Interview mit Wolfgang Rades, Artenschutzbeauftragter des Loro Parque – Teil 2
Wolfgang Rades ist mit Herz und Seele Biologe und leitete im Laufe seiner Karriere unter anderem 14 Jahre lang den Herborner Tierpark, ehe er Ende Dezember 2015 die Aufgaben eines zoologischen Direktors im Loro Parque auf Teneriffa übernahm.
Nach zwei Jahren zog es ihn aus persönlichen Gründen zurück nach Deutschland. Trotzdem hat ihn der Loro Parque nicht mehr losgelassen. Seit Januar 2019 vertritt er die Interessen des Loro Parque als Artenschutzbeauftragter für Europa. Eine umfassende und spannende Aufgabe, die er im nachfolgenden Interview erklärt.
(Der erste Teil des Interviews wurde in unserer Ausgabe vom 6. Mai 2020 veröffentlicht.)
Welche Rolle spielen Zoos in Bezug auf den Artenschutz?
Wolfgang Rades: Wir leben leider in der Zeit der „Zwillingskrise“ von Klima und Biodiversität, wie es der ehemalige Präsident des NABU als der größten deutschen Naturschutzorganisation, Olaf Tschimpke, vor einigen Monaten treffend auf den Punkt brachte. Dieser Herausforderung stellen sich moderne Zoos gleich mehrfach. Sie sind quasi eine „moderne Arche Noah“. Beispielsweise haben Loro Parque und die Loro Parque Fundación den hochgradig von der Ausrottung bedrohten brasilianischen Lear Ara so erfolgreich gezüchtet, dass im Rahmen eines seit 2006 bestehenden Schutzprojekts in den Jahren 2016 und 2018 bereits 15 auf Teneriffa aufgezogene Lear Aras in ihre angestammte Heimat gebracht werden konnten. Immerhin sechs dieser Papageien konnten im Rahmen eines wegweisenden Programms zur Stützung der verbliebenen Wildpopulation ausgewildert werden, während die anderen neun Lear Aras die brasilianische Reservepopulation in menschlicher Obhut stützen.
Neben der Durchführung koordinierter Zuchtprogramme für bedrohte Arten werden moderne Zoos als „Botschaften der Wildtiere“ immer wichtiger. Denn leider wird die dramatische Entwicklung, die zur Klimakrise und zum zunehmenden Verschwinden der Artenvielfalt geführt hat, immer noch viel zu wenig wahrgenommen.
Insbesondere die derzeitige dramatische sechste globale Aussterbewelle findet in der Bevölkerung zu wenig Beachtung. Immer mehr Menschen leben naturentfremdet in großen Städten und beachten in ihrer zunehmend von virtuellen Eindrücken beeinflussten, naturfernen Welt viel zu wenig, wie sehr die Naturzerstörung anhält.
Hinzu kommt eine sich zu stark vermehrende Menschheit. Dieser Raubbau wirkt sich letztlich für jegliches Leben auf unserer Erde verhängnisvoll aus. Deswegen kommt modernen Zoos eine steigende Bedeutung als „Fenster zur Natur“ und zur Sensibilisierung für diese Thematik zu.
Darüber hinaus leisten Zoos wertvolle Beiträge für die Wissenschaft und Forschung, die dem Natur- und Artenschutz in den bedrohten Lebensräumen, also in situ, zugutekommen. Und nicht zuletzt unterstützen sie bedeutende Naturschutzprojekte auch in situ. In Mitteleuropa führen immer mehr Zoos dazu einen Artenschutz-Euro ein.
Zehn Prozent der Eintrittsgelder im Loro Parque fließen in Naturschutzprojekte der Loro Parque Fundación. Sie hat wesentlich zur Bewahrung von zumindest zehn hoch bedrohten Papageienarten und ihrer Lebensräume beigetragen. Schon jetzt sind Zoos, die jährlich von 750 Millionen Menschen besucht werden, mit 350 Millionen Dollar der drittgrößte Sponsor von Naturschutzprojekten weltweit.
