf einer neobabylonischen Tontafel um 700 v.Chr. erhalten.

Die vornehmlich von den Phöniziern zur Farbherstellung verwendeten Schneckenarten waren (Murex) Hexaplex trunculus und das Brandhorn Haustellum brandaris,  wobei oft ein Gemisch beider Arten vorgenommen wurde. Die Thais haemastoma, von der es fünf verschiedenen geo-grafische Unterarten gibt, wurde weniger zur Farbproduktion eingesetzt sondern vielmehr als Nahrungsmittel und wird noch heute von der mediterranen Küche geschätzt. Diese Schnecken kommen nicht nur im Mittelmeer vor, auch an der Atlantikküste Spaniens und Frankreichs sowie an der NW- Küste Afrikas sind sie anzutreffen. Gefangen wurden die Meerestiere in den Monaten von Oktober bis hin zum Frühling. Die Mollusken sondern aus einer Drüse in der Decke der Atemhöhle, welche neben dem Mastdarm liegt, einen gelblichen Schleim ab der im Sonnenlicht erst grün, dann blau und schliesslich purpurin wird, also scharlachrot. Dabei strömen sie einen üblen Geruch aus.

Aristoteles ( 384-322 v.Chr.) und Plinius (23-79 n.Chr.) beschrieben den Vorgang zur Gewinnung der Farbe wie folgt: „ Um an den Farbstoff der Drüsen zu gelangen, wurden lebende kleinere Schnecken zerstampft und bei grösseren entfernte man die Drüse mittels eines spitzen Gegenstands.Zunächst legte man diese drei Tage in Salz und danach kochte man die Masse mit Urin so lange ein, bis nur noch der sechszehnte Teil übrig blieb. Während des Kochens wurden alle an der Oberfläche treibenden Fleischteile entfernt.“

Der mit diesem Sud eingefärbte Stoff musste während des Trocknens dem Licht ausgesetzt werden, damit durch eine Enzym-Reaktion die ursprünglich schwachgelbliche Färbung in den gewünschten Rotton umschlug. Die Schnecken bildeten das Sekret zur Jagd nach Beute und um die Eier gegen Mikroben zu schützen, aber auch, wenn sie angegriffen oder gestört wurden. Daher war es wichtig, dieses aus lebenden Schnecken zu gewinnen.

Wo sich die Zentren der Phönizier zur Färberei mit Purpur befanden,  verraten noch heute riesige Schalenberge an den Gestaden des östlichen Mittelmeeres. So bei Sidon, wo diese eine Hóhe von mehreren Metern aufweisen, etwa 25 m breit sind und sich auf einer Länge von Hunderten von Metern erstrecken. Insgesamt gesehen, war die Produktion von Purpurfarbe eine äusserst mühselige Arbeit, denn um nur 1 Gramm der begehrten Farbe herstellen zu können, benötigte man 8.000 bis 10.000 Schnecken, wobei noch der üble Geruch hinzukam.

Wichtige Ereignisse gegen Mitte des 1. Jahrtausends v.Chr. scheinen für die Gewinnung von Purpur eine bedeutende Rolle gespielt zu haben. Der griechische Geschichtsschreiber Herodot (5. Jh. V.Chr.) berichtet von einer grossen Expedition der Phönizier im Auftrag des Pharao Necho II. rund um den afrikanischen Kontinent. Mit Schiffen von etwa 40 m Lánge, ausgestattet mit 40 Riemen (Ruderern) und einem Segel, starteten sie von der Sinai-Halbinsel. Die Route führte entlang der Küste von Somalia über den Äquator nach Südafrika und dann entlang der Westküste Afrikas zurück ins Mittelmeer. Die drei Jahre andauernde Fahrt wurde durch längere Landauffenthalte unterbrochen, um Getreide auszusähen und als Nahrung zu ernten.

Beim Passieren des an der westafrikanischen Küste liegenden Archipels in Hóhe von Cap Juby,müssen die Seefahrer zumindest die Inseln Fuerteventura und Lanzarote gesichtet haben. Ob siediese dann ansteuerten und auch andere Inseln erkundeten, ist unbekannt.

So gesehen, ist ein Aufsuchen des Archipels und eine Begegnung mit bereits hier lebenden Menschen frühestens ab dieser Zeit anzunehmen. Dabei muss den Phöniziern aufgefallen sein, dass die Bewohner ihre Haut und Kleidung teilweise mit einem kräftigen Rot dekorierten, aufgetragen mit Hilfe von Stempeln aus Holz oder Ton, die sie „Pintaderas“ nannten. Gerade dieser roten Farbe galt das Interesse der Phönizier, stellte sie doch ein begehrtes Handelsprodukt dar, das besonders von der wohlhabenden Bevölkerung  in Griechenland und Ägypten geschätzt wurde.

Bisher gewannen sie das Rot aus im Meer vorkommenden Schnecken, welches ein mühsamer Vorgang war. Hinzu kam, dass es durch den extremen Raubbau zu einem empfindlichen Ab-schrumpfen des Bestandes kam. Es ist anzunehmen, dass die Phönizier alsbald die „Purpurinseln“ ständig aufsuchten um sich hier die Orchillaflechte zu beschaffen, aus der die Bewohner das Rot gewannen.