Diese Entwicklung von der Menagerie zum Artenschutzzentrum hat meinen ehemaligen Hochschullehrer, Kölns langjährigen Zoodirektor und den Mitbegründer der Welt-Zoo- und Aquarien-Naturschutzstrategie des Weltzooverbands WAZA, Professor Gunther Nogge, schon in den Neunzigerjahren zu dem Ausspruch veranlasst: „Gäbe es keine Zoos, so wäre es höchste Zeit, sie zu erfinden“.
Was ist dem Vorwurf, dass nur ein Bruchteil aussterbender Arten in Zoos gerettet werden, entgegenzusetzen?
Wolfgang Rades: Moderne Zoos können natürlich nicht als „Arche Noah“ mehr als eine Million Arten vor dem Aussterben bewahren. Sie können jedoch von besonders bedeutenden Tierarten stabile Reservepopulationen schaffen und diese in Menschenhand bewahren, bis die Umstände in den Herkunftsregionen der betroffenen Arten wieder so weit verbessert werden können, dass an eine Wiederauswilderung gedacht werden kann.
Auf diese Weise (ex situ) konnten bislang bereits um die 50 in der Natur ausgerottete Tierarten bewahrt werden. Darunter sind beileibe nicht nur charismatische Tierarten wie die Arabische Oryxantilope, das Wisent, das Przewalski-Wildpferd oder der Kalifornische Kondor, sondern auch verschiedene Wirbellose, wie die Socorro-Assel oder Amphibien, wie die Wyoming-Kröte. Bedenkt man zudem, dass der Artenschutz für eine bedrohte oder wieder ausgewilderte Tierart in der Natur (in situ) auch dem Schutz der natürlichen Lebensräume und ganzer Lebensgemeinschaften zugutekommt, wird schnell deutlich, dass dies ein ganz wichtiges Instrument zur Erhaltung der biologischen Vielfalt im Sinne des One Plan Approachs der Weltnaturschutzunion IUCN ist.
Ein gutes Beispiel dafür ist der von der Loro Parque Fundación für den El Oro-Sittich erfolgreich unterstützte Schutz des Buena Ventura-Waldgebiets in Ecuador. Denn dort konnten im Rahmen dieses Projekts mehrere, wesentlich unscheinbarere Tier- und Pflanzenarten neu entdeckt werden, denen der Schutz des El-Oro-Sittichs und anderer Papageien als charismatische „Flaggschiffarten“ („Umbrella Species“) und ihres Lebensraumes natürlich auch zugutekommt.
Zoogegner werfen den Zoos vor, sich auf besonders „exotische“ Tierarten zu fokussieren und heimische Arten oder weniger attraktive Arten zu vernachlässigen. Wie stehen Sie dazu?
Wolfgang Rades: Naturentfremdete Menschen werden kaum einen Zoo besuchen, um dazuzulernen, sondern um ihre Freizeit zu gestalten. Wenn wir diese Besucher für die Schönheit und Eleganz der Mitgeschöpfe, die unsere Erde gemeinsam mit uns bewohnen, begeistern, können wir sie auch für ihren Schutz sensibilisieren. Dies gelingt natürlich bei der persönlichen Begegnung mit besonders charismatischen, exotischen „Flaggschiffarten“ sehr viel besser, als mit eher unscheinbaren Tierarten. Obwohl diese ökologisch mitunter wesentlich wichtiger sein können als Elefant, Tiger und Co. Es dürfte auf der Hand liegen, dass wegen Orcas, Delfinen, Löwen, Tigern, Schimpansen, Gorillas, Pinguinen und Papageien wesentlich mehr Menschen den Loro Parque besuchen, als sie dies für Hirsche oder Wildschweine, Kaninchen oder Turmfalken tun würden. Wir bieten eine unersetzbare reale Begegnung zwischen Mensch und Tier.
Was könnten behördliche Instanzen tun, um Zoos zu unterstützen und sollte jeder Zoo unterstützt werden?