Nachfolgende geschichtliche Ereignisse scheinen diese Theorie zu bestätigen. Demnach erfolgte im Jahr 525 v.Chr. die Schliessung der Meerenge von Gibraltar, sodass allen nicht-phönizischen Schiffen die Durchfahrt in den Atlantik unter Todesandrohung verboten war. Zum gleichen Zeitpunkt marschierten phönizische Truppen in Südspanien ein, was zur Besetzung Andalusiens bis hin zur Küste des Atlantischen Ozeans führte. Dem ganzen lag wohl ein  ausgeklügelter Plan zugrunde, denn der Feldzuf galt sicherlich in erster Linie den in diesem Gebiet ansässigen Tartessern, ein ebenso Handel treibendes Volk und somit ein Dorn im Auge der Karthager. Deren Machtmetropole war die Hafenstadt Tartessos, rund 150 Km nördlich von Gades an der Flussmündung des Guadalquivir gelegen. Die Tartesser wurden vernichtend geschlagen und ihre Machtmetropole dem Erdboden gleichgemacht. Durch diesen kriege-rischen Akt war der Konkurrent ein für allemal ausgeschaltet und die Phönizier mit ihren Schiffen die alleinigen Herrscher über den Westatlantik.

Um 500 v.Chr. führte der Karthager Hanno eine der grössten karthagischen Unternehmungen zur See durch mit dem Ziel, ausserhalb Gibraltars weitere Handelskolonien entlang der westafrikanischen Küste zu gründen. So entstand der Stützpunkt Lixus und etwa 600 Km weiter südlich Mogador, ca. 450 Km von der Kanareninsel Lanzarote entfernt. Wie dem Buch von Thor Heyerdahl „Expedition Ra“ (Ullstein-Verlag) zu entnehmen ist, wurden an diesen Orten Gerätschaften  zur Herstellung der Purpurfarbe aus der Orchilla-Flechte gefunden, die wohl von den Karthagern im getrockneten Zustand von den Inseln des Archipels hierher gebracht und dann nach der Methode der Ureinwohner zubereitet wurde.

Der in Los Realejos auf Teneriffa geborene bekannte Historiker José Viera y Clavijo ging in seinem 1770 erschienenen Werk „Historia de Canarias“ davon aus, dass es aufgrund des Fehlens von Concheros (Muschelhaufen)  südlich von Safi es ebenfalls an den Küsten der Inseln keine Purpurschnecken der Gattung Murex gibt und daher die Purpurfarbe aus der Orchillaflechte (nicht zu verwechseln mit der Cochinille-Laus des 19. Jh.) gewonnen wurde. Die gleiche Meinung vertraten auch die anerkannten Autoren Bory Saint-Vicent im Jahr 1803, Chil 1876, Bethencourt Alfonso 1912 und Dr. Herber 1938. Forscher wie  Gattefossé (1957) und Gaudio (1958) sprachen sogar von einem Fehlen von Concheros an der gesamten marokkanischen Kúste.

Aufgrund archäologischer Funde ist bekannt,  dass die Römer nach dem 3. Punischen Krieg der mit der Zerstörung Karthagos im Jahr 146 v. Chr. endete, alle von den Phöniziern / Puniern errichteten Handelsstationen besetzten und für ihre Zwecke nutzten. Die Westküste Marokkos wurde unter dem Namen Mauretania Tingitana ein Teil des römischen Imperiums.

Fazit:

Unbestreitbar ist, dass die Römer die Kanarischen Inseln zumindest ab dem 1. Jahrhundert v.Chr. kannten und aufsuchten. Dies geht allein schon aus an den in Ufernähe unter Wasser gefundenen Amphoren einzelner Inseln hervor und auch aus der Geschichtsschreibung, in der von Zwangsdeportationen aufsässig gewordenen Berbern auf den Archipel gesprochen wird. Concheros, die Muschelhaufen, finden wir auf allen Inseln sowie in Küstengebieten Westeuropas, von Portugal bis hinauf nach Skandinavien. Hierbei handelt es sich um im Freien künstlich durch Küchenabfall oder gemeinschaftlichen Verzehr von Meeresfauna durch Menschengruppen entstandene Ablagerungen, in denen Muschelschalen, Fischgräten, Hausabfall bis hin zu Tierknochen gefunden werden. Als Abfallhaufen von Krustentieren für eine Produktion von Purpur, erscheint dieser recht klein, zumal er nicht nur aus Schneckengehäusen sondern auch aus Muschelresten besteht. Die entdeckten Teile  römischer Keramik und andere Fundstücke befinden sich lediglich in der Nähe des Concheros, was bedeuten kann, dass es keine Gemeinsamkeiten gibt. Die vermuteten Feuerstellen sind ein möglicher Hinweis auf die Zubereitung von Speisen die auf Untersätzen aus Keramik verspeist wurden, denn schliesslich waren die Römer kultivierte Leute.

Auch ist zu bedenken, dass die Römer sich nach Aussetzung der deportierten Berber sich möglichst schnell von den Inseln mit ihrer wohl eher feindlich gesonnenen Bevölkerung zurückzogen und einen sicheren Platz gegen Überraschungsangriffe aufsuchten, um der Ruder-mannschaft eine notwendige Pause vor der Rückfahrt zu gönnen. Nichts liegt näher, wie im Fall von Lobos, dafür eine kleine Insel aufzusuchen mit flacher gut zu verteidigender Landschaft und einem einzigen Berg als Aussichtsplattform, der 127 m hohen Montaña La Caldera.

 

Auch wenn bisher von einer Hypothese gesprochen wird der gründliche Analysen folgen sollen,

kann man aufgrund gemachter Erfahrung schon jetzt davon ausgehen, dass die Ergebnisse wohl nicht veröffentlicht werden, zumal dann, wenn sie das Gegenteil der bisherigen Theorie beweisen sollten.

                                                                                                                     Manfred Jantzon

Der deutsche Guanche

„Guanche Alemán“ wird Manfred Jantzon anerkennend von seinen vielen Freunden und Bekannten genannt. Nicht umsonst, denn seit fast 20 Jahren erforscht er intensiv auf allen Inseln des Archipels das Leben der Ureinwohner und hat mehrere Bücher über dieses Thema geschrieben.

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