Wolfgang Rades: Leider gibt es immer noch einige wenige Wildtierhaltungen, die den Namen „Zoo“ eigentlich nicht verdienen. Solche Einrichtungen gehören im Sinne des Tierwohls strenger überwacht, möglichst saniert oder erforderlichenfalls auch geschlossen. Bezeichnenderweise werden solche wenig bekannten Einrichtungen jedoch nicht zur Zielscheibe radikaler Zoogegner. Sie demonstrieren bevorzugt gegen die bestgeführten und renommiertesten Zoos, weil sie sich davon die größte Aufmerksamkeit der Medien und der potenziellen Spender versprechen. Und dies, obwohl die renommierten Einrichtungen wie der Loro Parque nicht „nur“ behördlich gemäß den Natur- und Tierschutzvorgaben überprüft und akkreditiert sind, sondern darüber hinaus als Mitglied der großen internationalen Fachverbände WAZA und EAZA und national als Mitglied des Iberischen Zooverbands AIZA oder dem VdZ in Deutschland, Österreich und der Schweiz (sowie Loro Parque als einzigem spanischen Mitgliedszoo) nach besonders strengen Kriterien akkreditiert sind.
Übrigens wurde Loro Parque zudem als bedeutende touristische Destination auf der Ferieninsel Teneriffa auch nach den Animal Welfare Guidelines der Association of British Travel Agents ABTA und als erster europäischer Zoo auch von der renommierten US-amerikanischen Tierschutzorganisation American Humane auditiert.
In welchem Maße können Zoos dem Artensterben entgegenwirken?
Wolfgang Rades: Zoos sind ein wichtiges Instrument im Kampf für den Erhalt der Biodiversität, aber sie können diese Aufgabe nicht alleine stemmen. Vielmehr ist der Schulterschluss mit den anderen im Natur-, Arten- und Umweltschutz sowie in Wissenschaft und Forschung engagierten seriösen Institutionen gefragt. Warum wird dermaßen vehement gegen die tiergerechte Haltung von Cetaceen in modernen Delfinarien protestiert, wo doch in der Europäischen Union lediglich etwa 270 Große Tümmler in Delfinarien leben, die mittlerweile zu Zweidrittel in menschlicher Obhut geboren wurden? Gemeinsam mit modernen Zoos und Aquarien könnten Natur- und Tierschützer sehr viel wirkungsvoller gegen das jährliche Abschlachten von um die 25.000 Kleinwalen, sei es in Taiji, auf den Färöer Inseln oder in Peru protestieren, ebenso wie gegen den grausamen Tod von jährlich um die 300.000 Cetaceen als Beifang der Fischereiindustrie, sowie gegen die Überfischung und das Vermüllen der Meere…
Welches generelle Umdenken muss in der Gesellschaft erfolgen?
Wolfgang Rades: Wir müssen viel naturverbundener leben und unseren ökologischen Fußabdruck gewaltig reduzieren. Ein maßloses Wirtschaftswachstum „um jeden Preis“ darf es nicht geben. Wir sollten durch Aufklärung, nachhaltige Entwicklungshilfe und sanfte touristische Projekte dazu beitragen, dass Familien in den sogenannten Schwellenländern nicht viele Kinder haben müssen, um für das Alter vorzusorgen.
Können gerettete Arten nur in Zoos überleben?
Wolfgang Rades: Wenn dies zutreffen würde, wäre dies fatal für Mensch und Natur. Die Erhaltungszucht in Zoologischen Gärten kann nur dazu beitragen, eine überschaubare Anzahl bedrohter Arten vorübergehend zu erhalten. Der langfristige Schutz muss in den natürlichen Lebensräumen, im Sinne einer natürlichen Evolution erfolgen. Gelingt uns dies langfristig nicht, so dürfte es um die Zukunft des Homo sapiens ebenfalls extrem schlecht bestellt sein.
Denn: die Natur braucht uns Menschen nicht, aber wir brauchen die Natur!
Das Interview führte
Sabine Virgin